Es ist wohl eine der weniger bekannten Facetten des Leonardo da Vinci: Der Künstler und Ingenieur war zugleich ein begnadeter Anatom. Er fertigte Tausende Skizzen und Beschreibungen des menschlichen Körpers an. Die Queen's Galerie im Londoner Buckingham Palast zeigt vom 4. Mai an 87 der Zeichnungen. 24 von ihnen waren bislang unveröffentlicht. Die Werke bilden die größte Ausstellung anatomischer Zeichnungen des Renaissance-Künstlers - und erzählen die Geschichte eines großen Versäumnisses.
Vermutlich begann alles 1489, als da Vinci in den Besitz eines menschlichen Schädels gelangte. Er öffnete ihn und fertigte eine ganze Reihe von Zeichnungen an. Doch der Schädel - so will es die Überlieferung - ließ ihn enttäuscht zurück: Er lieferte ihm keine Informationen über den menschlichen Geist und sein Verhältnis zum Körper.
Leonardos anatomisches Interesse erwachte erst neun Jahre später wieder. Er beobachtete damals den Tod eines alten Mannes in einem Florentiner Krankenhaus und sezierte die Leiche anschließend, um zu sehen, was den Tod verursacht hatte. In seiner Spiegelschrift beschrieb er nach der Untersuchung erstmals in der Medizingeschichte eine Leberzirrhose und eine Arterosklerose.
In den folgenden Jahren untersuchte der Künstler etwa 30 Tote und schuf den Großteil seiner anatomischen Zeichnungen. Dieses Bild des Verdauungstraktes und der Nieren stammt aus dem Jahr 1508.
Um 1510 zeichnete da Vinci diese Muskeln von Schulter und Arm sowie die Fußknochen. Die meisten seiner Werke sind von großer Perfektion und auch nach heutigem Kenntnisstand korrekt.
Dies ist eine der bekanntesten von Leonardos anatomischen Zeichnungen. Für den Uterus mit dem Ungeborenen hatte er allerdings keine menschliche Vorlage. Er rekonstruierte das Bild nach der Sektion einer Kuh.
Auch für das Studium des Herzens musste Leonardo ausweichen - auf Ochsenherzen, die er detailreich beschrieb.
Da Vinci hatte vor, seine anatomischen Erkundungen gesammelt zu publizieren. Doch zu seinen Lebzeiten kam es nicht dazu und nach seinem Tod 1519 ging ein Großteil der Zeichnungen verloren. Erst im 20. Jahrhundert wurde der Rest der Werke in England wiederentdeckt. Hätte da Vinci seine Pläne verwirklicht, hätte er die bis dato umfangreichste Arbeit über den menschlichen Körper vorgelegt. Manches, was er entdeckte, wurde erst Jahrhunderte später erneut beschrieben. Die Ausstellung "Leonardo da Vinci: Anatomist" ist vom 4. Mai bis 7. Oktober 2012 in der Queen's Gallery zu sehen. Mehr unter: www.royalcollection.org.uk