Wie entscheiden?:"Wir stellen uns automatisch das Schlimmste vor, was passieren könnte"

Lesezeit: 3 min

(Foto: Nathan Dumlao/Unsplash)

Was soll ich studieren? Soll ich meinen Job behalten oder kündigen? Philip Meissner ist Professor für Entscheidungsfindung und erklärt, wie man sich das Entscheiden leichter macht.

Interview von Larissa Holzki

Für viele der 1,9 Millionen Absolventen in Deutschland stellt sich gerade wieder die Frage, was sie nach der Schule machen sollen. Die Entscheidung für eine Ausbildung oder einen bestimmten Studiengang ist eine der wichtigsten in ihrem Leben - zumindest kommt es ihnen so vor. Auch Berufstätige tun sich mit wegweisenden Entschlüssen schwer. Ist das wirklich nötig? Philip Meissner, Professor für Strategisches Management und Entscheidungsfindung, behauptet: "Entscheiden ist einfach".

Herr Meissner, vor allem Abiturienten stehen nach dem Abschluss so viele Wege offen, dass sie unmöglich alle vergleichen können. Wie können sie da eine gute Entscheidung treffen?

Philip Meissner: Wenn ein Absolvent von der Vielzahl der Studiengänge erschlagen ist, muss er sich vielleicht erst mal Gedanken über seine Prioritäten machen. Ist mir die Fachrichtung wichtiger oder der Ort? Dann wird schnell klar, dass viele Optionen gar keine Optionen sind. Und dann sollten sie sich selbst gegenüber fair bleiben.

Wie meinen Sie das?

In der Regel beurteilen Menschen ihre Entscheidungen im Nachhinein. Wenn man sich fragt, war meine Entscheidung vor drei Jahren gut, dann beurteilt man sie mit einem Wissen, das man damals nicht hatte. Zum Beispiel, ob man sich in Hamburg wohlfühlen oder wie der Arbeitsmarkt sich entwickeln würde. Eine Entscheidung ist gut, wenn sie zum Zeitpunkt der Entscheidung gut ist. Das Studienfach kann man ja auch noch mal wechseln.

Bei beruflichen Entscheidungen kann das anders sein. Da ist vielleicht diese eine Chance auf einen Job oder ein Forschungsprojekt, die nie wiederkommt.

Ein Problem, das bei Entscheidungen oft auftritt, ist, dass wir diese dramatisieren. Wir stellen uns automatisch das Schlimmste vor, was passieren könnte. Das Problem dabei ist, dass wir Risiken sehr viel stärker bewerten als potenzielle Gewinne

Philip Meissner ist Professor für Strategisches Management und Entscheidungsfindung an der ESCP Europe Berlin. (Foto: privat)

Das könnte ein Grund dafür sein, dass viele Menschen von sich sagen, sie seien nicht gut im Entscheiden. Sie sind Professor für Entscheidungsfindung. Von Ihnen müssten man das also lernen können. Wie finde ich also heraus, ob ich ein Jobangebot annehmen, eine Umschulung beginnen oder mich selbständig machen soll?

Beim Entscheiden gibt es im Wesentlichen drei Phasen. Erstens müssen Sie identifizieren, welches Problem Sie mit Ihrer Entscheidung lösen müssen. Wenn Sie zum Beispiel unzufrieden im Job sind, können Sie sich fragen, bei welchem anderen Unternehmen Sie sich bewerben wollen. Vielleicht ist der Grund für Ihre Unzufriedenheit aber nur Ihr Vorgesetzter. Dann könnten Sie Ihr Problem auch mit einem Abteilungswechsel lösen. Das ist der schwierigste Teil.

Wie finde ich die Ursache meines Problems?

Eine ganz einfache Möglichkeit ist, dreimal "warum" zu fragen. Warum will ich den Job wechseln? Weil ich mit meinem jetzigen Job unzufrieden bin. Warum bin ich mit meinem jetzigen Job unzufrieden? Weil ich mit meinem Vorgesetzten nicht zurechtkomme. Warum komme ich mit meinem Vorgesetzten nicht zurecht? So kommen Sie schon ziemlich tief an die Ursache und können in Phase zwei Leute um Rat fragen.

Von wem sollte ich mich beraten lassen?

Am besten von Menschen, die das Problem schon mal gelöst haben und aus deren Erfahrung man lernen kann. Bevor ich mich beispielsweise für meinen MBA entschieden habe, habe ich mit Studierenden von verschiedenen Hochschulen gesprochen. Außerdem sind Kritiker wichtig: Suchen Sie sich jemanden, der die Arbeit bei einem Großkonzern, die neue Stadt oder Ihre Karrierestrategie im Hinblick auf langfristige Ziele kritisch sieht oder sich in einen Kritiker hineinversetzen kann.

Damit liegen alle Argumente auf dem Tisch. Im schwierigsten Fall halten sich Für und Wider aber die Waage. Und dann?

Dann sollten Sie sich eine Deadline setzen und entscheiden. Machen Sie sich klar: Wenn Sie keine Entscheidung treffen, ist das auch eine Entscheidung. Etwa für den aktuellen Job.

Kann man denn für die großen Entscheidungen im Alltag üben?

Wir treffen jeden Tag 20 000 Entscheidungen. Wenn wir dabei immer einem Prozess folgen, können wir unseren Alltag nicht mehr bewältigen. Wenn man allerdings die Tendenz dazu hat, Entscheidungen ungern zu treffen oder immer dem Partner zu überlassen, kann man zur Übung eine Woche lang alle Entscheidungen übernehmen. Was kochen wir, gehen wir ins Kino oder ins Theater, welchen Film schauen wir an. Eine Woche lang dürfen Sie darauf nicht mit "egal" antworten. Das ist eine gute Übung.

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