Viren:Gefahr aus dem Schattenreich

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Ein Rodrigues-Flughund: Flughunde tragen mitunter Viren in sich, die auch dem Menschen gefährlich werden können (Foto: Reuters)

Sie leben in Fledermäusen, Pavianen oder Gorillas - doch niemand kennt sie. Die Mehrzahl aller Viren in Tieren ist noch nicht identifiziert. Ist das eine Gefahr für die Menschheit?

Von Katrin Blawat

Plötzlich war das Mers-Virus in der Welt. Ebenso wie H7N9, eine Variante des Vogelgrippe-Erregers, die den Menschen bislang verschont hatte. Zusätzlich zu den zahlreichen Rätseln, die diese beiden Erreger noch umgeben, stellt sich vor allem eine Frage: Was kommt als nächstes? Welche Viren werden den Menschen in Zukunft infizieren? Eine zuverlässige Antwort darauf könnte vielleicht Todesfälle verhindern und sicher viel Leid und Geld sparen. Doch sind viele Virenforscher alles andere als optimistisch, was ihre Vorhersagen angeht. Der Ökologe José Gómez von der Universität Granada etwa meint: "Unsere Fähigkeiten sind bemerkenswert schlecht, die Ursprünge neu aufkommender Infektionskrankheiten abzusehen."

Um das zu ändern, ist zunächst eine Inventur jener Viren nötig, die bislang in Tieren existieren, den Menschen aber noch in Ruhe lassen. "Was wir heute über Viren wissen, ist stark von jenen beeinflusst, die schon zu einer Krankheit geführt haben", sagt Simon Anthony von der Columbia University. Der Bonner Virologe Christian Drosten vergleicht die Welt der Viren mit einer stattlichen, dicht belaubten und reich verzweigten Buche - und das Reich der bislang bekannten Viren mit einem kahlen, toten Baumstamm.

Um welche Größenordnung es sich bei einem Teil der noch nicht identifizierten Erreger handelt, haben nun Ökologen, Virologen und Mathematiker der Organisation Eco Health Alliance und der Columbia University beziffert. 320.000 bislang unbekannte Viren gebe es in Säugetieren, von denen eine Gesundheitsgefahr für den Menschen ausgehen könnte, schreibt das Team um Erstautor Simon Anthony in der Fachzeitschrift mBio (online).

Um die Gesundheitsrisiken für den Menschen umfassend abschätzen zu können, sind allerdings auch andere Tiergruppen als Wirte interessant, vor allem Vögel. In ihrer aktuellen Studie konzentrierten sich die Autoren jedoch auf Säuger, vor allem Flughunde. Von ihnen wie auch von Fledermäusen ist bekannt, dass sie Erreger beherbergen, die zuweilen auf den Menschen überspringen. Das derzeit kursierende Mers-Virus zum Beispiel könnte seinen Ursprung in einer Fledermaus-Art haben.

320.000 potenzielle neue Krankheitserreger - beruhigend klingt das zunächst nicht. Doch Peter Daszak, Präsident der Eco Health Alliance, ist von dem Ergebnis positiv überrascht: "Es handelt sich nicht um Millionen unbekannter Viren, sondern nur um ein paar Hunderttausend. Mit der heute verfügbaren Technik ist es möglich, dass wir noch in meiner Lebenszeit jedes bislang unbekannte Virus auf diesem Planeten identifizieren."

Ob dieser Optimismus gerechtfertigt ist, bleibt abzuwarten. Weitgehend unerheblich dürfte es auch sein, ob die Anzahl der noch zu entdeckenden Erreger in Säugern nun gut 300.000 beträgt oder doch ein paar mehr oder weniger. Entscheidend sei, sich der Erforschung dieser "stillen Erreger" überhaupt zu widmen, wie eine zunehmende Zahl an Forschern betont.

"Es ist vernünftig, nach Viren in Tieren zu suchen", schreibt etwa der Bonner Wissenschaftler Drosten in einem Kommentar im Fachmagazin Nature Medicine. Er warnt aber auch davor, mit diesen Daten allzu sorglos umzugehen - und damit möglicherweise unnötige Ängste zu schüren. "Ungefiltert neue Viren zu präsentieren, kann zu einer unberechtigten Alarmstimmung führen." Geschuldet dürfte diese Warnung der Erfahrung sein, dass sich Botschaften über neu entdeckte, potenziell gefährliche Viren gut verkaufen lassen. Schließlich schwingt dabei stets die richtige Portion Grusel mit, ohne dass die Gefahr schon real und damit ernst zu nehmen wäre.

Das Risikopotenzial eines neuen Virus auf wissenschaftlicher Basis einschätzen zu können, stellt hingegen eine Mammutaufgabe dar - den Erreger nur zu identifizieren, erscheint dagegen wie eine banale Fingerübung. Wie gefährlich ein Virus dem Menschen werden kann, das bislang nur in Fledermäusen, Flughunden oder etwa Affen existiert, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Ist das Virus an die zellulären und biochemischen Besonderheiten des menschlichen Körpers angepasst? Und wenn nicht, besitzt es dann genügend Wandlungspotenzial, um sich irgendwann auf den Menschen einzustellen?

Ebenso entscheidend wie diese molekularen Faktoren sind ökologische - und die profane Frage: Kommen der Mensch und das infizierte Tier überhaupt miteinander in Kontakt? Lebt ein Flughund oder ein Affe beispielsweise tief im Urwald, wo kein Mensch je hinkommt, fällt das Risiko eher klein aus. Allerdings unternimmt vielerorts der Mensch selbst alles dafür, die Gefahr für sich zu vergrößern: Indem er Urwald in menschliche Nutzfläche verwandelt, Straßen in bislang unerschlossene Ecken des Dschungels baut, um Wildtiere von dort auf Märkte zu schaffen und sie lebend oder als sogenanntes "Bushmeat" zu verkaufen. Aus Sicht der Viren gibt es keinen einfacheren Weg zu einem neuen Wirt.

Welche Arten unter den Primaten besonders effizient als Überträger neuer Viren dienen könnten, haben vor wenigen Monaten Ökologen um José Gómez untersucht. Ihre Liste der Tiere mit großem Risikopotenzial umfasst zum Beispiel manche Paviane, Vertreter der Totenkopf-, Brüll- und Stummelaffen sowie den Westlichen Gorilla und den Gemeinen Schimpansen. Auch diese Analyse zeigte: Arten, die als besonders riskant gelten, sind nicht nur von vielen verschiedenen Erregern befallen - sie leben auch in auffallend dicht vom Menschen besiedelten Gegenden.

© SZ vom 03.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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