Meist ist es die Angst zu sterben, die Frauen dazu bringt, zur Mammografie zu gehen. Falls sich in ihrer Brust ein Tumor ausbreitet, dann sollen ihn Ärzte wenigstens früh entdecken, ihn zerstören und so den Tod abwenden. Doch die Gefahr, an Brustkrebs zu sterben, wird durch die Mammografie keineswegs kleiner. Das zeigt eine englische Studie, die den Einfluss der Brustkrebsfrüherkennung auf das Todesrisiko über einen Zeitraum von 39 Jahren ausgewertet hat. Es ist die längste Analyse ihrer Art.
Das Ergebnis ist ernüchternd: "In den Todesstatistiken ist kein Effekt des Mammografiescreenings auf die Brustkrebssterblichkeit in England erkennbar", folgern die Autoren um Toqir Mukhtar vom Department of Public Health der Universität Oxford im Journal of the Royal Society of Medicine (Bd. 106, S. 234, 2013). Es sei nicht auszuschließen, dass einzelne Frauen von dem Screening profitieren, betont Mukhtar. Aber "die Effekte sind zu klein, als dass sie auf der Bevölkerungsebene erkennbar wären".
Dass das Screening nur relativ wenige Frauen vor dem Tod bewahrt, haben bereits mehrere Studien nahegelegt. Die Zahl der statistisch errechneten Nutznießerinnen war in den vergangenen Jahren immer weiter geschrumpft und zuletzt auf null zurückgegangen. Lange Zeit hieß es, dass ein Leben gerettet werden könne, wenn 1000 Frauen zehn Jahre lang zur Mammografie gehen. Doch 2012 hat eine umfassende Analyse der Ergebnisse aus 30 Jahren Mammografie in den USA nicht einmal mehr diesen Überlebensvorteil durch das Röntgen der Brust gefunden ( New England Journal of Medicine, Bd. 367, S. 1998, 2012).
Das Screening habe "im besten Fall, nur einen kleinen Effekt auf die Todesrate durch Brustkrebs", folgerten die Autoren Archie Bleyer und H. Gilbert Welch vom Quality Department des St. Charles Health Systems in Portland. Es habe immer wieder geheißen, es müssten eben Jahre vergehen, bis sich ein Effekt der Mammografie in der Todesstatistik niederschlage, sagt Toqir Mukhtar. "Doch nicht einmal nach fast 40 Jahren ist dieser erkennbar."
Dass der Nutzen der Mammografie immer weiter zusammenschmilzt, liegt vermutlich am Fortschritt in der Krebstherapie. "Die Behandlungsmöglichkeiten und die Prognose werden für später entdeckten und weiter fortgeschrittenen Brustkrebs immer besser", sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg.
Es geht nicht nur um Leben oder Sterben
Gleichwohl geht es beim Thema Krebs nicht nur um Leben oder Sterben. Wenn ein Tumor besonders früh entdeckt wird, ließe sich womöglich viel Leid verhindern, weil die Therapie für einen kleinen, nicht metastasierten Herd weniger belastend sei, sagten Befürworter des Screenings immer wieder. Doch auch diese Hoffnung scheint die Mammografie nicht zu erfüllen. "Das Mammografiescreening hat bisher nicht dazu geführt, dass die Zahl der fortgeschrittenen Tumore abnimmt", sagt Mühlhauser. Das aber müsste der Fall sein, wenn die Diagnose durch das Screening wirklich vorverlegt würde.
Zugleich verursacht die Mammografie selbst Leid - etwa weil sie im Verlauf von zehn Jahren bei jeder fünften Frau mindestens einmal einen Krebsverdacht aufkommen lässt, der erst Monate später als haltlos enttarnt wird. Zur Abklärung sind bis dahin aber eine weitere Röntgenuntersuchung und mitunter auch die Entnahme von Gewebeproben nötig gewesen.
Selbst wenn wirklich Krebs gefunden wird, ist dies nicht immer ein Vorteil. Bei 15 bis 25 Prozent aller Brustkrebs-Diagnosen durch Mammografie handele es sich um Fehlalarm, warnten Ärzte um Mette Kalager von der Harvard-Universität im vergangenen Jahr ( Annals of Internal Medicine, Bd. 156, S. 491, 2012).
Die Patientinnen hätten ohne die Mammografie nie etwas von den Tumorherden in ihrer Brust gemerkt, weil diese ihnen nichts angehabt hätten. Nach der Diagnose aber seien diese Herde mit allen - nebenwirkungsreichen - Mitteln der Krebstherapie behandelt worden.
Das sich daraus ergebene Leid ist beträchtlich: Die Zahl der entdeckten Brusttumore ist in Deutschland seit Einführung des Mammografiescreenings für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren um knapp ein Drittel gestiegen - von rund 57.000 im Jahr 2004 auf zuletzt fast 75.000.
Wäre es sinnvoll, angesichts des schwierigen Verhältnisses von Nutzen und Risiko der Mammografie auf das Angebot zu verzichten?
"Wenn das qualitätsgesicherte Screening gestoppt würde, würden Ärzte die Mammografie wohl weiterhin anbieten - und dann fände sie ohne Qualitätssicherung statt", gibt Ingrid Mühlhauser zu bedenken. Sie plädiert für eine bessere Aufklärung. "Die einzelne Frau weiß niemals, ob sie zu den Gewinnern oder Verlierern des Screenings gehören wird", so Mühlhauser.
Wenn eine Frau also gerne die Mammografie nutzen möchte, sollte sie sich ein qualifiziertes Zentrum suchen. Sie kann sich aber auch guten Gewissens gegen die Untersuchung entscheiden.