Italienerin promoviert mit 93:"Jungen Männern renne ich hinterher"

Lesezeit: 4 min

Adriana Jannilli hat mit 93 Jahren ihren Doktor in Jura gemacht. Jetzt hat sie sich erneut eingeschrieben - aus ganz eigenen Gründen.

Maria Holzmüller

Adriana Jannilli ist eine vielbeschäftigte Frau. Wer sie auf dem Handy erreichen will, muss sich flexibel zeigen. Vormittags geht sie zwar ans Telefon, bittet aber um einen späteren Rückruf "am besten um halb zwei"- sie sitzt gerade in einer Vorlesung an der Universität von Urbino. Das ist nicht ungewöhnlich für eine Studentin. Wenn diese allerdings 93 Jahre alt ist und gerade ihren Doktortitel in Jura mit Auszeichnung bestanden hat, ist ein gewisses Interesse durchaus berechtigt. Und natürlich ruft man gerne zur verabredeten Mittagszeit noch mal in Urbino auf dem Handy an.

"Wenn man etwas wirklich will, ist alles möglich": Adriana Jannilli hat an der Universität von Urbino mit 93 Jahren ihren Doktor in Jura gemacht. (Foto: Foto: oH)

Erster Versuch: Adrianas rauchige Stimme ist kurz zu hören, dann rauscht es - und weg ist sie.

Zweiter Versuch: Ein Knacken in der Leitung, italienisches Stimmengewirr im Hintergrund - aufgelegt. Danach erklärt eine freundliche italienische Frauenstimme, dass die gewählte Rufnummer leider momentan nicht erreichbar sei.

Na gut, auf Adriana Jannilli wartet man auch noch länger. Zu groß ist das Interesse, zu erfahren, wer diese Frau ist, die nach einer erfolgreichen Berufslaufbahn als Arbeitsrechtsberaterin mit 88 Jahren auf die Idee kommt, noch mal die Uni zu besuchen, einen Abschluss in Jura zu machen und danach zu promovieren. Seit sie ihr Zeugnis überreicht bekam, ist sie eine Berühmtheit, ihr Foto ging um die Welt. Auf Facebook hat sie ihre eigene Fanseite, Blogs in Taiwan und Polen berichten gleichermaßen staunend über die agile Greisin mit der modischen Sonnenbrille.

16:30 Uhr: Neuer Versuch. Adriana Jannilli hebt tatsächlich ab.

Adriana Jannilli: Als Sie heute Mittag angerufen haben, saß ich gerade in einer Bar, um ein Panino zu essen. Da habe ich kein Wort verstanden, weil es so laut war. Tut mir wirklich leid!

Irgendwie beruhigend normal. Sie hört in Bars nicht gut und ihre Stimme klingt rau und ein bisschen brüchig - so wie 93-Jährige eben sprechen.

Jannilli: Sie müssen entschuldigen, wie ich spreche. Nach einer Krankheit haben sie mir ein Stimmband entfernt, deswegen hört sich meine Stimme jetzt ein bisschen komisch an. Das hat nichts mit meinem Alter zu tun.

Ach so. Diese Frau lässt sich wohl doch nicht so einfach in eine verlässliche Kategorie einordnen.

sueddeutsche.de: Frau Jannilli, warum haben Sie sich mit 88 Jahren noch einmal dazu entschieden, zu studieren?

Jannilli: Ich war über fünfzig Jahre verheiratet. Mein Mann war Arbeitsrechtsberater, ich habe ihm geholfen, wir waren Tag und Nacht zusammen. Als er starb, bin ich erst einmal in eine tiefe Depression gefallen. Nichts in meinem Leben war mehr so wie früher. Eines Morgens stand ich dann vor dem Spiegel und hab zu mir selbst gesagt: "Wie dumm bist du eigentlich, den ganzen Tag nur mit dir selbst zu reden und Trübsal zu blasen. Was zu Ende ist, ist zu Ende. Jetzt muss etwas Neues anfangen." Und ich wollte schon immer Jura studieren.

sueddeutsche.de: Warum gerade Jura?

Jannilli: Am liebsten hätte ich Kriminologie studiert, aber das ist hier in Italien kein eigener Studiengang. Mich interessiert, wieso Menschen bei der Geburt alle gleich sind - und warum sie dann doch so unterschiedlich, gut oder kriminell werden - und wie sie dann beurteilt werden. Das ist unglaublich spannend.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Adriana Jannilli beim Anblick rennender junger Männer denkt.

Forschen im Frauen-WC
:"Ihr habt mich verdorben"

Schrille Sprüche am stillen Örtchen: Katrin Fischer hat an der Uni WC-Graffiti erforscht. Ein Gespräch über die Diskussionskultur im Klo - und anonyme Bekenntnisse zum Lieblingsthema Sex.

Julia Bönisch

sueddeutsche.de: Sie haben ja bereits ein Diplom in Politikwissenschaft und eines in Indonesisch. Jetzt haben Sie sich nach Ihrer Promotion schon wieder neu an der Uni eingeschrieben. Was gefällt Ihnen so am Studium?

Jannilli: Alles. Ich liebe es, zu wissen. Immer mehr zu wissen. Das schüttet bei mir Endorphine, Glückshormone aus. Ich habe es allerdings auch gut: Ich muss nie etwas lernen. Wenn ich etwas lese, weiß ich es schon. Und jetzt habe ich mich für einen Kurs für Arbeitsrechtsberater eingeschrieben. Ich habe diesen Beruf zwar über 50 Jahre ausgeübt, aber als ich damals anfing, war das noch kein Studium. Jetzt, wo es einen speziellen Studiengang gibt, möchte ich den auch machen. Ich will ja nicht den Anschluss verlieren.

sueddeutsche.de: Frau Jannilli ...

Jannilli: Nenn mich Adriana!

sueddeutsche.de: Adriana, was hältst du von der heutigen Studentengeneration, von deinen Kommilitonen?

Jannilli: Die sind alle ganz toll. Wir sind wie eine große schöne Familie an der Uni. Keiner sieht mich komisch an, wenn ich in die Vorlesung komme. Im Gegenteil, sie rufen nach mir, wir trinken einen Espresso zusammen. Sie behandeln mich wie eine von ihnen. Die jungen Leute sind toll. Schuld an der ganzen Bildungsmisere haben nicht sie, sondern wir Alten. Wir interessieren uns doch gar nicht wirklich für die Studenten und Schüler - dabei liegt es doch an uns, ihnen die richtigen Dinge beizubringen in der Schule!

sueddeutsche.de: Würdest du anderen Menschen in deinem Alter auch empfehlen, nochmals ein Studium zu beginnen?

Jannilli: Was heißt in meinem Alter?! Das Alter gibt es gar nicht. Das Problem ist, dass viele Leute irgendwann denken, sie sind zu alt für etwas. Wenn ein junger Mann an ihnen vorbeirennt, sagen sie: "Schade, ich kann nicht mehr so rennen, dafür bin ich zu alt." Aber wenn ein junger Mann an mir vorbeirennt, dann renne ich auch! Ich denke mir bei allem: Was die anderen können, das kann ich schon lange. Deshalb rate ich jedem, das zu tun, wozu er Lust hat. Wenn man etwas wirklich will, dann ist alles möglich.

Kurze Pause.

Jannilli: Wo sitzt deine Redaktion eigentlich?

sueddeutsche.de: In München.

Jannilli: Da gibts einen Flughafen, oder?

sueddeutsche.de: Ja, den gibt es.

Jannilli: Weißt du was, dann komm ich dich im Januar einfach besuchen. Dann kannst du dir selbst ein Bild von mir machen. Und ich lerne bestimmt auch was dazu. ( lacht): Verrückt, verrückt, so leb ich mein Leben.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: