Stuttgart:Metalltarifverhandlung am Scheidepunkt

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Stuttgart/Frankfurt (dpa) - Im Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie rücken ganztägige Warnstreiks näher. Nach dem ergebnislosen Abbruch der vierten Verhandlungsrunde im potenziellen Pilotbezirk Baden-Württemberg hat die IG Metall am Donnerstag in sämtlichen regionalen Tarifkommissionen über den Einsatz des neuartigen Arbeitskampfmittels beraten.

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Stuttgart/Frankfurt (dpa) - Im Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie rücken ganztägige Warnstreiks näher. Nach dem ergebnislosen Abbruch der vierten Verhandlungsrunde im potenziellen Pilotbezirk Baden-Württemberg hat die IG Metall am Donnerstag in sämtlichen regionalen Tarifkommissionen über den Einsatz des neuartigen Arbeitskampfmittels beraten.

Möglicherweise schon in der kommenden Woche könnten auf Beschluss des Gewerkschaftsvorstands bundesweit Betriebe für jeweils bis zu 24 Stunden bestreikt werden. Eine Entscheidung über Tagesstreiks hat sich der Gewerkschaftsvorstand für seine Sitzung an diesem Freitag in Frankfurt vorbehalten.

Dem Vernehmen nach wurde unter anderem diskutiert, dass der Vorstand sowohl die Tagesstreiks als auch Urabstimmungen zu einem ordentlichen Flächenstreik beschließen solle, um dann den Arbeitgebern eine letzte Verhandlungsrunde für das anstehende Wochenende anzubieten. Auch in Kreisen der Arbeitgeberverbände wurde zumindest nicht ausgeschlossen, dass kurzfristig im Südwesten wieder gesprochen werden könnte.

Der Stuttgarter IGM-Bezirksleiter und Verhandlungsführer Roman Zitzelsberger erklärte nach der Sitzung seiner Tarifkommission: „Wir haben das Tischtuch nach Ende der vierten Verhandlung bewusst nicht zerschnitten, sondern wollen vor der endgültigen Entscheidung des Vorstands zunächst das Meinungsbild unserer Kolleginnen und Kollegen in den Tarifkommissionen einholen. Eine weitere Eskalation kann nicht im Sinne der Arbeitgeber sein, vorbereitet sind wir natürlich auf alle Szenarien.“ Das habe auch die rege Diskussion der Delegierten in Böblingen bestätigt.

Im Zentrum des Konflikts steht die Forderung der IG Metall, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit für die Dauer von bis zu zwei Jahren auf 28 Wochenstunden reduzieren können. Einige Gruppen wie Schichtarbeiter oder Eltern junger Kinder sollen dabei noch einen Ausgleich für entgangenen Lohn erhalten, was die Arbeitgeber strikt ablehnen. Sie fordern zudem, mögliche Arbeitszeitverkürzungen zu kompensieren, indem anderen Beschäftigten längere Arbeitszeiten ermöglicht würden.

Über eine Erhöhung der Entgelte wurde dem Vernehmen nach bisher noch gar nicht verhandelt. Dies steht an, wenn der Konflikt um die Arbeitszeitregeln gelöst ist. Die Gewerkschaft fordert eine Lohnerhöhung um sechs Prozent. Die Arbeitgeber bieten bisher zwei Prozent. Insgesamt arbeiten rund 3,9 Millionen Menschen in der deutschen Metall- und Elektroindustrie.

Bei der einzigen regionalen Verhandlungsrunde vom Donnerstag in Hamburg zeigte sich Küsten-Bezirksleiter Meinhard Geiken überrascht über den Rückzug der Arbeitgeber. Der Konflikt stehe an der Schwelle zur Eskalation, sagte der Gewerkschafter. Die Nord-Arbeitgeber würden gegen ganztägige Warnstreiks mit rechtlichen Mitteln vorgehen, erklärte der Präsident von Nordmetall, Thomas Lambusch. „Wir im Norden wollen den Gesprächsfaden aufrecht erhalten.“

Den so genannten Tagesstreiks müsste keine förmliche Urabstimmung vorausgehen. Allerdings will die IG Metall im konkreten Fall ihre Mitglieder in dem zu bestreikenden Betrieb vorab befragen. Die Betriebe wählt der Vorstand auf Vorschlag der Bezirke aus. Im Gegensatz zu den bislang eingesetzten stundenweisen Warnstreiks könnten damit größere Produktionsausfälle in gut laufenden Branchen wie Auto oder Maschinenbau entstehen. Zudem sollen Teilnehmer der Tagesstreiks ihren Lohnausfall ersetzt bekommen.

Die IG Metall hat die 24-Stunden-Streiks erst nach dem Frankfurter Gewerkschaftstag 2015 entwickelt, um zusätzliche Instrumente zwischen kurzen Warnstreiks und einem regulären Flächenstreik zu erhalten. Sie wurden noch nie angewendet. Der letzte Flächenstreik in der Metall- und Elektroindustrie datiert aus dem Jahr 2003, als es um die letztlich gescheiterte Einführung der 35-Stunden-Woche im Osten ging. Für eine Lohnforderung wurde zuletzt im Jahr 2002 gestreikt. In der laufenden Tarifrunde haben nach Gewerkschaftsangaben bislang rund 930 000 Metaller an kurzfristigen Arbeitsniederlegungen teilgenommen.

Am späten Mittwochabend hatten die Tarifparteien die vierte Südwest-Verhandlungsrunde in Böblingen überraschend ohne Ergebnis abgebrochen und sich gegenseitig dafür verantwortlich gemacht. „Leider hat die IG Metall Bedingungen formuliert, die für unsere Betriebe nicht zumutbar sind“, sagte Stefan Wolf, Chef des Arbeitgeberverbands Südwestmetall. Zwar habe die Gewerkschaft offensichtlich den Willen zum Abschluss gehabt, aber: „Für uns war das Preisschild zu hoch, also haben wir entschieden, dass die Fortführung der Gespräche nicht zielführend ist.“

Zitzelsberger warf den Arbeitgebern vor, in vielen Details eine Rolle rückwärts gemacht zu haben. „Wir haben zu allen strittigen Punkten Kompromissangebote vorgelegt und haben alles getan, um nicht in die Phase der Eskalation zu kommen.“ In den entscheidenden Arbeitszeitfragen hätten die Arbeitgeber jedoch alle bisherigen relevanten Teilergebnisse zurückgenommen. In welchen Punkten man sich in der sehr komplexen Verhandlung uneins war, wollten die Parteien nicht im Detail darlegen.

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