Krebsforschung:Die Studienversager

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Eine Non-Profit-Organisation will die Experimente der 50 angesehensten Veröffentlichungen in der Krebsmedizin überprüfen. Nicht ohne Grund. Die Zahl verzerrter, intransparenter und nicht reproduzierbarer Studien nimmt überhand.

Von Werner Bartens

Die Enttäuschung ist auf allen Seiten zu spüren. Bei Patienten wie bei Ärzten, die auf die innovative Behandlung setzen; in der Pharmaindustrie, die Millionen in neue Therapien investiert, weil die Ergebnisse im Labor vielversprechend aussehen. Dass ein Molekül, das als heißer Kandidat im Kampf gegen Krebs gehandelt wurde, sich in der Praxis als untauglich erweist, kommt immer wieder vor. Aber in diesem Ausmaß? Die Firma Amgen hat 53 hochkarätige Veröffentlichungen aus der Krebsmedizin unter die Lupe genommen - und konnte nur bei sechs davon die Ergebnisse reproduzieren. Bayer-Forschern gelang es nur bei 14 von 67 Medizin-Publikationen, die Befunde zu wiederholen.

Diese erschütternde Bilanz hat zu einer bemerkenswerten Initiative geführt. Eine Non-Profit-Organisation untersucht die 50 am häufigsten zitierten Veröffentlichungen der Krebsmedizin aus den Jahren 2010 bis 2012 und macht die Experimente nach. Noch ist unklar, wie viele der Studien sich reproduzieren lassen, 2017 soll das Projekt abgeschlossen sein. Die 50 involvierten Arbeitsgruppen sind keineswegs begeistert und beklagen den Aufwand, mit dem sie ihre Versuchsprotokolle zusammensuchen und manchmal nach längst anderswo beschäftigten Mitarbeitern fahnden müssen.

Der Aufwand kann gar nicht groß genug sein. Wissenschaft lebt von Transparenz, Austausch und dem Wiederholen von Bekanntem. In der Praxis ist wissenschaftliches Publizieren aber längst zum Selbstzweck verkommen. Die Veröffentlichung im angesehenen Fachmagazin ist das, was für die wissenschaftliche Karriere zählt. Ob daraus eine Therapie wird, interessiert kaum. Die Fachjournale spielen mit, weil sie um Autoren und Artikel buhlen, die mit einer steilen These oder populären Themen aufwarten. Das Fachblatt Science hat gerade acht Standards für wissenschaftliches Publizieren aufgestellt. Es geht um Transparenz der Daten, der Versuchsdurchführung und der Auswertung, sowie die Vorabregistrierung der Studien und des Analyseplans. Für seriöse Forschung wäre das selbstverständlich - bisher ist es Wunschdenken.

Alle Beteiligten am Studiengeschehen versagen. Das gilt nicht nur für die Krebsforschung, sondern für die gesamte Medizin. Gemeint sind hier nicht absichtliche Fälschungen, sondern die große Zahl verzerrter, intransparenter und nicht reproduzierbarer Studien sowie solcher, die aufgrund unpassender Ergebnisse gar nicht veröffentlicht werden. Forschungsinstitute, Medizinfakultäten, Ärzteverbände, aber auch Ethikkommissionen, Gesetzgeber und Förderverbände tragen zu dem Missstand bei - und schaden damit Patienten, Ärzten und der Pharmaindustrie.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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