Führungsspitzen:Ja, was tippen sie denn?

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Das schlechte Gewissen im Nacken: Bahnfahren kann so schön sein - bis der Hintermann den Laptop aufklappt. Dann wird es ansteckend.

Nicola Holzapfel

Manche Werbung erreicht genau das Gegenteil dessen, was sie erreichen will: Sie vergrault einen Teil der Kunden. Das liegt entweder daran, dass sie auf Englisch daher kommt und kaum einer ihren Sinn versteht. So wird aus dem Slogan "Sense and simplicity" von Philips in der Übersetzung eines überforderten Werbeadressaten "Sinn und Einfalt", wie eine Studie der Agentur Endmark über englische Slogans zeigt. Aus "Broadcast Yourself" von Youtube wird gar: "Mache deinen Brotkasten selbst."

Seltener Genuss: ein leeres Zugabteil, in dem man einfach seinen Gedanken nachhängen kann. (Foto: dpa)

Aber auch deutsche Sprüche können unerwünschte Assoziationen auslösen. "Die Statistik erledigen? Die Bilanz? Das Protokoll? Julians Hausaufgaben?", fragt etwa die Bahn potentielle Reisende und wirbt mit dem Slogan "Bahnfahrer nutzen ihre Zeit sinnvoll".

Damit erinnert sie jeden Bahnreisenden an eine Entwicklung, die ihm nicht verborgen bleiben konnte. Vorbei sind die Zeiten, da es möglich war, sich dem Gefühl des Reisens hinzugeben. Blickt man heute aus dem Fenster und hängt Gedanken nach, stört auf einmal dieses Geräusch. Etwas klappert im Rücken. Unentwegt, eifrig. Ein kurzer Blick zurück zeigt: Der Fahrgast einen Sitz weiter hinten hat einen Laptop offen und scheint zu arbeiten. Man versucht hinauszusehen, aber auf einmal fallen einem all die Dinge ein, die man selbst tippen sollte. Den Brief an den Steuerberater. Die Online-Überweisung an den Stromdienstleister, die nächste Führungsspitze. Und auf einmal geht es nicht mehr, Nichtstun.

Das ist das Perfide am öffentlichen Laptop-Arbeiten: Es ist ansteckend. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich diese unentspannt betriebsame Art des Bahnreisens in den vergangenen Jahren so erschreckend verbreiten konnte. Die mobilen Arbeiter sind inzwischen überall. In der Regionalbahn. Im Mutter-Kind-Abteil. Im Bistro. Und ist der Zug überbucht, sitzen sie sogar auf dem Gang.

Was im Großraumbüro stört, ist hier ok

Es ist schon eigenartig: In Großraumbüros beklagen sich die Mitarbeiter über den Lärm der anderen und die Schwierigkeiten, sich dabei zu konzentrieren. Tatsächlich belegen verschiedene Studien, dass Beschäftigte in Großraumbüros gestresst und weniger produktiv sind. Nach einer Studie der Hochschule Luzern stören sich Großraumarbeiter unter anderem an den Gesprächen der Kollegen und an der schlechten Luft.

Aber das gilt offenbar nicht fürs Großraumabteil der Bahn, obwohl es auch hier nicht immer gut riecht und viel Unnötiges gesprochen wird, zum Beispiel bei von Funklöchern unterbrochenen Handy-Telefonaten ("Rudi, bist du noch da?" - "..." - "Ja, ich hör dich".) Wer solchen Gesprächen als Unbeteiligter im Großraumabteil gezwungenermaßen zuhören muss, kommt nicht umhin sich zu fragen: Wer sind diese wichtigen Menschen? Auf jeden Fall sind sie viele. Wie eine Studie des IT-Verbands Bitkom zeigt, sind zwei Drittel aller Angestellten auch außerhalb ihrer Arbeitszeiten stets per Handy und Mail erreichbar. Die Armen, könnte man sagen, wenn man nicht wüsste: ihre Mitmenschen leiden viel mehr.

Es ist hier offenbar eine ganz neue Form des Allround-Arbeitens entstanden. Deren Anhänger werden ihr Plätzchen immer zum Arbeiten zu nutzen wissen. Optimisten vermögen darin eine Fortentwicklung der Menschheit zu sehen: den Homo Flexiblis oder sogar Homo DBilis. Bleibt nur eine Frage: Was tippt er denn da immer und überall? Ach so, die Bahn weiß es ja: Die Statistik, die Bilanz, das Protokoll und Julians Hausaufgaben.

© SZ vom 5.7.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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