Stadtplanung:Wenn Joggen zur Mutprobe wird

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Wer Menschen zu mehr Bewegung verhelfen will, muss für die richtigen Bedingungen sorgen. (Foto: David GoldmanAP)

Stadtentwickler tun sich mit Ärzten zusammen, um Übergewicht weltweit zu bekämpfen. Doch sie übersehen einen wichtigen Punkt.

Kommentar von Astrid Viciano

Im Kampf gegen Übergewicht haben Mediziner unerwartete Unterstützung gefunden. Städteplaner haben weltweit neue Radwege, Buslinien und U-Bahnen geschaffen. Auch neue Parks und Supermärkte in Laufabstand sollen das Problem mit den Pfunden und seinen gesundheitlichen Folgen angehen. Was für ein Segen für die Betroffenen! Geht es doch endlich mal nicht um realitätsferne Diätprogramme, sondern um eine tiefer liegende Ursache der globalen Epidemie. Nicht allein in Kopenhagen können sich die Menschen nun über ausgedehnte exzellente Fahrradwege freuen, sondern auch in Bogotá. Eine mehr als 300 Kilometer lange Cicloruta wurde dort inzwischen für Radler geschaffen, so berichten Wissenschaftler in einer aktuellen Serie in der Zeitschrift The Lancet.

Zu Zeiten Victor Hugos wurden die Policiers in Paris noch als "Trunkenbolde" beschrieben

Doch sollten die neuen Maßnahmen nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle Radwege und Buslinien wenig nutzen, wenn eine Stadt oder Stadtteile von Gewalt geprägt sind. Dafür muss man gar nicht erst in Entwicklungsländer fahren. Da genügt schon ein Blick zum Beispiel nach Los Angeles. Wenn in der Nachbarschaft jemand erschossen wurde, gehen die Bewohner selbst in palmengesäumten Wohngebieten nicht spazieren. Wenn die Polizeihubschrauber abends mit Scheinwerfern in die Wohnungen leuchten, fühlt sich niemand animiert, im neu angelegten Park joggen zu gehen.

Die Angst, zum Opfer eines Verbrechens zu werden, prägt oft den Alltag gerade jener Menschen, die auch schlechte Nahrungsgewohnheiten zeigen. Wie schon der Menschenrechtler Gary Haugen in seinem Buch "Gewalt - die Fessel der Armen" darlegt, sollte das oberste Ziel sein, diese Gewalt zu bekämpfen. Denn sie hindert auch viele andere Entwicklungsprojekte daran, den Bedürftigen nachhaltig zu helfen. Die Schaffung neuer Schulen etwa ist wenig hilfreich, wenn Eltern ihre Töchter nicht aus dem Hause lassen, weil sie fürchten müssen, dass die Mädchen auf dem Schulweg vergewaltigt werden. Stattdessen müssen Rechtssysteme entstehen, in denen Verbrechen geahndet werden, in denen die Polizei als Freund und Helfer und nicht als Gegner der Armen agiert.

So wurden noch zu Zeiten Victor Hugos die Policiers in Paris als "Trunkenbolde mit bestürzender Inkompetenz" beschrieben. Dennoch gelang es mit der Zeit, dort einen funktionierenden Rechtsstaat zu etablieren. Das kann auch in anderen Metropolen gelingen. Erstmals haben die Vereinten Nationen in ihren neuen Zielen zur nachhaltigen Entwicklung gefordert, dass allen Menschen ein Zugang zur Justiz ermöglicht werden soll. Damit der Spaziergang am Abend im Park nebenan nicht zur Mutprobe wird.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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