Suchterkrankungen:"Crystal Meth ist definitiv eine der gefährlichsten Drogen"

Lesezeit: 4 Min.

Päckchen mit Crystal Meth, sichergestellt vom Zoll in Dresden. (Foto: dpa)

Crystal Meth wird in Deutschland bislang als Randphänomen betrachtet. Doch in manchen Regionen ist jeder zweite Suchtkranke dem Methamphetamin verfallen. Fragen an die Ärztin Katharina Schoett, die in Thüringen täglich mit den Folgen der zerstörerischen Droge konfrontiert ist.

Von Berit Uhlmann

Mühlhausen ist ein historisches Städtchen, idyllisch in Thüringen gelegen. Schwere Drogenprobleme würde hier wohl niemand erwarten. Dennoch behandelt das psychiatrische Krankenhaus der Region, das Ökumenische Hainich Klinikum, mittlerweile mehr als 250 Crystal-Meth-Konsumenten pro Jahr - Tendenz steigend. Jeder zweite Suchtpatient ist hier dem Methamphetamin verfallen. Chefärztin Katharina Schoett über die Herausforderungen, die die neue Droge mit sich bringt.

Süddeutsche.de: Warum gibt es in Ihrer Gegend so viele Crystal-Konsumenten?

Katharina Schoett: Crystal wird vor allem in Sachsen, Thüringen und Nordbayern, also den Regionen entlang der tschechischen Grenze, vertrieben. In Tschechien wird die Droge billig produziert.

Wieso ausgerechnet in Tschechien?

Möglicherweise hängt die Entwicklung damit zusammen, dass 2010 das tschechische Betäubungsmittelgesetz liberalisiert wurde: Der Besitz von bis zu zwei Gramm Methamphetamin ist seither straffrei. Das scheint die Produktion anzukurbeln. Da es außerdem seit 2004 keine Grenzzollämter mehr gibt, kann die Droge relativ leicht nach Deutschland gebracht werden. Sie ist eher billig und findet allein in den Grenzregionen so viele Abnehmer, dass die Drogenschmuggler gar nicht weiter fahren müssen.

Wer konsumiert die neue Droge?

Genaue epidemiologische Daten fehlen noch. In der Klinik begegnen wir einerseits Menschen, die bereits Drogenerfahrungen haben, zum Beispiel Raver, die zuvor mit Amphetaminen experimentiert haben. Neuerdings beobachten wir auch, dass Patienten aus Methadon-Substitutionsprogrammen rückfällig werden, aber nicht mehr zu Heroin, sondern zu Crystal greifen. Daneben gibt es aber auch ganz neue Gruppen von Konsumenten, die sich selbst kaum als süchtig erleben und mit der Suchthilfe bis dato nichts zu tun hatten. Sie nutzen die Droge als eine Art Dopingmittel im Alltag - oder versuchen, ihren Erlebnishunger mit ihrer Hilfe zu stillen.

Was bewirkt die Droge bei den Konsumenten?

Methamphetamin setzt die Schutzreflexe des Körpers herab. Konsumenten sind beispielsweise vorübergehend nicht mehr müde - und können wesentlich länger arbeiten oder Belastungen, beispielsweise in der Familie, subjektiv besser bewältigen. Die Droge hemmt auch das Hungergefühl und steigert gleichzeitig den Bewegungsdrang. Konsumenten verlieren schnell an Gewicht, was vor allem bei manchen Frauen verfängt. Vorübergehend stellen sich Euphorie und Stimulation ein, aber je stärker solche Glücksgefühle sind, desto heftiger ist leider oft der Absturz beim Nachlassen der Drogenwirkung.

Wie schnell werden die Konsumenten abhängig?

Das kommt auf Persönlichkeitsstruktur und Konsummuster an. Manche werden sehr schnell psychisch und körperlich abhängig. Bei anderen kommt es erst nach mehreren Monaten zu Problemen. Definitiv gehört Crystal zu den gefährlichsten Drogen, die es gibt.

Welche Probleme bereitet Crystal?

Akut ist vor allem Schlafmangel ein Problem. Die Konsumenten finden teilweise mehrere Nächte lang keine Ruhe und geraten in eine extrem überreizte, manchmal wahnhafte Stimmung. Bei längerem Konsum werden die kognitiven Funktionen beeinträchtigt. Die Menschen können ihren Alltag kaum mehr organisieren, werden vergesslich, ihr Zeitgefühl leidet enorm. Crystal-Konsumenten werden auf längere Sicht emotional sehr labil, sie sind häufig hektisch, gereizt, aggressiv und leiden unter diesen Stimmungen. Beim Entzug können die Gefühle ins Gegenteil kippen. Die Patienten werden dann depressiv und verlieren mitunter den Mut zu leben. Bei langem Konsum ist die Gefahr für Psychosen hoch. Schließlich gibt es noch körperliche Auswirkungen wie Zahnausfall, Hautreizungen, Herz-Kreislauf-Störungen und Muskelkrämpfe.

Können Sie Crystal-Konsumenten wie alle anderen Drogen-Patienten behandeln?

Sie stellen uns vor besondere Herausforderungen. Wenn diese Menschen in eine Ambulanz oder Beratungsstelle kommen, brauchen sie sofort Hilfe. Es hat wenig Sinn, ihnen einen Termin in drei bis vier Wochen zu geben. Oft verhindert allein das eingeschränkte Zeitgefühl, dass die Hilfesuchenden dann tatsächlich kommen - oder aber die psychische und physische Not ist bis dahin noch viel größer geworden.

Und wenn sie in der Klinik sind?

Dann brauchen die Patienten mehr Struktur, Orientierung, Kurzkontakte und Erinnerungen. Wenn wir ihnen drei Zettel mit den nächsten Untersuchungsterminen in die Hand drücken, sind einige schon überfordert. Und solange Crystal ihre Schutzreflexe herabsetzt, benötigen sie besonders viel Fürsorge. Wir müssen beispielsweise darauf achten, dass sie tatsächlich essen und allmählich wieder ein normales Gefühl für ihren Körper entwickeln. Viele Crystal-Konsumenten haben zudem ein geringes Problembewusstsein und neigen zur Selbstüberschätzung. Sie schlafen sich in der Klinik ordentlich aus und glauben dann, dass sie keine weitere Behandlung brauchen.

In der Suchtmedizin gelten Freiwilligkeit und Einsicht in die Krankheit als Voraussetzung für eine Therapie. Kann man dies bei Crystal-Konsumenten überhaupt erwarten?

Das Credo der Freiwilligkeit würde ich nicht aufgeben wollen. Aber gerade das fehlende Risikobewusstsein gefährdet die Patienten. Hinzu können psychotisches Erleben und Suizidgefahr kommen. Unter Umständen müssen wir Patienten stärker schützen, als sie selbst es für nötig halten.

Sie haben es zum Teil mit ganz neuen Herausforderungen zu tun. Wie gehen Sie damit um?

Wir orientieren uns in erster Linie an den allgemein in der Drogentherapie bewährten Ansätzen und schauen, welche zu der neuen Substanz passen. Wir verfolgen zudem die internationale Forschung.

Gibt es denn in Deutschland keine Forschung?

Nur in Ansätzen. Die großen Einrichtungen der Suchtforschung sitzen in Regionen, in denen es vergleichsweise wenig Crystal-Konsumenten gibt. Wir in den betroffenen Regionen versuchen deshalb, mehr wissenschaftliche Untersuchungen anzustoßen.

Wie viel Unterstützung erfahren Sie aus anderen Bundesländern oder von Seiten des Bundes?

Langsam setzt ein Umdenken ein. Der Gesundheitsausschuss des Bundestages hat sich vor Kurzem intensiver mit dem Thema Methamphetamin befasst. Und das Bundesgesundheitsministerium hat ein Forschungsprojekt zum Missbrauch von Amphetaminen ausgeschrieben. Leider geht es dabei aber noch kaum um die zielgruppenspezifische Behandlung und Versorgung der Konsumenten, die in der Praxis täglich zu leisten ist. Hier bleibt noch viel zu tun.

In vielen Teilen Deutschlands scheint man die Probleme Ihrer Regionen für vorübergehend zu halten.

Wir haben es hier schon seit mehreren Jahren mit der Droge zu tun und es sieht nicht so aus, als würde sie schnell wieder verschwinden. Im Gegenteil, die Zahl der hilfesuchenden Konsumenten steigt kontinuierlich.

Noch ist das Problem regional begrenzt. Denken Sie, dass es so bleibt?

Ich würde mir wünschen, dass die anderen Bundesländer verschont bleiben, leider bin ich da nicht sehr optimistisch. Der jüngste Europäische Drogenbericht verweist darauf, dass Methamphetamin in verschiedenen Regionen die weit verbreiteten Amphetamine ablöst. Warum sollte das auf Dauer in Deutschland anders sein?

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