Nach der Revolution:Deutschland will Universitäten in Ägypten stärken

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"Wir wollen den Wandel erleichtern": Der Deutsche Akademische Austauschdienst will seine Förderung für die Universitäten in Ägypten und Tunesien nahezu verdoppeln - und damit helfen, veraltete Studiengänge zu modernisieren und die Rolle der Studenten zu fördern.

Matthias Winkelmann

Mit bisher etwa sieben Millionen Euro jährlich hat der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) die Hochschulen in Ägypten und Tunesien unterstützt. Nach den Revolutionen in diesen Ländern möchte der DAAD den gesellschaftlichen Wandel befördern und erhöht die Fördersumme um voraussichtlich weitere 6,4 Millionen Euro. Christian Hülshörster ist Gruppenleiter für Nordafrika beim DAAD.

"Die Geisteswissenschaften könnten vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung eine besondere Rolle spielen": Bei Protesten auf dem Tahrir Platz am 26. November küsst ein Demonstrant Hassan Nafaa, Professor für politische Wissenschaften an der Universität Kairo. (Foto: dpa)

SZ: Was verspricht sich der DAAD von der Ausweitung des Förderprogramms in Nordafrika?

Hülshörster: Das ist Teil einer Gesamtstrategie des Auswärtigen Amtes bei der Kooperation mit Ägypten und Tunesien. Bildung ist dabei ein wichtiger Faktor. Gerade Hochschulbildung spielt eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, diese Gesellschaften zukunftsfähig zu machen.

SZ: Unter welchen Bedingungen studieren die jungen Menschen in diesen Ländern bisher?

Hülshörster: Das Hochschulsystem der arabischen Welt liegt seit Jahren ziemlich danieder. Es ist chronisch unterfinanziert. Daran können wir faktisch nicht viel ändern. Wir glauben aber, dass internationale Kooperation einen entscheidenden Beitrag leisten kann, den Prozess des Wandels zu erleichtern. Dabei setzen wir auf einzelne Leuchttürme.

SZ: Die Fördermittel gehen vorrangig nach Ägypten. Welche Rolle spielen die Hochschulen dort?

Hülshörster: Eine wichtige: Ägypten hat die größten Hochschulen in der arabischen Welt. Die Universität Kairo besteht schon seit mehr als hundert Jahren und hat etwa eine Viertel Million Studierende, es ist eine Massenuniversität ohne gleichen.

SZ: Woran fehlt es an den Hochschulen genau?

Hülshörster: Ein Stichwort ist die Berufsbezogenheit der Studiengänge. Die Studieninhalte sind teilweise völlig veraltet, was es den Studenten oft unmöglich macht, anschließend auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Die Studiengänge in diesen Ländern müssen neu entwickelt werden.

SZ: Wie funktioniert die Förderung des DAAD?

Hülshörster: Es gibt Hochschulpartnerschaften mit deutschen Universitäten, für die wir jeweils bis zu 125.000 Euro über drei Jahre bereitstellen. Daneben gibt es Kurzprogramme, die mit bis zu 50.000 Euro gefördert werden. Da geht es um gemeinsame Sommerschulen, Fachtagungen und Konferenzen.

SZ: Was bringen diese gemeinsamen Veranstaltungen?

Hülshörster: Es geht um Hilfe für die ausländischen Hochschulen bei der Selbstverwaltung. Außerdem helfen wir den Studenten bei den sich entwickelnden Ansätzen von Partizipationsmöglichkeiten. Das spielte vor der Revolution überhaupt keine Rolle. Da hatten die Studenten faktisch nichts zu sagen. Jetzt regen sich die ersten Bemühungen, jedoch hat noch niemand Erfahrung damit.

SZ: Der DAAD fördert auch deutsch-ägyptische Studiengänge.

Hülshörster: Ja, wir haben bikulturelle Studiengänge entwickelt, in denen Deutsche und Ägypter gemeinsam studieren. Sie lernen jeweils ein Jahr in beiden Ländern und erwerben am Ende in beiden einen Master-Abschluss. Zum Beispiel bieten wir an der Kairo-Universität in Kooperation mit der Universität Kassel einen Studiengang zu erneuerbaren Energien an. Mit den jetzt geplanten zusätzlichen Summen werden zwei neue Master-Studiengänge in Ägypten entstehen. Der eine Studiengang beschäftigt sich mit Politikwissenschaft und der gesellschaftlichen Transformation, der zweite mit Archäologie und dem Erhalt von Kulturgütern.

SZ: Sind die geisteswissenschaftlichen Disziplinen an den Universitäten ähnlich weit entwickelt wie die naturwissenschaftlichen?

Hülshörster: Nein, die geisteswissenschaftlichen Studiengänge sind hier am wenigsten wettbewerbsfähig. Das ergibt sich aus dem in Ägypten geltenden System. Die Schulnoten bestimmen darüber, welche Fachrichtungen studiert werden. Die guten Abiturienten studieren automatisch Medizin und Naturwissenschaften, dann kommt eine ganze Weile nichts und dann kommen die Geistes- und Sozialwissenschaften. Das ist tragisch, da sie gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung eine besondere Rolle spielen könnten.

SZ: Sie haben jahrelang in Ägypten gelebt und sind auch heute häufig dort und in Tunesien unterwegs. Wie hat sich die Lage seit den Revolutionen geändert, erkennen Sie die Länder wieder?

Hülshörster: Direkt in den Tagen und Wochen nach der Revolution war in Ägypten eine unglaubliche Euphorie im Land. Mit jedem späteren Besuch merkte ich, wie diese Euphorie Stück für Stück der Ernüchterung gewichen ist. Viele Menschen fragten sich, ob der militärische Übergangsrat seine Macht auch wieder abgeben wird. Daneben gibt es ernste wirtschaftliche Probleme. Anfang des Jahres gab es einen enormen Preiszuwachs. Die Preise im Lebensmittelbereich haben sich teilweise verdoppelt. Tunesien dagegen steht besser da. Es verfügt über eine vergleichsweise gut gebildete Mittelschicht.

SZ: Wie wirken sich die aktuellen Entwicklungen in Ägypten aus?

Hülshörster: Die Sorge vor Ort ist groß. Die Menschen fürchten bürgerkriegsähnliche Zustände. Niemand weiß, wie ein Kompromiss zwischen Militär und Demonstranten aussehen kann. Für den DAAD stellt sich nun auch die Frage, wer in Zukunft seine Partner sein werden. Unsere Arbeit wird dadurch nicht leichter.

SZ: In welche Richtung will der DAAD die Förderung weiterentwickeln?

Hülshörster: Wir würden gerne Studenten aus den betroffenen Ländern unterstützen, wenn sie nach ihrem Abschluss in Deutschland zurück in ihre Heimat gehen. Teilweise tun sie sich mit dem Berufseinstieg dort schwer. Mit Unterstützung könnten sie auch selbst Doktoranden beschäftigen, zu Konferenzen reisen oder Arbeitsmittel kaufen. Wir hoffen, dass wir vielleicht noch einmal eine Million Euro extra bekommen.

© SZ vom 28.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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