Medizin:Vielen Pathologen wäre KI-Unterstützung sehr willkommen

Und auch nach der Weiterbildung dauert es noch Jahre, bis der Facharzt seine "interne Datenbank", wie es der niedergelassene Pathologe Griewank nennt, gut gefüllt hat. "Um in seinem Fach richtig gut zu sein, braucht ein Pathologe viele Jahre bis Jahrzehnte."

Diese "interne Datenbank", also eine gehörige Portion Erfahrung, soll nun mittels neuer Technik deutlich schneller aufgebaut werden. Bereits heute können Pathologen digitale Bilder ihrer Proben an ein anderes Institut senden, um dort eine Zweitmeinung zu bekommen. Und intelligente Bildverarbeitungsprogramme übernehmen zeitraubende und aufwendige Aufgaben wie etwa das Zählen von Zellen. "Das ist ein gutes Beispiel für eine erprobte Funktion intelligenter Bildverarbeitung", sagt Stephan Wienert, Tumorforscher und Softwareentwickler. Wienert hat sich auf die Pathologie spezialisiert und arbeitet für diese an Lösungen wie dem Ki67-Algorithmus. Dieser zählt sekundenschnell alle Zellen des Präparate-Scans, die sich gerade in Teilung befinden. Daraus ergibt sich die Wachstumsgeschwindigkeit eines Tumors. Ärzte benötigen diesen Wert zur Auswahl der richtigen Therapie.

Millionen Datensätze wären nötig. Doch nur wenige pathologische Institute arbeiten digital

In der Praxis angekommen ist von alldem bislang wenig. Ärzte wie Klaus Griewank zögern; hohe Kosten, fehlende Standards, veraltete Gesetze und Abrechnungsmodelle der Kassenärztlichen Vereinigung halten sie zurück. So kann der Pathologe beispielsweise seinen Befund nur in Rechnung stellen, wenn er auch das zugehörige Präparat erstellt hat. Eine Zusammenarbeit von verschiedenen Experten und deren Computersystemen ist bislang nicht vorgesehen.

Das könnte sich ändern. Tech-Firmen wie etwa Google treiben die Entwicklung von Systemen, die mithilfe künstlicher Intelligenzen den Alltag von Pathologen verändern werden, stetig voran.

Studien zeigen, dass KI-Analysen, etwa von Brustgewebe, ähnlich gut oder zum Teil sogar besser sind als von Ärzten erhobene Befunde. Der große Vorteil der Systeme: Sie arbeiten schnell und werden nie müde, im Unterschied zum Menschen können sie rund um die Uhr auch große Gewebeareale nach Auffälligkeiten durchleuchten. Andere Einrichtungen, wie etwa das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen, entwickelten Algorithmen, die in der Hautkrebsdiagnose ebenfalls zu besseren Ergebnissen kamen als die menschlichen Spezialisten.

Noch aber verhindern mangelhafte Datensätze eine breite Anwendung in der Praxis. Denn um ein KI-System trainieren zu können, muss es mit Millionen Datensätzen gefüttert werden. Da aber nur wenige pathologische Institute digital arbeiten, ist dieses Material schlichtweg nicht vorhanden. Außerdem tragen die Präparate jeweils die Handschrift ihres Labors und weichen in Schnitt und Färbung voneinander ab. "Hinzu kommt, dass menschliches Gewebe, sowohl gesundes als auch krankes, eine starke individuelle Ausprägung aufweist", sagt KI-Experte Wienert.

Unternehmen wie Googles Mutterkonzern Alphabet könnten solche Probleme in Zukunft lösen, indem sie weltweit Datensätze ankaufen oder eines Tages diese gar selbst erheben. Wie umfassend KI in der Pathologie fortan eingesetzt werden wird, hängt auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Vielen Pathologen jedenfalls wäre KI-Unterstützung sehr willkommen, lieber heute als morgen.

Oder überhaupt Unterstützung: Wenn Klaus Griewank am Abend seine Praxis in Nieder-Olm zuschließt, dann ist klar, sie wird, ja sie muss am nächsten Tag wieder öffnen. Denn die Pathologie ist ein Entsendegeschäft, Praxen schicken Proben nie wieder zu ihm, wenn sie einmal gezwungen waren, ihre Systeme auf ein anderes Labor umzustellen. Und außerdem wartet niemand auf eine mögliche Krebsdiagnose, bis ein Arzt aus dem Urlaub kommt.

Griewanks Lösung, wenn er mal ausfällt: Sein Vorgänger übernimmt für ein paar Tage Praxis und Labor. Das Problem ist nur: Er ist mittlerweile 70 Jahre alt. Hört er auf, hat Griewank niemanden mehr, der ihn vertreten könnte.

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