Stressige IT-Branche:Ständig erreichbar, immer kaputt

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Permanente "Mission Impossible": Jeder zweite Beschäftigte in der IT-Branche fühlt sich überlastet. Viele drohen am Druck zu zerbrechen.

Nicola Holzapfel

Die Frage war schlicht. Ob sie sich vorstellen könnten, ihren Job bis zur Rente zu machen, wollten Soziologen des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung in München von Angestellten einer IT-Firma wissen. Doch statt mit "Ja" oder "Nein" zu antworten, brachen die Befragten in beinahe hysterisches Lachen aus. Schlicht aberwitzig sei der Gedanke, sagte einer der Beschäftigten.

Wer keine Überstunden macht, wird abgehängt: Angestellte in der IT-Branche kämpfen mit stetiger Überlastung. (Foto: Foto: iStock)

Ähnliche Szenen hat Tobias Kämpf schon öfter erlebt. Er forscht an dem Institut über die Arbeitsbedingungen in der Informationstechnologie-Branche. Und bisherige Ergebnisse seines aktuellen Projekts DIWA-IT (Demographischer Wandel und Prävention in der IT), das vom Bundesbildungsministerium gefördert wird, haben ihn und seine beiden Kollegen Andreas Boes und Katrin Trinks sehr erschreckt. "Wie sehr die gesundheitliche Belastung unter IT-Beschäftigten in den vergangenen Jahren gestiegen ist, hat uns verwundert. Wir hatten das in dieser Dramatik nicht erwartet", sagt Kämpf.

Die Zahlen sprechen für sich: Jeder Zweite in der Branche fühlt sich stark oder sehr stark belastet wegen des großen Zeitdrucks und des hohen Arbeitsaufkommens. Bei den hochqualifizierten Beschäftigten aller Wirtschaftszweige machen dagegen "nur" 30 Prozent solche Angaben, bei allen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern 23 Prozent. 91 Interviews haben die Wissenschaftler mit IT-Mitarbeitern in ganz Deutschland geführt. Immer wieder saßen ihnen Menschen gegenüber, die an der Grenze ihrer Belastbarkeit waren. "Bei ihnen geht es nicht darum, dass sie am Abend müde sind, sondern sie stehen vor dem völligen Kontrollverlust", sagte Kämpf.

"Arbeitsverdichtung" lautet eine der Ursachen. Die Arbeitsmenge steigt und die Arbeit wird komplexer. Außerdem machen die Forscher neue Managementmethoden dafür verantwortlich. Arbeitgeber bauen durch die Führung nach Zielvorgaben und durch Leistungsbeurteilung ein "System permanenter Bewährung" auf, wie es die beiden Wissenschaftler Andreas Boes und Anja Bultemeier nennen. "Es ist keine Selbstverständlichkeit mehr, zu einem Unternehmen dazuzugehören. In den Firmen haben neue Unsicherheiten Einzug gehalten. Die Mitarbeiter müssen tagtäglich mit überdurchschnittlichem Einsatz zum Firmenerfolg beitragen und damit zeigen, dass sie es weiterhin verdient haben, Teil des Unternehmens zu bleiben", sagt Kämpf.

Perfider Leistungsdruck

Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf die IT-Branche. Kämpf spricht sogar von einem neuen Umgang mit Hochqualifizierten. "Gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise lässt sich das in breiten Teilen der Beschäftigten beobachten." Das bestätigt auch ein Projekt des Sigmund-Freud-Instituts Frankfurt und der TU Chemnitz, für das Supervisoren, die Unternehmen beraten, befragt wurden. Demnach hat der Druck auf die Beschäftigten, "ununterbrochen hocheffizient sein zu müssen", in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen.

Das besonders Perfide an dem Leistungsdruck ist, dass gleichzeitig an allen Ecken und Enden gespart wird. Kämpf und seine Kollegen haben festgestellt, dass die Mitarbeiter oftmals gar nicht die nötigen Ressourcen zur Verfügung haben, um ihre Aufgaben und Ziele erfüllen zu können. So fehlt es etwa an der nötigen Zeit oder dem nötigen Personal. Die Folge: Die Mitarbeiter befinden sich in einer "permanenten Mission impossible".

Zu jeder Uhrzeit werden schnelle Antworten verlangt

Erwartet werde ständige Erreichbarkeit, die auf die Kurzformel "7x24" gebracht wird: Zu jeder Uhrzeit würden schnelle Antworten auf Nachrichten verlangt. Wer keine Überstunden macht oder "Nein" sagt, wird abgehängt.

Dazu kommen die eigenen Maßstäbe. "Gerade in der IT-Branche haben die Mitarbeiter sehr hohe Ansprüche an Qualität und Nachhaltigkeit ihrer Arbeit", sagt Kämpf. Wenn sie ihrem eigenen Anspruch nicht mehr genügen, führt das zur Sinnkrise. Die Interviewten beklagten zudem einen Wandel in der Unternehmenskultur seit der Dotcom-Krise im Jahr 2000. Statt Vertrauen herrsche Kontrollwahn. Mehr Zielvorgaben, weniger Mitsprache und ständige Reorganisationen frustrieren die Mitarbeiter. Viele fühlen sich nur noch als Nummer.

Hohe Belastung, niedriger Krankenstand

Bei den am Forschungsprojekt beteiligten Unternehmen haben die Ergebnisse der Wissenschaftler für Überraschung gesorgt. "Echte Betroffenheit" hat Kämpf bemerkt. Die hohen gesundheitlichen Belastungen, die die Forscher belegen können, stehen im Widerspruch zu den niedrigen Krankenständen in der Branche. Doch die Arbeitsunfähigkeitstage zeigen eben nur die Oberfläche. Es ist Usus, krank zur Arbeit zu gehen. "Präsentismus" nennen das Wissenschaftler. Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung haben sich 42 Prozent aller Beschäftigten in den vergangenen zwölf Monaten mindestens zwei Mal krank zur Arbeit geschleppt.

Kämpf und seinen Kollegen vom DIWA-IT-Projekt geht es vor allem darum, eine nachhaltige Gesundheitsförderung anzuregen. Dazu gehört es, die Teamkultur zu stärken. "Ein funktionierendes Team kann die zentrale Ressource sein, um mit Belastungen umgehen zu können", sagt Kämpf. Außerdem müsse man die Führungskräfte sensibilisieren, die von oben unerfüllbare Forderungen erhalten, die sie nach unten weitergeben sollen. Gerade Chefs mit einem hohen Verantwortungsbewusstsein sind selbst besonders gefährdet, an den Belastungen zu zerbrechen.

© SZ vom 31.10.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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