Text: Eva Steidl, Fotos: Sorin Morar, Styling: Dagmar Murkudis
Kapuzenpulli für den Bürostuhl
Anke Bernotat hat zusammen mit Jan Jacob Borstlap Stühle unter die Haube gebracht. Angefangen hatte alles mit der Idee, die Art und Weise des Möbelpolsterns auf den Kopf zu stellen und Mode für Sitzgelegenheiten zu entwerfen. Kleidungsstücke, die alte Stühle verhüllen und neue bekleiden können. Aus dem ironischen Gedankenspiel entstand eine experimentelle Kollektion mit elf Charakteren.
Besonders praktisch: "Hoodini", eine riesige wattierte Kapuze. Der intelligente Überzug schafft private Atmosphäre im Gemeinschaftsbüro und lässt dank akustischer Abschottung einen Stuhl mit einer Handbewegung zum diskreten Telefonplatz werden.
"Pique-Pocket" ist kleidsame Arbeitsmontur mit doppelter Funktion: In den Taschen verstaut man die liebsten Dinge und wenn sie gewärmt werden wollen die Hände.
Anke Bernotat betrachtet die Arbeitswelt auch mal mit einem Augenzwinkern. Designaufgaben experimentell anzugehen - das gefällt ihr am niederländischen Design. Unter anderem deshalb hat die Professorin für Industriedesign Amsterdam zu ihrer Wahlheimat gemacht.
Deckel drauf, wenn die Besprechung mal wieder länger dauert. Barbara Schmidts Porzellanserie besteht aus einfachen Schalen, Bechern und Tellern, die multifunktional und untereinander kombinierbar sind.
Ende der Neunzigerjahre hat die Berliner Designerin die klassische Kaffeekanne von der Tafel verbannt und mit "Update" den Neustart des Porzellanherstellers Kahla begründet. Vor Kurzem wurde die Erfolgsserie um einen zusätzlichen Nutzwert erweitert: Mit der intelligenten Silikonbeschichtung "Magic Grip" an der Unterseite des Geschirrs klappern Kaffeetassen & Co. künftig nicht mehr und behalten auch in Schräglage ihren festen Stand - zu Hause wie am Arbeitsplatz.
Die Berlinerin Barbara Schmidt selbst pendelt zwischen beiden Welten: ihrem Zuhause, ihrem Atelier, wo neue Formen entstehen, und der Kunsthochschule Weißensee, an der sie als Professorin lehrt. Außerdem ist Schmidt oft im thüringischen Kahla. Denn auch in ihrer Funktion als Designchefin des gleichnamigen Porzellanunternehmens ist das Entwerfen vom ständigen Hin und Her zwischen Handarbeit in der Werkstatt und Planungsprozessen im Büro geprägt.
Wiktoria Lenarts "Worknest" ist ein modularer Arbeitsraum. An die Basisteile Tisch und Raumteiler werden Magnettafeln, Ablagen oder Blumentöpfe über eine einfache Nut im Holz an- und umgesteckt.
Die junge Möbelgestalterin aus Breslau hatte vor allem Großraumbüros im Hinterkopf, als sie ihr flexibles Konzept für einen wohnlichen Arbeitsplatz entwickelte. Dort sollte eine Besprechung genauso stattfinden können wie konzentrierte Einzelarbeit - und eine Organisationswand einer Pflanze weichen können, ohne Werkzeug in die Hand nehmen zu müssen.
Statt einer laminierten Tischplatte wählt Lenart strukturiertes Massivholz, statt fester Anbauten Metallwinkel und Kästen, deren Position und Aufgabe vom Nutzer bestimmt werden.
Kreatives Arbeiten und Gestaltungsfreiheit des eigenen Arbeitsumfelds bedingen sich, sagt die polnische Designerin. Das fand sie selbst mittels einer Studie heraus, für die sie unzählige Fotos von Büroarbeitsplätzen sammelte und auswertete. Immer dabei: Klebezettel, die nun an Lenarts rollbarem Raumteiler Platz finden und bei Bedarf einfach weggeschoben werden.
Ordnung im Büro:"Die Welt ist auf Schreibtischen gewachsen"
Steinmeier holt noch extra Aktenstapel, Putins Büro erinnert an Hitler und der Schreibtisch von Klaus Staeck ist eine Art Kunstwerk: Konrad Rufus Müller fotografiert seit Jahrzehnten Promis am Arbeitsplatz.
Wenn man den Computer überall mitnehmen kann, warum nicht auch die Arbeitsleuchte? "Follow Me" ist kein reines Funktionslicht, sondern flexibler Begleiter mit warm-weißem Schein, entworfen von der spanischen Designerin Inma Bermúdez.
Sie leuchtet auch dort, wo eine Steckdose fehlt, muss erst nach fünf Stunden Betrieb über ihren USB-Anschluss wieder ans Stromnetz und kann bis dahin vom Schreibtisch in die Leseecke, ins Außenbüro und wieder zurück wandern.
In Inma Bermúdez Zuhause ist die kleine Leuchte ständig in Bewegung: Mit ihrem Partner lebt sie nahe Valencia in einem Haus mit Gemüsegarten, Hunden und Hühnern. Dass Wohnraum, Büro und Werkstatt unter einem Dach sind empfindet sie als große Freiheit. Denn das Entwerfen, so die Designerin, kennt keinen Feierabend. Eine schnelle Skizze, eine Notiz, ein Foto zwischendurch als dokumentierte Alltagsbeobachtungen sind für sie wichtige Werkzeuge bei der Entwicklung zukunftsfähiger Produkte.
Zufriedenheit am Arbeitsplatz:Schluss mit der Würfelhusten-Einrichtung!
Grelles Licht, zweckmäßig und viel Resopal: Büros sind architekturfreie Zonen, geprägt von Verordnungsterror und Billigeinrichtung. Ganz schön dumm von den Chefs.
Geschirr und frische Kräuter finden auf den variablen Blechauflagen Platz, drei Holzboxen sind klassischen Gemüsekisten nachempfunden und können mit einem Handgriff zusammengeklappt und übereinandergestapelt werden. Dann rollt der Trolley mit seinen gummibereiften Rädern zum nächsten Einsatz - auch in schwierigem Gelände, zum Mittagessen im Freien oder zum spontanen Gartenfest mit Kollegen.
Der smarte Wagen entstand im Rahmen von Anna Lieschs Abschlussarbeit, für die sie sich mit flexiblen Konzepten für die Nahrungsaufnahme beschäftigte und Straßenküchen für sich entdeckte. Deren Verhältnis von minimalem Raum und maximaler Nutzfläche wurde für sie zur Maxime.
Liesch selbst meidet das Büro und arbeitet als gelernte Schreinerin am liebsten in ihrer Werkstatt - mittlerweile nicht mehr nur mit Holz. Mit sechs anderen Kreativen teilt sie sich Atelier und Arbeitsmaterial, von der Ledernähmaschine bis zum 3-D-Drucker.
Der Originalentwurf des "Uten.Silo" stammt aus dem Jahr 1969 - damals war Plastik der dominierende Werkstoff im Design. Und Dorothee Becker hatte keine Ahnung, dass ihr Zufallsentwurf noch Jahrzehnte später ein beliebter Ordnungshüter sein würde, der in Sammlungen weltweit seinen festen Platz in der Designgeschichte findet.
Aus einem Holzlegespiel mit geometrischen Formen, welches sie für ihre Kinder entwickelt hatte, entstand die Produktidee für ein Wandobjekt mit Fächern oder Köchern zum Verstauen von Dingen, die man schnell zur Hand haben möchte. Dabei war Becker weder Designerin noch kannte sie sich besonders mit Fertigungstechniken aus. Ingo Maurer, ihr damaliger Ehemann und Koryphäe des Licht-Designs, investierte in eine Spritzgussform für die Kunststoffherstellung.
Heute produziert Vitra das "Uten.Silo". Es ist zeitlos gut, hat nichts von seinem multifunktionalen Charakter verloren und ist eine universelle Antwort auf unser Bedürfnis nach Struktur und analoger Ordnung, wenn der digitale Datenwahn überhandnimmt. Becker benutzt selbst ein "Uten.Silo" in ihrem Badezimmer zu Hause in München.
Süddeutsche Zeitung:PLAN W - Frauen verändern Wirtschaft
PLAN W ist das Wirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung am Wochenende. Viermal jährlich überraschende Fakten, begeisternde Reportagen und bewegende Vorbilder. Alle bisher erschienenen Ausgaben finden Sie hier.
Ausstellung: Alle hier gezeigten Designobjekte sind noch bis zum 10. Januar 2016 in der Neuen Sammlung / Pinakothek der Moderne in München zu sehen. (Mehr Informationen unter: www.die-neue-sammlung.de)