Geschichte einer Kündigung:Wem gehört der Müll?

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Ist es Diebstahl von Firmeneigentum, wenn ein Müllmann ein weggeworfenes Kinderbett mitnimmt? Vor dem Arbeitsgericht Mannheim streitet heute eine Entsorgungsfirma in einem spektakulären Prozess.

Julia Bönisch

Wem gehört das Leergut im Abfalleimer an der Straßenecke? Wer darf Anspruch erheben auf den Stuhl, den der Nachbar für den Sperrmüll vor die Tür gestellt hat? Und wer ist der Eigentümer der achtlos in die Büsche geworfenen alten Jacke?

Mehmet G. vor dem Arbeitsgericht: Nach neun Jahren Beschäftigung erhielt er von seiner Firma die fristlose Kündigung. (Foto: Foto: dpa)

Kurz, wem gehört eigentlich Müll? Und darf man ihn einfach so mitnehmen - oder ist das Diebstahl, eine Straftat?

Um diese eigentlich banale Frage wird vor dem Arbeitsgericht Mannheim erbittert gestritten. So erbittert, dass die Parteien einen Vergleich ausschließen und notfalls durch alle Instanzen gehen wollen.

Schade um das schöne Bett

Das Corpus delicti ist ein ausrangiertes Kinderbett, das irgendjemand weggeworfen hatte. Es wartete im Dezember 2008 im Container einer Mannheimer Gesellschaft für Abfallbeseitigung und Städtereinigung auf seine Vernichtung. Doch das Bett war noch gut in Schuss. Also dachten sich die Mitarbeiter, wie schade es wäre, es wirklich zu verschrotten. Da gab es doch den Kollegen Mehmet G., der kürzlich seine zweite Tochter bekommen hatte und es sicher gut gebrauchen könnte.

"Nimm's doch mit", sagten sie dem 29-Jährigen. "Wenn du's nicht nimmst, dann nimmt es einer von uns." Also packte Mehmet G. das Kinderbett aus dem Müllcontainer und in seinen Kofferraum - ganz offen auf dem Firmenparkplatz, unter den Augen der Kollegen, gefilmt von mehreren Überwachungskameras.

"Er wollte nichts verheimlichen", sagt Mehmet G.s Anwalt Thomas Karl. "Er hatte ja auch gar nichts zu verheimlichen. Wer rechnet schon damit, dass der Chef dieses Verhalten als Diebstahl wertet und wegen so einer Sache eine fristlose Kündigung ausspricht?"

Mehmet G. jedenfalls hatte nicht damit gerechnet - doch genau dies geschah: Ein Mitarbeiter sah das Kinderbett im Kofferraum, befahl ihm, es sofort herauszugeben und berichtete den Vorfall dem Vorgesetzten. Obwohl Mehmet G. das Kinderbett sofort wieder auspackte und damit noch nicht einmal vom Hof seines Arbeitgebers gefahren war, erhielt er noch am gleichen Tag die Kündigung. Fristlos.

Vertrauensbruch als Argument

Mehmet G. beteuert, er habe nicht gewusst, dass er sich mit seinem Verhalten einer Straftat schuldig gemacht habe. Sein ehemaliger Arbeitgeber dagegen sagt, G. habe Firmeneigentum gestohlen. Deshalb sei eine fristlose Kündigung auf jeden Fall gerechtfertigt.

Das Entsorgungsunternehmen argumentiert vor Gericht genauso wie die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann im Fall Barbara E.: Die Kassierein, die in den Medien nach einer Solidaritätskampagne Emmely genannt wird, soll zwei Pfandbons von Kunden im Wert von 1,30 Euro eingelöst und das Geld behalten haben. Auch Barbara E. wurde fristlos gekündigt. Auf den Wert der Sache käme es in diesem Fall nicht an. Vielmehr, so sagt Kaiser's Tengelmann, gehe es um den Vertrauensbruch. Das Landesarbeitsgericht Berlin bestätigte die Kündigung, E. will jedoch in die Revision gehen.

Auf der nächsten Seite: Mehmet G. geht es um seinen guten Ruf. Worum es hingegen der Entsorgungsfirma geht, ist nicht so einfach zu erklären.

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An den Haaren herbeigezogen

Die Prozesse um Barbara E. und Mehmet G. sind jedoch keine Einzelfälle. Vielmehr reihen sie sich ein in eine Kette aufsehenerregender Kündigungen der jüngsten Zeit: Im März 2009 kündigt eine Bäckerei-Kette in Bergkamen zwei Mitarbeitern, die einen Brotaufstrich gestohlen haben sollen. Im Februar 2009 wird eine Bäckereiverkäuferin in Friedrichshafen am Bodensee wegen eines Fehlbetrags von 1,36 Euro in der Kasse fristlos entlassen. Im September 2008 muss eine Krankenhausmitarbeiterin aus Hohenlohe gehen, weil sie angeblich zwei Brötchen gestohlen hatte. Und jedes Mal fragt eine erstaunte Öffentlichkeit: Rechtfertigt solch eine Kleinigkeit eine so harsche Reaktion?

G.s Anwalt Thomas Karl hält den Vergleich mit dem Fall Barbara E. für an den Haaren herbeigezogen. Der Arbeitgeber sei ein Entsorgungs- und kein Müllverarbeitungsunternehmen. "Es ist also klar, dass die Firma das Kinderbett in keiner Form behalten wollte. Müll ist herrenlos - und kein Firmeneigentum. Also hat Herr G. auch keinen Diebstahl begangen. Und wo kein Vergehen, da auch keine Kündigung." Zudem sei die Reaktion des Vorgesetzten nicht verhältnismäßig. "Herr G. war neun Jahre im Unternehmen tätig, da hätte die Firma schlimmstenfalls eine Abmahnung aussprechen dürfen."

Die Gegenseite behauptet nun, eine Abmahnung hätte es zuvor bereits gegeben - wegen einer geklauten Rolle Toilettenpapier. Den Beweis dafür blieb sie vor Gericht jedoch schuldig.

Inzwischen ist der Fall so festgefahren, dass beide Seiten einen von der Richterin angeregten Vergleich ablehnten. Für Mehmet G., der immer noch arbeitssuchend ist, geht es um seinen guten Ruf. Er möchte nicht als Dieb dastehen.

Günstige Leiharbeiter

Worum es hingegen der Entsorgungsfirma geht, ist nicht so einfach zu erklären: Da in Mannheim noch mehrere Kündigungsprozesse gegen das Unternehmen laufen, beäugt man dessen Personalpolitik in der Stadt kritisch. Es wird gemunkelt, der Entsorger wolle die Festangestellten loswerden und durch günstigere Leiharbeiter ersetzen. Die Firma selbst will zu den Gerüchten - wie auch zum laufenden Verfahren - keine Stellungnahme abgeben.

Sollte das Arbeitsgericht Mehmet G.s Kündigung heute für rechtens erklären, ist der Streit wohl noch lange nicht beigelegt: "Wir ziehen durch alle Instanzen", sagt Anwalt Karl.

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