Gleichberechtige Arbeitswelt:Der neue starke Mann

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Wer Gleichberechtigung will, muss das Arbeitsleben verändern: Jemand der 80 Stunden in der Woche arbeitet, ist kein Gewinnertyp. Statt Selbstausbeutung zu verherrlichen, sollten Männer sich lieber neue Vorbilder suchen - und über eine Männerquote beim Kinderarzt nachdenken.

Gunnar Herrmann

Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Dieser Satz mag heute nicht mehr ganz so gültig sein wie früher, er hat aber dennoch einen wahren Kern: Knapp und anschaulich beschreibt er, dass die Geschlechterrollen in der Gesellschaft untrennbar voneinander abhängen. Dies wird in der Debatte um die Frauenquote, die derzeit wieder von der EU angeheizt wird, leider nur allzu gern übersehen.

Mehr Zeit für die Familie, weniger Druck im Büro: Wer eine gleichberechtigte Arbeitswelt will, muss bereit sein, etwas zu ändern. (Foto: dpa)

Doch wenn die Frau, dem Ideal der Gleichberechtigung folgend, nun nicht mehr hinter ihrem Gatten steht, sondern neben ihn tritt, dann ändert sich dabei eben nicht nur ihre Rolle - sondern zwangsläufig auch seine. Um im Bild zu bleiben: Er muss lernen, für sich selbst zu stehen, ohne dass ihm jemand den Rücken freihält. Dieser Wandel, der zu den größten Umbrüchen unserer Zeit gehört, wird nicht nur den Mann verändern, sondern auch die Arbeitswelt, die er so lange dominiert hat.

Die Debatte um die Frauenquote schärft das Bewusstsein für diese Fragen. Die Quote selbst wird das Problem allerdings nicht lösen. Sie ist auf dem Weg zur Gleichberechtigung bestenfalls eine Krücke. Wie gleichberechtigt eine Gesellschaft ist, lässt sich eben nicht einfach an der Zahl der Managerinnen in Spitzenpositionen messen. Denn in den Karrieren der allermeisten Frauen geht es nicht um Vorstands- und Aufsichtsratsposten. Viel wichtiger sind für sie jene Entscheidungen, die täglich in der Familie am Küchentisch getroffen werden. Wer sagt die Dienstreise ab, wenn das Kind krank ist? Wer macht Abendessen statt Sonderschichten? Wer liest das Gute-Nacht-Buch vor und lässt dafür sein After-Work-Bier stehen?

In den meisten Familien lautet die Antwort auf alle drei Fragen überwiegend: die Mama. Das muss sich ändern. Viel bessere Gradmesser für Gleichberechtigung als die Frauenquote in einer winzigen Elite wären die Männerquoten beim Elternabend, auf dem Spielplatz und im Wartezimmer des Kinderarztes.

Viele Männer haben das begriffen und versuchen bereits, ihrer neuen Rolle gerecht zu werden. Leider werden sie es dabei so lange schwer haben, wie in der Gesellschaft und insbesondere im Berufsleben ein veraltetes Rollenbild vorherrscht. Man muss sich nur einmal Interviews und Managerporträts in der Wirtschaftspresse durchlesen oder Feierabendgesprächen erfolgreicher Akademiker lauschen.

Es wird nicht lange dauern, bis man dabei auf Sätze wie diesen stößt: "Ich arbeite 80 Stunden die Woche." Oder: "Im Job gebe ich 150 Prozent." Oder auch: "Die wenige Zeit, die ihm neben seinem Beruf noch bleibt, verbringt er am liebsten mit seinen Kindern." In solchen Aussagen spiegelt sich das alte Bild vom Familienernährer wider - jenem legendären Mann, der früher außerhalb des Heims einsam das Dasein der Sippe sicherte. Dieses Bild taugt aber nicht als Modell für ein gleichberechtigtes Erwerbsleben. Denn würden neben den Männern nun auch die Frauen diesem zu Unrecht verklärten Ideal nacheifern, dann wäre bald niemand mehr zu Hause.

Auch Männer wollen sich heutzutage stärker an der Erziehung und Betreuung der Kinder beteiligen. Die Realität sieht aber oft anders aus.   (Foto: dpa)

Es gilt also, ein paar Dinge in unserer Wahrnehmung geradezurücken. Erstens ist die Überstunde, jene gerade in Deutschland so beliebte Variante der Streberei, der Feind jeder Gleichberechtigung innerhalb der Familie. Sie sollte im Sinne eines flexiblen Arbeitsalltags natürlich möglich sein, aber unbedingt immer eine Ausnahme bleiben.

Zweitens ist jemand, der 80 Stunden in der Woche arbeitet, kein Gewinnertyp. Denn er erleidet beim täglichen Kampf um ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben viel zu oft eine Niederlage. Statt Selbstausbeutung und Opferwillen zu verherrlichen, sollte Mann sich lieber neue Vorbilder suchen. Vorbilder, die Werte wie Effizienz und einen maßvollen Umgang mit den eigenen Kräften verkörpern. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Kollegen, der immer schon um 17 Uhr das Büro verlässt und seine Arbeit trotzdem schafft? Oder mit jenem, der neulich ein Projekt ablehnte und dabei offen zugab, dass ihm das zu viel wird?

Männerideale dieser Art wären ein Fortschritt. Aber sie bringen nichts ohne breite Unterstützung am Arbeitsplatz und durch die Vorgesetzten. Hilfreich wäre es schon, wenn Chef oder Chefin einfach mal mit gutem Beispiel voran- und das heißt: öfter pünktlich zum Dienstschluss nach Hause gingen. Viele verhalten sich ja eher wie die Kapitäne auf sinkenden Schiffen und verlassen grundsätzlich immer als Letzte das Büro. Wer souverän führt, der könnte dagegen seine Abteilung auch einmal sich selbst überlassen, um etwa mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen. Eine Freiheit, die sich dann vielleicht auch die Mitarbeiter öfter herausnehmen würden. Eine grundlegende Veränderung der Geschlechterrollen kann letztlich nur gelingen, wenn die Arbeitswelt flexibler und vor allem ein wenig gelassener wird.

Profitieren würden dabei nicht nur die Frauen. Der neue Mann verbringt weniger Zeit am Arbeitsplatz als sein Vorgänger aus patriarchalischer Zeit. Dafür leistet er mehr außerhalb des Büros. Er verdient vielleicht ein bisschen weniger, aber dafür muss er die Familie auch nicht alleine ernähren. Denn der neue Mann hat bei dieser Aufgabe eine ebenbürtige Partnerin. Kündigung und Arbeitslosigkeit wirken auf ihn deshalb nur noch halb so bedrohlich. Das macht ihn mutiger, selbstbewusster und stärker, als er es mit einer Frau, die hinter ihm steht, je hätte sein könnte. Er ist einer der großen Gewinner der Gleichberechtigung.

© SZ vom 16./17.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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