Serie "Arbeiten nach Corona":Jetzt reisen nur noch die ganz Wichtigen

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Ein Leben aus dem Koffer - nur noch eine Erinnerung? (Foto: imago images; Bearbeitung SZ)

Rollkoffer, Tomatensaft, Businessclass: Die einen nervt die Dienstreise, für die anderen ist sie das Statussymbol der modernen Arbeitswelt schlechthin - in Zukunft könnte sie es mehr denn je sein.

Von Lea Hampel, München

- So allgegenwärtig war die Geschäftsreise, dass sich für ein Flugzeug voller Menschen in Anzügen über die Jahre sogar ein Spitzname etabliert hat: Bankerbomber. Inzwischen wirkt der Bankerbomber wie eine Kuriosität der Vergangenheit. Der Banker von heute zeigt sich auf dem Bildschirm. Durch die Corona-Pandemie ist nicht nur kurzfristig manches Flugzeug nicht gestartet - wer geschäftlich reist, dürfte sich auch langfristig ändern.

Dabei war die Reise für den Job lange einerseits Prestigesymbol: Heute Berlin, morgen Dublin, übermorgen Zürich - das Jetsetten dürfte manchem das Ego vergrößert haben. Andererseits beschwerten sich viele darüber, dauernd durch die Gegend geschickt zu werden: Alle paar Wochen in die USA, für eine Werksbesichtigung mal eben nach Bangalore - ein Arbeitsalltag inklusive Bord-Tomatensaft und Jetlag machte nicht jeden froh. Zumal die Zahl der Reisen über die Jahre kontinuierlich gestiegen war. Knapp 190 Millionen Dienstreisen haben Arbeitnehmer hierzulande 2018 unternommen, zeigen Zahlen des Verbands Deutsches Reisemanagement (VDR), rund 30 Prozent mehr als 2004.

Dass sich das ändern dürfte, wurde zuletzt eindrucksvoll belegt. 90 Prozent der 500 Unternehmen, die das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft befragt hat, gaben nun an, Dienstreisen hinterfragen zu wollen. Und gegenüber der Deutschen Presse-Agentur erklärten unter anderen Deutsche Post, Deutsche Telekom und Bayer, "eine Mischung aus persönlichen Treffen und virtuellem Austausch" anzustreben. Vor allem die Pharma-, Computer- und Chemiebranche wollen laut Ifo-Institut Dienstreisen deutlich reduzieren.

"Wir merken derzeit, was digital alles möglich ist und dass viele persönliche Meetings durch digitale Tools ersetzt werden", sagt eine Thyssenkrupp-Sprecherin. Henner Rinsche, Vorstandschef des Haushaltswarenherstellers Leifheit, beobachtet, dass sich die Kommunikation trotz gestrichener Reisen nicht verschlechtert hat - sondern sogar verbessert: "Wir sehen, dass die Standorte näher zusammenrücken, da die Kollegen der anderen Standorte viel schneller und spontaner zu virtuellen Meetings eingeladen werden als früher."

Abhalten dürfte so manches Unternehmen auch schlicht die Unabwägbarkeit der Reiseplanung. Das Auswärtige Amt warnt weiterhin vor "nicht notwendigen" Reisen in Länder außerhalb der EU und des Schengenraums. Zudem verschärfen gerade zahlreiche Staaten wegen steigender Infektionszahlen ihre Einreisebestimmungen. Beim Haushaltswarenhersteller Leifheit herrscht für alle nicht-europäischen Regionen nach wie vor ein komplettes Reiseverbot - und das, obwohl das Unternehmen auch in China aktiv ist.

So etabliert sich gerade in vielen Unternehmen eine neue Praxis: War die Unterschrift unter den Reiseantrag früher Formsache, gelten nun strenge Vorgaben. "Jeder Mitarbeiter ist dazu angehalten, seine inländische Dienstreise genauestens zu prüfen, ob diese zum jetzigen Zeitpunkt wirklich notwendig ist oder durch eine Videokonferenz ersetzt werden kann", sagt Bettina Karsch, Personalchefin von Vodafone Deutschland. Auslandsreisen bedürfen einer Genehmigung, im Inland sollen Mitarbeiter möglichst aufs Auto umsteigen.

Ein weiterer Aspekt macht die Reisefrage kompliziert: Was, wenn jemand reisen soll, aber nicht möchte? Der Anwalt Axel Boysen, der Auslandsentsendungen von Unternehmen betreut, spricht von "rechtlichem Neuland". Theoretisch ist der Arbeitgeber zwar befugt, Mitarbeiter zu Außeneinsätzen zu schicken. Ist eine Gegend allerdings Quarantänegebiet oder gilt eine Corona-Warnung, kann der Arbeitnehmer die Dienstreise verweigern: "Beschäftigte müssen grundsätzlich ihre Arbeitsleistung nicht unter Umständen erbringen, die mit erheblichen Gefahren für ihr Leben oder ihre Gesundheit einhergehen", schreibt die Gewerkschaft Verdi. Doch wo das Risiko groß ist, ist oft auch eine persönliche Ermessensfrage - und kann sich schnell ändern.

"Die Planung macht den Unternehmen auf jeden Fall mehr Mühe als zuvor", sagt Anwalt Boysen. Das liegt auch an den unterschiedlichen Vorgaben der Länder. In manchen Staaten brauche man Gesundheitschecks bei der Einreise, in anderen eine bestimmte App. "Die regionale Interpretation von landesweiten Regelungen erschwert die Lage zusätzlich." Ein besonders kompliziertes Beispiel ist Boysens Erfahrung nach China, wo Einreisende in Quarantänezentren müssen. Und weil sich natürlich auch nach der Rückkehr noch Probleme auftun können, hat Anwalt Boysen beispielsweise Klienten, deren Mitarbeiter täglich Fragen zu ihrem Befinden beantworten müssen. So wollen Unternehmen Verdachtsfälle rechtzeitig entdecken. Bei Vodafone gibt es eine zusätzliche Taskforce, die Fälle von Mitarbeiterinnen begleitet, die tatsächlich erkrankt waren.

Eines zeichnet sich ab: Gerade weil es teurer und aufwendiger wird, ist es eine Frage der Hierarchie, wer reisen darf. "In der Regel werden höhere Ebenen oder Spezialisten als Erstes wieder losgeschickt", beobachtet Anwalt Boysen. Reisen finden vor allem auch dann statt, wenn vor Ort eher technische Fragen zu klären sind. "Wo die Produktion stillsteht, wenn niemand kommt, wird auch wieder gereist werden", sagt Boysen. Das bestätigt eine Umfrage des Verbands Deutsches Reisemanagement. Darin haben Arbeitgeber angegeben, dass Ausnahmefälle von Reiseverboten in der Regel Termine der Geschäftsleitung, Außendiensttechniker im Notfall-Kundenkontakt oder etwa Baustellenüberwachungen sind. So könnte die Pandemie das Frust- und Prestigepotenzial der Dienstreise gleichermaßen verstärken: Wen sie nervte, den dürfte sie unter Corona-Bedingungen erst recht nerven. Und für wen die Geschäftsreise ein Statussymbol war, für den ist sie es womöglich nun mehr denn je.

Wie sehr manche an ihr hängen, zeigt ein Blick auf Karriere-Plattformen wie Linkedin. Dort posten Mitarbeiter Selfies aus Freude, endlich wieder unterwegs sein zu dürfen. Statt der Flughafenlounge im Hintergrund gibt es ein neues Gadget: den Mund-Nasen-Schutz.

© SZ vom 04.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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