Medikamente bei Alzheimer:Schonfrist für das Gedächtnis

Lesezeit: 3 min

Alzheimer lässt sich nicht heilen. Allerdings können Medikamente den Gedächtnisverlust für einige Zeit hinauszögern. Doch diese Möglichkeit wird viel zu selten genutzt. Stattdessen werden häufig Psychopharmaka verordnet.

Von Katrin Neubauer

Orientierungslosigkeit, Gedächtniseinbußen, Wortfindungsstörungen - Häufig kündigt sich mit diesen Symptomen eine Alzheimer-Demenz an. Mit der Diagnose ist der drohende, schrittweise Verlust der Alltagskompetenz und damit der Weg in die Pflegebedürftigkeit vorgezeichnet. Bislang gibt es kein Mittel, das den Ursachen der Krankheit zu Leibe rückt. Dennoch kann eine medikamentöse Behandlung vor allem im Anfangsstadium die geistige Leistungsfähigkeit verbessern und Verhaltensstörungen mitunter abmildern.

"Mit einer guten medikamentösen Behandlung lässt sich der zunehmende Abbau von Hirnstrukturen immerhin für einige Zeit verlangsamen", sagt Wolfgang Maier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Zur Behandlung von Alzheimer stehen derzeit zwei Arten von Medikamenten zur Verfügung: Cholinesterase-Hemmer und Memantine, die verschiedene Botenstoffe im Gehirn beeinflussen.

Zum einen den Neurotransmitter Acetylcholin: Er ist maßgeblich der der Informationsverarbeitung im Hirn beteiligt, doch Alzheimer-Patienten haben zu wenig dieses Überträgerstoffs. Die Cholinesterase-Hemmer sollen den Abbau von Acetylcholin verhindern. In Deutschland zugelassene Cholinesterase-Hemmer sind Donepezil, Galantamin und Rivastigmin. Letzteres gibt es auch als Pflaster.

"Zu Beginn der Demenz kann das Medikament die Gedächtnisleistung für sechs bis zwölf Monate stabilisieren oder sogar geringfügig verbessern", sagt Maier. Allerdings ist der Effekt von Patient zu Patient unterschiedlich. "Einige reagieren gut darauf, bei anderen bleibt die Wirkung eher marginal", so Maier, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn.

Nach Ablauf dieser Schonfrist sinkt die geistige Leistungsfähigkeit wieder ab und die Krankheit nimmt unweigerlich ihren Verlauf. "Dennoch sollte das Medikament eingenommen werden, wenn es gut vertragen wird und der kognitive Leistungsabfall nicht beschleunigt vorausschreitet", rät Maier. Cholinesterase-Hemmer helfen mitunter auch, Unruhe und Aggressionen zu mindern. Nebenwirkungen können zu Beginn der Einnahme Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Durchfall sein. Häufig lassen sich diese durch ein vorsichtiges Erhöhen der Dosis vermeiden. Wenn ein Patient ein bestimmtes Präparat nicht verträgt, sei der Umstieg auf ein anderes ratsam.

Ein weiterer körpereigener Botenstoff, der bei der Alzheimer-Erkrankung eine Rolle spielt, ist Glutamat (nicht zu verwechseln mit dem Geschmacksverstärker Natriumglutamat). Glutamat wird bei den Patienten in zu hoher Konzentration ausgeschüttet. Das führt zu einer Übererregung der Zellen und lässt diese absterben. Memantine, die zweite Gruppe der Alzheimermedikamente, drosseln den Transport des Botenstoffs und verbessern so - in Grenzen - Gedächtnisleistung und Verhaltensprobleme. Sie werden im mittleren und schweren Stadium der Alzheimer-Erkrankung empfohlen. Nebenwirkungen sind Schwindel, Kopfschmerz, Müdigkeit, Verstopfung und erhöhter Blutdruck. "Memantine sind etwas besser verträglich als Cholinesterase-Hemmer, aber von der Wirkung her im Durchschnitt schwächer", sagt Maier.

Berühmte Alzheimerpatienten
:"Ich habe mich sozusagen verloren"

Die Hausfrau Auguste war die erste von unzähligen Alzheimerpatienten: Unbekannte Senioren traf es genauso wie Staatenlenker, Sportler, Sprachvirtuosen. Erinnerungen an jene, die dem Vergessen anheimfielen.

Von Berit Uhlmann

Allerdings erhalte nur ein Bruchteil der Alzheimer-Patienten eine leitliniengerechte Behandlung, betont der Psychiater. Eine bundesweite Erhebung zu Pflegebedarf und Versorgungssituation bei älteren Heimbewohnern im Jahr 2009 ergab, dass nur zwischen 11 und 14 Prozent der Demenzkranken mit Antidementiva versorgt wurden. Dafür bekamen diese Patienten wegen Verhaltensstörungen wesentlich häufiger Beruhigungsmittel vom Typ der Neuroleptika verabreicht als Bewohner ohne Demenz (38 versus 23 Prozent), obwohl Indikationen hierfür oft nicht gegeben sind.

Bei Verhaltensstörungen, wie Unruhe, Angst, Aggressivität, Depressionen, Sinnestäuschungen und Schlafstörungen sollten zu allererst nicht-medikamentöse Möglichkeiten ausgeschöpft werden. "Oft liegen dem problematischen Verhalten simple Kommunikationsprobleme mit den Pflegenden zugrunde", sagt Maier. "Demenzkranke verstehen ihre Umgebung nicht mehr und können sich ihr nicht mehr verständlich mitteilen."

Bekommt man Verhaltensprobleme mit psychosozialen Therapien nicht in Griff, sind Neuroleptika das Mittel "letzter Wahl", so Maier. Zur Behandlung von Demenzkranken ist in Deutschland nur der Wirkstoff Risperidon zugelassen.

"Neuroleptika sollten in möglichst geringer Dosierung und nur für kurze Zeit verabreicht werden", sagt Maier. Bei älteren Menschen erhöhen sie das Risiko für Schlaganfälle und die Sterblichkeitsrate. Auch einige Medikamente zur Behandlung von Depressionen sind für Demenzkranke eher ungeeignet, da sie die Wirkung von Cholinesterase-Hemmern schwächen.

"Cholinesterase-Hemmer und Memantine haben ihre Grenzen. Aber ohne sie schreitet die Krankheit vor allem in den Anfangsstadien noch schneller voran", sagt Maier. Deshalb sollten sie bei Ausbruch von Alzheimer immer verschrieben werden. "Es gibt - abgesehen von Unverträglichkeit - keinen vernünftigen Grund, der dagegen spricht."

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: