IW-Studie:Frauen holen am Arbeitsmarkt auf

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  • Dass viele Frauen im Erziehungs- und Sozialbereich tätig sind, scheint ihnen seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise in Europa zugutezukommen.
  • Eine Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, dass die Arbeitslosenquoten von Frauen in fast allen EU-Ländern zurückgegangen sind - während die der Männer gleich geblieben oder gestiegen sind.
  • Frauen haben bei der Beschäftigungsquote auch deshalb gegenüber den Männern aufgeholt, weil in der Industrie viele Stellen weggefallen sind.

Von Teresa Stiens, München

Die Frau am Herd und der Mann in der Maschinenhalle, im Bergwerk oder im Büro, das war vor über 60 Jahren das gängige Bild der Vorbildfamilie. Heute tragen mehr Frauen zum Broterwerb bei, mehr Männer helfen im Haushalt und bei der Kindererziehung.

Doch es gibt immer noch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Während Männer häufig Industrieberufe ausüben, sind viele Frauen im Erziehungs- und Sozialbereich tätig. Genau diese häufig monierte Tatsache scheint Frauen auf Arbeitssuche in Europa seit Ausbruch der Wirtschaftskrise zugute gekommen zu sein. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

In fast allen EU-Ländern sind die Arbeitslosenquoten der Frauen zurückgegangen, während die der Männer gleich geblieben oder gestiegen sind. Bisher waren Frauen vor allem in südeuropäischen Ländern stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer. In Griechenland, zum Beispiel, lag ihre Arbeitslosenquote im Jahr 2005 zweieinhalb Mal höher als die ihrer männlichen Mitbürger. Heute liegt der Unterschied nur noch bei einem Viertel.

Arbeit im Sozialsektor und im Gesundheitswesen

Holger Schäfer, der beim IW für Arbeitsmarkt und Arbeitswelt zuständig ist, macht den Strukturwandel weg von der Industrie- hin zur Dienstleistungsgesellschaft für die Entwicklung verantwortlich. "Das Gesundheits- und Sozialwesen hat seit 2009 expandiert, während die Beschäftigung in der Industrie zurückgegangen ist", sagt Schäfer. Es gibt also mehr Stellen in Berufen, in denen vorrangig Frauen arbeiten, während die Anstellungen in der eher männlich besetzten Industrie- und Schwerarbeit weniger geworden sind.

Für Deutschland heißt das konkret: Während von 2001 bis 2014 in der Industrie 300 000 Arbeitsplätze verloren gingen, wurden im Gesundheitssektor und Sozialwesen 1,3 Millionen neue Jobs geschaffen. Doch die Entwicklung vollzieht sich nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Branchen. In Erziehungsberufen wurden 130 000 Frauen neu eingestellt, während die Zahl der männlichen Arbeitnehmer sogar leicht zurück ging.

Motivation im Job
:15 Prozent haben innerlich gekündigt

Der Großteil der Deutschen leistet im Job maximal Dienst nach Vorschrift. Im "Engagement Index 2014" macht Meinungsforscher Gallup einen Hauptschuldigen für die geringe Motivation vieler Arbeitnehmer aus: den Vorgesetzten.

Das Fazit fällt für die männlichen Arbeitssuchenden äußert negativ aus. 80 Prozent aller zwischen 2001 und 2013 entstandenen Arbeitsplätze wurden mit Frauen besetzt. In Deutschland liegt die Arbeitslosenquote bei Frauen bereits niedriger als die der Männer. Sie beträgt 4,4 Prozent, das sind 0,7 Prozentpunkte weniger. Frauen melden sich allerdings auch tendenziell seltener arbeitslos als Männer - weil sie als Hausfrau oder Mutter tätig sind.

In den meisten europäischen Ländern gibt es prozentual mehr Arbeitslose als in Deutschland. Die Aufholjagd der Frauen ist aber überall zu beobachten. "Egal ob ein Land allgemein eine hohe oder eine niedrige Arbeitslosenquote hat, Frauen profitieren überall", sagt Schäfer. Auch deshalb, weil in der Industrie viele Stellen wegfallen. "Der technische Fortschritt macht viele Berufe überflüssig", so Schäfer.

Bedarf an Jobs im Sozialbereich ist groß

Dass der Sozialsektor in den letzten Jahren ausgebaut wurde, liegt vor allem am demografischen Wandel. 15 Prozent der Menschen in Europa sind laut der Weltgesundheitsorganisation WHO über 65 Jahre alt. Ältere Menschen gehen häufiger zum Arzt, brauchen mehr Pflege und Betreuung. Der Bedarf an Jobs im Sozialbereich ist also groß. Und er wird weiter wachsen. Bis 2050 soll der Anteil der über 65-Jährigen auf 25 Prozent steigen.

Neben dem Strukturwandel ist die bessere Bildung der Frauen ein Grund für den Rückgang ihrer Arbeitslosenquote. In Fachqualifikationen und Hochschulabschlüssen stehen Frauen den Männern in nichts mehr nach. Im Gegenteil: "Heute sind die Qualifikationen bei den Frauen oft besser als bei den Männern", sagt Schäfer.

Die Euphorie über die vermehrte Einstellung von Frauen weicht Ernüchterung, wenn es um die Bezahlung der weiblichen Angestellten geht. Laut einer Studie der Europäischen Kommission verdienen Frauen in der EU im Schnitt 16 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Auch wenn sie schneller einen Job finden, werden sie für ihre Arbeit schlechter bezahlt. "Spannend ist die Frage, ob in den nächsten Jahren die Männer in Pflege- und Sozialberufe ausweichen werden", sagt Schäfer. Spannend ist auch die Frage, ob sich so nach der Arbeitslosenlücke die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen schließen lässt. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung Gleichberechtigung.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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