Ohne Leonardo Schneider-Eicke wäre der Alltag vieler Flüchtlinge in München noch eintöniger. Der 19-Jährige kommt regelmäßig in die Unterkünfte, holt die jungen Syrer, Afghanen, Iraker und Afrikaner zusammen und geht mit ihnen auf den Bolzplatz. Während der Schulzeit leitete er eine Fußball-AG für Kinder aus Migrantenfamilien, am Wochenende begleitet er die Turniere der interkulturellen Straßenfußball-Liga.
Vor fast einem Jahr hat Leonardo seinen Freiwilligendienst beim Projekt "Bunt kickt gut" begonnen. "Ich hatte nach dem Abitur keine Ahnung, was ich studieren soll. Ich wollte Pause vom Lernen machen und mich sozial engagieren." Die Kombination aus Kicken und Engagement war für den Fußball-Jugendtrainer ideal. "Bei den Flüchtlingen sind schwierige Jungs dabei, die wollen zeigen, dass sie der Beste sind", sagt er. "Im Extremfall führt das zu Handgreiflichkeiten. Aber das lässt sich immer schnell lösen." Nach fast einem Jahr Freiwilligendienst hat Leonardo jetzt ein klares Berufsziel: Im Herbst will er mit dem Studium der Sozialarbeit anfangen.
Flüchtlingshilfe:Asylbewerber wollen keine Opfer sein
Sondern selbst helfen. Obwohl alle Seiten davon profitieren würden, müssen sie sich gegen Widerstände durchsetzen.
Nina Lemmen hätte am liebsten gleich nach der Schule Medizin studiert, muss aber Wartesemester überbrücken. Als Freiwillige im Uniklinikum Mannheim konnte sie erste Erfahrungen im OP sammeln. "Am ersten Tag bin ich umgekippt, ganz wie man sich das vorstellt. Aber dann habe ich mich an den Mundschutz und die schlechte Luft gewöhnt." Nach sechs Monaten Dienst wechselte Nina in die Krankenpflege-Ausbildung im Klinikum.
"Direkt nach dem Abitur konnte ich mir eine Ausbildung nicht vorstellen", sagt sie. "Das hat sich geändert, als ich das Krankenhaus und die vielen netten Krankenschwestern kennengelernt hatte." Nach der Ausbildung wird sie ihr Medizinstudium mit Wochenend- und Nachtschichten problemlos finanzieren können.
Beliebte Dienste trotz mageren Salärs
Etwa 100 000 Menschen in Deutschland machen in diesem Jahr einen Freiwilligendienst. Sie spielen mit Vorschulkindern, helfen behinderten Menschen im Alltag, gehen mit Senioren spazieren, organisieren Jugendfreizeiten oder führen Schülergruppen durch Museen und Naturschutzgebiete. Auch Essen austeilen und spülen, Fahrdienste und Büroarbeit gehören zu ihren Aufgaben. Als Gegenleistung gibt es Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld von höchstens 372 Euro pro Monat.
Trotz des mageren Salärs sind die Dienste sehr beliebt. Allein beim Deutschen Roten Kreuz, dem mit mehr als 14 000 Freiwilligenstellen größten Anbieter, gehen regelmäßig doppelt so viele Bewerbungen ein. Die Motivation sei hoch, so DRK-Referent Thomas Bibisidis: "Bei den Zivis früher war viel mehr vorgegeben, die Freiwilligen können mehr eigene Ideen einbringen."
2011 wurde der Bundesfreiwilligendienst (BFD) als Ersatz für den ausgesetzten Zivildienst eingeführt, derzeit gibt es bundesweit etwa 38 000 sogenannte Bufdis. Gleichzeitig wurden die Jugendfreiwilligendienste ausgebaut. Schon seit mehr als 50 Jahren existiert das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ), das heute auch in Bereichen wie Sport, Kultur oder Denkmalpflege geleistet werden kann. 1993 kam das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) hinzu. Und der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD) bietet jungen Leuten seit 2011 die Chance, sich im Ausland zu engagieren.
Bei vielen Trägern gibt es sowohl Bufdi- als auch FSJ- oder FÖJ-Stellen, der Arbeitsalltag unterscheidet sich praktisch nicht. Anders als die Jugendfreiwilligendienste steht der BFD auch Menschen über 27 Jahren offen. Trotzdem sind 90 Prozent der Freiwilligen jünger, die meisten kommen wie Nina Lemmen und Leonardo Schneider-Eicke direkt von der Schule.
Ricarda Fredl-Maurer betreut die gut hundert Freiwilligen am Mannheimer Klinikum. Wie das Engagement die Teilnehmer verändert, beschreibt sie so: "Die jungen Leute gewinnen enorm an Selbstbewusstsein und Lebenserfahrung. Sie kommen ganz anders, als sie gehen." Fredl-Maurer bemüht sich, jedem seine Wunschtätigkeit und auch Hospitanzen in anderen Abteilungen zu ermöglichen. Für die Seminartage, die Freiwillige laut Gesetz absolvieren müssen, organisiert sie auch Kletterausflüge und Kinobesuche: "Diese Generation hat Ansprüche und will bespaßt werden. Sie könnten ja auch wieder gehen."
Aktiv im Ruhestand:Bufdi mit fast 70
Rentner sitzen nur im Sessel und warten auf den Fernseh-Vorabend oder den Tod? So ein Quatsch! Wer heute in den Ruhestand geht, hat alle Möglichkeiten: als Aupair ins Ausland, als Bufdi engagieren, noch mal studieren oder gleich eine Weltreise. Vier Senioren erzählen.
Trotz dieser Freiheit brechen nur etwa sieben Prozent aller Freiwilligen den Dienst vorzeitig ab - meist, um ein Studium oder eine Ausbildung anzufangen. Das ergab die dreijährige Evaluation des Bundes- und der Jugendfreiwilligendienste durch zwei Sozialforschungsinstitute, die im vergangenen Jahr abgeschlossen wurde. Etwa 90 Prozent der Befragten würden den Dienst anderen weiterempfehlen. Die Evaluation zeigt auch, wie wichtig die Dienste für die Berufsorientierung sind: Mehr als zwei Drittel der jüngeren Befragten sagten, sie hätten Anregungen für ihre Berufswahl erhalten. Dabei hatten das nur 20 Prozent vorher erwartet.
Den älteren Freiwilligen nützt der Dienst für ihre berufliche Zukunft dagegen weit weniger. Fast zwei Drittel von ihnen waren vor dem BFD arbeitslos. In der Befragung erklärte mehr als die Hälfte, dass sich ihre Berufschancen durch den Dienst nicht verbessert hätten. Trotzdem zeigten sich auch die Älteren mehrheitlich zufrieden, weil sie vor allem etwas Sinnvolles tun und anderen helfen wollen.
Der 53-jährige Bergmann Ulf Simstedt engagiert sich schon bei den Harzer Tafeln, seit der Braunkohletagebau in Nachterstedt geschlossen wurde. Vor knapp einem Jahr wurde dort eine BFD-Teilzeitstelle des AWO-Jugendwerks Sachsen-Anhalt frei. Während der Dienstzeit sammelt Simstedt als Fahrer Lebensmittel für die Tafeln ein, nachmittags hilft er oft noch ehrenamtlich bei der Ausgabe. "Es ist sehr vielseitig, und man erlebt die Dankbarkeit der Kunden, das motiviert mich sehr", sagt er. "Wenn man nichts macht, sitzt man zu Hause, und die Decke kommt immer tiefer. So habe ich meine Verpflichtungen." Träger und Einsatzstellen hätten die Verantwortung, Bewerbern von Anfang an klarzumachen, dass ein Freiwilligendienst keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sei, betont die AWO-Referentin Tina Stampfl. "Aber auch, wer seit Jahren arbeitslos ist, kann als Freiwilliger Kontakte gewinnen und etwas Neues ausprobieren."
Ulf Simstedt verlängert seinen Dienst jetzt auf die Höchstdauer von 18 Monaten. "Eine Festanstellung wird daraus nicht, das habe ich auch nie erwartet. Aber ich habe natürlich viele Kontakte zu Supermärkten, Discountern und Bäckereien bekommen. Vielleicht ergibt sich ja dadurch was."