Kinder mit Rechenschwäche:"Viele glauben, dass sie dumm sind"

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Die Psychologin Heidrun Novak therapiert Kinder, die an Dyskalkulie leiden - denn die Lernschwäche kann schnell auch auf die anderen Schulfächer übergreifen.

Johann Osel

Was lässt sich gegen Dsykalkulie unternehmen? Die Münchner Psychologin Heidrun Novak vom "Arbeitskreis Legasthenie Bayern" betreut als Therapeutin auch Patienten, die an der Rechenschwäche leiden.

Vor allem in den Naturwissenschaften schneiden Finnlands Schüler sehr gut ab. Daher kommen die Gäste scharenweise - um zu ergründen, warum. (Foto: dapd)

SZ: Wird Dyskalkulie überhaupt gesellschaftlich wahrgenommen?

Novak: Im Vergleich zur Legasthenie nur gering. Viele Leute wissen gar nicht, dass es diese Störung gibt und dementsprechend wird sie oft nicht erkannt, gerade auch in der Schule. Besonders häufig sind ja Mädchen davon betroffen, die anders damit umgehen als Jungs, bei denen das oft zu aggressivem Verhalten führt. Mädchen ziehen sich eher zurück, werden noch schüchterner, verlieren an Selbstvertrauen und werden so vielleicht auch in anderen Fächern schlechter.

SZ: Ab wann lässt sich die Diagnose stellen?

Novak: In der Regel erst in der Schule, ab dem Ende der ersten Klasse lassen sich standardisierte Tests machen. Vorher gibt es aber sehr wohl Hinweise auf Dyskalkulie, etwa dass das Kind Mengen und Größen schlecht einschätzen kann. Bei Legasthenie ist das einfacher, weil es spezielle Tests zur Früherkennung gibt.

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Novak: In der Schule wird Dyskalkulie noch selten erkannt, viele Eltern lassen ihre Kinder auf eigene Faust testen. Zudem macht unser Arbeitskreis Aktionen mit kostenlosen Tests, dann ist die Hemmschwelle nicht so hoch - auch für Erwachsene. In der Beratungsstelle hatte ich kürzlich zum Beispiel eine Politesse, die enorme Probleme beim Berechnen der Parkzeiten hatte. Ihre ganze berufliche Situation hing von der Störung ab.

Therapeutin Heidrun Novak vom Arbeitskreis Legasthenie und Dsykalkulie Bayern behandelt auch Kinder mit Rechenschwäche. (Foto: privat)

SZ: Wie läuft eine Therapie ab?

Novak: Gerade bei Kindern steht ganz am Anfang die Stärkung des Selbstvertrauens. Viele glauben, dass sie dumm sind, haben Angst vorm Rechnen. Dann haben wir Lernmethoden, um das Verständnis für Zahlen zu schulen. Hier braucht es vor allem viel Anschauungsmaterial. Ein Beispiel ist die Flugzeugübung: Ein Kind muss 17+14 rechnen. Hier kann man einen Zahlenstrahl malen, an dem der Flieger entlang gleitet. Erst werden die 10 hinzugezählt, bei 27 macht das Flugzeug einen Zwischenstopp, bevor es mit der 4 die Zehnermarke bei 30 überspringt und bei 31 landet. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welch überschaubaren Mitteln und wie schnell man schon Verbesserungen erreichen kann.

SZ: Und wer bezahlt so eine Therapie?

Novak: Wenn die Störung offiziell diagnostiziert wird und beim Kind eine starke seelische Belastung vorliegt, kann das Jugendamt die Kosten übernehmen. Oft veranlassen Eltern aber auch auf eigene Rechnung eine Therapie.

SZ: Ist Dyskalkulie denn heilbar?

Novak: Das Rechnen wird für die Betroffenen immer mühsam bleiben, aber man kann es soweit ausgleichen, dass man selbstbewusst damit umgeht und sich zu helfen weiß. Gerade Erwachsene schämen sich oft dafür. Einen Nachteilsausgleich in der Schule, wie bei Legasthenie, gibt es nicht. Lehrer können aber nach pädagogischem Ermessen, wie es heißt, zusätzliche Hilfestellungen geben.

© SZ vom 19.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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