Nebenjob von CSU-Staatsekretär Müller:Kranker Heilbäderverband

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Gerd Müller ist Staatssekretär im Landwirtschafts- und Verbraucherministerium. Und der CSU-Mann will, dass die Menschen im Internet ihre Kuren suchen und buchen. Doch nur wenige Bäder machen dabei mit. Es ist eine Idee, von der vor allem einer etwas hat: ein Parteifreund.

Klaus Ott und Mike Szymanski

An manchen Tagen steigt gar niemand mehr aus, wenn der Linienbus aus Berlin in Bad Berneck im Fichtelgebirge ankommt. Aber der Bus kommt dennoch. Er ist ein Relikt. In großen Buchstaben steht am Ortseingang: "Bad Berneck - das versteckte Paradies." Es gab mal Zeiten, da wollte man unbedingt hierher.

Bislang galt: verjüngen bei der Bäderkur. Jetzt sind es die Heilbäder, die eine Verjüngungskur verschrieben bekommen. (Foto: DPA)

Früher reisten die Leute gerne in den beliebten Badeort mit seinen Fachwerkhäusern und wedelten schon mit dem Kur-Schein, wenn sie am Marktplatz aus dem Bus ausstiegen. Wenn die Kranken kamen, dann ging es den Berneckern gut: Die Cafés waren voll, die Hotels auch, im beschaulichen Kurpark spielte ein kleines Orchester. 180 000 Übernachtungen im Jahr zählte Bad Berneck in seinen besten Zeiten. Aber das sind Geschichten von gestern. Gerald Jung vom örtlichen Tourismus-Büro erzählt sie. Die Gegenwart sieht trübe aus. Heute sind es gerade einmal noch 25 000 Übernachtungen. In der Hauptstraße stehen Geschäfte leer, und Jung seufzt: "Nicht nur wir sind als klassischer Kurort gestorben."

Müllers Motto: Weg mit den verstaubten Katalogen, hinein ins Internet

In Berlin hat sich einer aufgemacht, Deutschlands Kurorte und Heilbäder wiederzubeleben: Gerd Müller, 56 Jahre alt, CSU-Politiker und Parlamentarischer Staatssekretär im Landwirtschafts- und Verbraucherministerium von Parteifreundin Ilse Aigner. Er ist ein Mann aus der zweiten Reihe, ein Zuarbeiter seiner Ministerin. Im Nebenjob aber darf Müller seit 2008 König sein: Als Präsident des Deutschen Heilbäderverbandes (DHV), der Dachorganisation für 320 Heilbäder und Kurorte - und damit eigentlich ein mächtiger Mann in dieser Branche.

Dies ist die Geschichte von einem, der die rückständigen Heilbäder, in deren Kurhallen sich die Spinnen von den Decken abseilen, wie im DHV gespottet wird, in die Moderne führen wollte - und sich dabei verrannt hat. Der Verbündete vor den Kopf gestoßen und sich mit einem vermeintlich revolutionären Internet-Portal verhoben hat. Ein Projekt, das unter sehr fragwürdigen Umständen zustande kam, den Verband noch viel Geld kosten könnte, und bei dem ausgerechnet ein Parteifreund aus dem Wahlkreis des CSU-Politikers und Verbandschefs Müller einen schönen Auftrag bekam.

Das ist noch lange nicht alles. Drei Landesorganisationen haben seit Ende 2011 ihren Austritt aus dem Bundesverband erklärt, teils nur "vorsorglich", jedoch mit heftigen Vorwürfen: finanzielle Fehlentwicklung, Missachtung der Gremien. So steht es in den Kündigungsschreiben aus Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Jede Menge Probleme also. Probleme? Nicht für den Bäderkönig: Der Präsident der Heilbäder und Kurorte glaubt sich und seine Klientel auf dem "Weg in die Zukunft".

Noch aber lässt die Vergangenheit den Verband nicht los. Wann die Probleme begannen, lässt sich auf den Tag genau sagen. Am 10. September 2010 präsentiert das Allgäuer Medienunternehmen Eberl Online dem Heilbäderverband ein Konzept für das "größte Gesundheits-Portal in Deutschland", bei dem sich Kranke mit ein paar Klicks den passenden Kurort heraussuchen und gleich buchen können. Als visionäres "Dynamic Packaging" wird das gepriesen, mit allen Heilbädern, Ärzten, Physiotherapeuten, Anwendungen und so fort "in einem Datentopf". Es wäre eine Ehre, für den Verband zu arbeiten, erklären Eberl Online und weitere fünf Firmen. "Wir werden Sie begeistern."

Hinter Eberl Online steht Ulrich Eberl, ein erfolgreicher Medienunternehmer, der das Allgäuer Anzeigenblatt herausgibt, eine kleine Tageszeitung mit 60 000 Lesern. Ulrich Eberl und Gerd Müller kennen sich aus der Jungen Union (JU), der Nachwuchstruppe der CSU. Müller begann dort seine politische Karriere, er war JU-Chef in Bayern. Eberl leitet seine Mediengesellschaft in Immenstadt - und nebenbei dort auch die CSU, die für ihn die "einzige wirkliche Volkspartei in Deutschland" ist. Immenstadt liegt in Müllers Wahlkreis.

Eberl kann sich an den "ersten Impuls", der zur Kooperation mit dem DHV geführt hatte, noch gut erinnern. Sein Unternehmen kümmert sich darum, Ferien auf dem Bauernhof im Internet zu vermarkten, zur Freude des Landwirtschaftspolitikers Müller. "Das ist ja irre, was ihr da macht", habe Müller mal zu ihm gesagt, erzählt Eberl. So etwas brauche der Heilbäderverband auch. Alles weitere sei dann auf der Arbeitsebene gelaufen, beteuert der Medienunternehmer. "Ich habe Müller in keinster Weise bearbeitet."

Geworben wird mit dem flotten Spruch: "All you need is Kur"

Doch was anschließend im DHV geschieht, ist merkwürdig und macht viel Ärger. Als der Verband unter dem neuen Präsidenten Müller 2009 aus der alten Bundeshauptstadt Bonn nach Berlin umzieht, braucht man auch einen neuen Geschäftsführer. Die Wahl fällt auf Markus Schneid, einen jungen Mann, der zuvor jahrelang für Müller in dessen Abgeordnetenbüro gearbeitet hat. Schneid packt gleich kräftig an, ganz im Sinne von Müller. Weg mit verstaubten Katalogen, die niemand mehr liest, in denen sich die Heilbäder aber noch präsentieren. Hinein ins Internet.

Da passt das Angebot von Eberl Online wunderbar. Im Mai 2011 unterschreibt DHV-Geschäftsführer Schneid einen Vertrag mit Eberl Online und weiteren Partnern, dessen Volumen sich auf 800 000 bis 900 000 Euro belaufen könnte. Der Verband kann zwei Monate lang von dem Abkommen zurücktreten, macht von dieser Klausel aber keinen Gebrauch. Diskutiert wird über das Internet-Portal laut Verbandsunterlagen aber erst im Oktober 2011 im Präsidium, und da ist das Entsetzen groß. Der Schatzmeister äußert Kritik und fordert, den Vertrag nachzuverhandeln. Ein anderer sagt: "Wenn das Projekt scheitert, wird der DHV abstürzen." Verbandschef Müller sagt, Geschäftsführer Schneid habe den Vertrag "ohne Einbindung" des Präsidiums unterzeichnet. Hier liege, so steht es im Sitzungsprotokoll, eine "Kompetenzüberschreitung" vor.

Gleichwohl stellt Müller fest: Der Vertrag sei unterschrieben, nun müsse das Risiko für den DHV beschränkt werden, notfalls müsse ein Partner einsteigen. Tags darauf beschließt die Mitgliederversammlung auf Vorschlag des Präsidiums bei vier Enthaltungen, 200 000 Euro in das Internet-Portal zu investieren, als Darlehen über eine dazwischengeschaltete Tochterfirma des Verbands. So soll das finanzielle Risiko begrenzt werden. Bei dieser Versammlung berichtet der Kassenprüfer, die Betriebsmittelreserve des DHV sei auf 124 Euro abgeschmolzen. Trotzdem bleibt es erstaunlich ruhig. Der große Ärger folgt erst noch. Im Dezember 2011 kündigt der Landesverband NRW "vorsorglich" seine Mitgliedschaft im DHV zum 31. Dezember 2013, im Januar 2012 folgt der Brandenburgische Kurorte- und Bäderverband.

Die Begründungen sind nahezu identisch. Schlechte Finanzen, mangelnde Transparenz. Damit sich solche Fehler nicht wiederholen, müsse mehr passieren als seit der Mitgliederversammlung geschehen. Nordrhein-Westfalen (NRW) fordert eine "Reform an Haupt und Gliedern". Geschehe das, dann wolle NRW dabeibleiben. Ebenso Brandenburg. Ende Mai 2012 folgt ein Kündigungsbrief von Sachsen-Anhalt, dieses Mal nicht mehr "vorsorglich", sondern definitiv. Drei Gründe nennt Sachsen-Anhalt: die eigene finanzielle Lage, die allgemeine Unzufriedenheit mit dem DHV, und der Verlauf von Mitgliederversammlung und Präsidiumssitzung im Herbst 2011, bei der die Lasten des Internet-Portals bekannt geworden waren. Müller hatte dort das Projekt vehement verteidigt.

Das macht der Heilbäderkönig auch heute noch. Zusammen mit Jürgen Kulp, dem Geschäftsführer der für das Portal zuständigen DHV-Tochterfirma, preist er landauf, landab die Kur im Internet an. www.gesunderurlaub.de lautet die Adresse. Kulp hat früher Kopierer verkauft. Jetzt soll er den Heilbädern die Zukunft verkaufen. Knapp 2000 Euro pro Jahr kostet die Teilnahme an dem Portal, doch Mitte 2012 machen erst 55 Kurorte mit. 100 müssten es sein, damit sich das Projekt rechnet. Und 120 sollten es im Verlauf dieses Jahres bereits sein, der Kalkulation zufolge, mit der Eberl Online das Vorhaben dem DHV einst schmackhaft gemacht hatte. Damals wurden schöne Gewinne prophezeit.

Zu den wenigen Kurorten, die beim Internet-Portal mitmachen und brav zahlen, gehört auch Bad Berneck im Fichtelgebirge. "Da muss man dabei sein", sagt Tourismus-Manager Jung. "Für jeden, der sagt, das braucht man nicht, kommt bestimmt irgendwann das böse Erwachen." Doch bisher, räumt Jung ein, habe es nur die eine oder andere Anfrage gegeben.

Eigentlich sollte mit Präsident Müller alles besser werden. Der CSU-Mann sollte den Verband modernisieren und, als Abgeordneter und Kabinettsmitglied, sich um mehr Einfluss auf die Politik kümmern. Stattdessen: Querelen. 120 Jahre alt ist der Heilbäderverband vor wenigen Monaten geworden. Doch Grund zum Feiern gibt es wenig. Auch die Organisation der deutschen Heilbadeärzte hat mit ihren 700 Mitgliedern den Austritt aus dem DHV erklärt. Man werde zu wenig wahrgenommen, erklärte der Zusammenschluss der Badeärzte. Der DHV gehe immer mehr in Richtung Gesundheitstourismus und entferne sich so vom Kerngedanken der Kur. Dafür wollen sich die Badeärzte nicht hergeben.

Müller sorgt auch das nicht. Er spricht gerne von einem "neuen Gesundheitstrend", bei dem die Heilbäder dabei sein müssten. Und garniert das mit flotten Sprüchen, für die er schon mal einen berühmten Beatles-Song abwandelt. "All you need is Kur." Zu diesem Motto hat Müllers Verband auch ein Bild ins Internet gestellt. Es zeigt eine Frau mit Badekappe. Einer Badekappe aus den fünfziger Jahren.

© SZ vom 7.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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