Organverpflanzung in Bayern:Nachwehen des Skandals

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Als Folge des Organspende-Skandals dürfen zwei bayerische Kliniken keine Lebern mehr verpflanzen. Ein Problem? Offenbar nicht. Die Krankenhäuser kooperieren jetzt enger - und haben hohe Erfolgsquoten. Doch an anderer Stelle sind Folgen der Unregelmäßigkeiten spürbar.

Von Christina Berndt

Es war ein Experiment, nicht mehr. Doch Professor Heiko Denecke gehörte zu denen, die selten etwas unversucht ließen. Der Chirurg wusste, dass eine neue Leber die einzige Chance für seinen Patienten Paul Schemmerer war. So wagte er im Juni 1985 die erste Lebertransplantation im Klinikum Großhadern. Es war die erste in Bayern; in den USA hatte es den ersten erfolgreichen Eingriff dieser Art allerdings schon 1967 gegeben, und die erste Lebertransplantation in Deutschland hatte 1969 in Bonn stattgefunden. Gleichwohl waren Leberverpflanzungen auch Mitte der Achtzigerjahre noch gewagte Eingriffe. Deshalb hatte Denecke für seine erste Lebertransplantation einen Patienten ausgewählt, der ohne diesen abenteuerlichen Eingriff bald sterben würde. Ein gewaltiger Tumor hatte sich in der Leber des 51-Jährigen ausgebreitet. Das Experiment gelang: Der todgeweihte Patient lebte noch 27 Jahre lang - bis Ende 2012.

"Das waren damals Pionierzeiten", erinnert sich Alexander Gerbes, der internistische Leiter des Lebertransplantationsprogramms am Klinikum Großhadern, das am vergangenen Samstag gemeinsam mit dem Verein "Lebertransplantierte Deutschland" den 30. Jahrestag der geschichtsträchtigen Operation mit einem Symposium gefeiert hat. Gerbes erinnert sich noch gut an den ersten Patienten, der bis zu seinem Tod regelmäßig zur Nachsorge nach Großhadern kam. Seither haben mehr als 1000 Patienten am Klinikum der Universität München eine neue Leber erhalten. "Seit den Anfängen ist das Programm immer weiter professionalisiert worden", sagt Markus Guba, der chirurgische Leiter.

Großhadern gehört zu den größten deutschen Lebertransplantationszentren, aber hier werden bei Weitem nicht die meisten Lebern transplantiert. Alexander Gerbes, der das Programm nun schon seit 20 Jahren leitet, ging es nie um die Masse: "Uns war es immer wichtig, die Patienten möglichst gut zu versorgen und möglichst gute Ergebnisse zu erzielen", sagt er. Mit Stolz weist er auf die hervorragenden Überlebenschancen der Transplantierten in Großhadern hin. Im Jahr 2013 betrug der Anteil der Patienten, die ein Jahr nach der Transplantation noch lebten, 84 Prozent - so viele wie an keinem anderen deutschen Zentrum. "Das liegt auch daran, dass wir mit Bedacht jene Patienten auswählen, die auch eine Chance haben, eine Transplantation zu überleben", sagt Gerbes.

Das beurteilt nicht ein Arzt allein. In Großhadern wird die Transplantationsmedizin von einem Team aus Chirurgen, Internisten, Anästhesisten und Psychiatern gestaltet. Das trage auch dazu bei, dass die Patienten den schweren Eingriff so gut überstehen, sagt Gerbes. Sie bekommen moderne Anästhesie ebenso wie eine regelmäßige psychosoziale Betreuung.

Auch wenn es im Laufe der 30 Jahre vor allem Fortschritte gegeben hat: Es gibt auch neue Herausforderungen. Seit dem Skandal um manipulierte Wartelisten ist die Spendebereitschaft der Bevölkerung extrem zurückgegangen - mit dramatischen Folgen. "Leider kommt es erheblich häufiger als früher vor, dass Patienten auf der Warteliste versterben", sagt Markus Guba. "Das nimmt einen schon mit."

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Seit dem Skandal hat sich noch etwas verändert: Zwei bayerischen Universitätskliniken hat das Wissenschaftsministerium die Erlaubnis entzogen, Lebern zu transplantieren - dem Universitätsklinikum Erlangen, weil dort zu viele Patienten bald nach der Transplantation starben, und dem Klinikum rechts der Isar, weil dort durch Manipulationen an der Warteliste eigene Patienten bevorzugt worden waren. Dies war auch in Göttingen, Regensburg und Leipzig der Fall. Am Universitätsklinikum Münster hatte es Verstöße gegen die Richtlinien zur Lebertransplantation gegeben. Die Staatsanwaltschaft Münster stellte ihre Ermittlungen gegen die Verantwortlichen allerdings ein, weil vorsätzliche Falschangaben "nicht nachweisbar" gewesen seien. In Regensburg und Leipzig wird dagegen weiter ermittelt, in München wurde Anklage erhoben und in Göttingen endete der Prozess gegen den verantwortlichen Transplantationschirurgen trotz der aus Sicht des Gerichts nachgewiesenen Manipulationen mit einem Freispruch.

Die beiden bayerischen Kliniken, die seit dem Skandal keine Lebern mehr transplantieren dürfen, kooperieren nun beide mit Großhadern. Ärzte aus dem Klinikum der Uni München fahren seither nach Erlangen, wenn dort ein Patient eine neue Leber bekommen soll; und wenn ein Patient des Rechts der Isar ein Leber-Angebot erhält, wird er von den Chirurgen des TU-Klinikums in Großhadern operiert. Von den 61 Lebern, die 2014 in Großhadern transplantiert wurden, gingen sieben an Patienten aus dem Rechts der Isar.

Beide Münchner Unikliniken zeigen sich zufrieden mit dieser Kooperation: "Die Zusammenarbeit ist sehr produktiv", sagt Alexander Gerbes. Auch aus dem Rechts der Isar heißt es: Die Kooperation "funktioniert sehr gut", sie " findet in sehr kollegialem und konstruktivem Rahmen statt".

Für den Leiter des Transplantationszentrums in Großhadern, Bruno Meiser, zeigt die erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Münchner Häuser noch etwas: "Eine Zentrierung ist ganz offensichtlich möglich, ohne dass an der Versorgung der Patienten oder an der Ausbildung der Ärzte Abstriche gemacht werden müssen", sagt der Chirurg, der auch Präsident der Stiftung Eurotransplant ist, die in ihren Mitgliedsländern die Spenderorgane nach festen Regeln verteilt. Immer wieder hatte es in der Aufarbeitung des Skandals Überlegungen gegeben, die Zahl der Zentren zu senken, um Konkurrenzdruck zu mindern und die Qualität zu erhöhen. Bisher ist dies nur in Bayern umgesetzt worden, offensichtlich mit Erfolg.

Neue Probleme gibt es seit dem Skandal allerdings mit dem chirurgischen Nachwuchs. Weil die Transplantationsmedizin an Ansehen verloren hat, lassen sich junge Ärzte nicht mehr so leicht für das Fach begeistern, sagt Guba. Schließlich ist die Transplantationschirurgie auch eine besonders fordernde Disziplin. Es geht heute weniger darum, erste Eingriffe zu wagen, wie Heiko Denecke das mit der ersten bayerischen Lebertransplantation tat. Aber es handelt sich immer noch um eine aufwendige Chirurgie, für die Ärzte ständig bereitstehen müssen. Spenderorgane kommen meist in der Nacht und müssen dann sofort transplantiert werden. "Die Work-Life-Balance ist in diesem Beruf schwer zu halten", sagt Guba. Und doch möchte er nichts anderes tun: "Mich fasziniert diese Medizin", sagt er, "auch weil sie aus dem Tod Leben schenken kann."

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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