Impfgegner:Alternative Fakten sind der Lebenssaft des Populismus

Impfung: Impfbuch mit markierten Feldern

Symbol mitunter heftiger, kontroverser Debatten: das Impfbüchlein

(Foto: picture alliance / Daniel Karman)

Filme wie "Eingeimpft" zeigen, dass alternative Fakten und gefühlte Wahrheiten sich in der Mitte der Gesellschaft ausbreiten. Oft kommen sie im Gewand der Wissenschaftlichkeit daher.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Auf den ersten Blick handelt es sich bei "Eingeimpft" von David Sieveking um einen netten Familienfilm zum Thema Impfen. Seit der Film für Rezensionen zur Verfügung steht, hat sich allerdings eine heftige Diskussion um den Streifen entsponnen. Fast einhellig wurde "Eingeimpft" von den Qualitätsmedien als fehlerhaft, tendenziös und irreführend kritisiert. Auch die Süddeutsche Zeitung hat die Auswahl der Experten und Beispiele im Film so wie die unausgewogene Darstellung bemängelt. Impfkritiker feiern den Film umso frenetischer, schließlich scheint er zu bestätigen, was sie seit Jahren behaupten.

Doch so sehr sich viele auch bemüht haben, die Faktenfehler Sievekings noch vor dem Filmstart auszuleuchten - der Schaden ist angerichtet und sehr wahrscheinlich irreparabel. Sieveking zeigt sich zudem vollständig uneinsichtig, was die Kritik betrifft. Für jedes Kind, das wegen dieses Films ungeimpft bleibt und geschädigt wird, muss man den Filmemacher und seine Unterstützer verantwortlich machen. Dazu gehören auch zwei öffentlich-rechtliche Sender. Bayerischer Rundfunk und Rundfunk Berlin-Brandenburg haben "Eingeimpft" koproduziert.

Man könnte nun sagen: Es ist bloß ein Film. Ein schlechter noch dazu. Wie viele Menschen sich von "Eingeimpft" beeindrucken lassen werden, weiß niemand. Zudem darf man Sieveking zwar handwerkliche Fahrlässigkeit unterstellen, aber keinen bösen Willen. Der Autor sagt von sich jedenfalls, dass er eine autobiografische Geschichte erzählen wollte. Und das mag unabhängig vom Ergebnis tatsächlich so gewesen sein, selbst wenn viele Szenen im Film nicht authentisch wirken, sondern peinlich gestellt und überzeichnet.

Kaum ein Zuschauer vermisst zuverlässige Expertise

Was die ganze Angelegenheit so beunruhigend, so bedrohlich macht, ist allerdings weniger, was der Film erzählt. Fast alle Beispiele des Streifens waren schon bekannt, sie werden von Impfkritikern oder -gegnern seit vielen Jahren wiedergekäut. Das ist bedauerlich, bot aber bisher kaum Grund zur Sorge. Verschwörungstheorien hat es schließlich schon immer gegeben. Für gesunde Demokratien sind randständige Extreme nicht unbedingt eine Gefahr.

'Eingeimpft - Familie mit Nebenwirkung'

Szene aus "Eingeimpft - Familie mit Nebenwirkung".

(Foto: dpa)

Als "Eingeimpft" Anfang dieser Woche Premiere hatte, besuchten jedoch nicht nur Spinner und Verschwörungstheoretiker die Vorstellungen. Wie der NDR und zahlreiche Besucher berichten, waren auch Eltern dabei, die der eigenen Unsicherheit etwas entgegensetzen wollten. Normale Menschen, die sich in der Verantwortung für ihre Kinder sehen und sich fragen, ob so ein kleiner Körper wirklich vor der sechsten Woche gegen Rotaviren geimpft werden muss und ob diese Fünffachimpfungen nicht auch irgendwie zu viel sind für so kleine Wesen. Berechtigte Fragen, auf die es eindeutige, solide untermauerte Antworten gibt. Vielleicht vermittelt diese Antworten nicht jeder Arzt. Auf keinen Fall vermittelt sie "Eingeimpft".

Dennoch, die anschließend befragten Eltern empfanden den Film als informativ, hilfreich, dem eigenen Gefühl entsprechend. Endlich einer, der ihre Ängste und Sorgen ernst nimmt, egal, wie begründet diese Ängste und Sorgen auch sein mögen. Nur wenige vermissten Fakten oder Ausgewogenheit - oder zuverlässige Expertise. Stillschweigend stimmten die Besucher damit dem zu, was die verantwortliche Redakteurin des BR, Sonja Scheider, dem NDR-Magazin "Zapp" sagte: Dass die Experten im Film "genauso legitim" seien wie jeder andere Experte, der meine, sich zum Thema äußern zu können.

Gefühlte Wahrheiten im Gewand der Wissenschaftlichkeit

Dieser Satz, so selbstverständlich dahingesagt von einer Trägerin des Deutschen Fernsehpreises, muss einem Angst und Bange machen. Mit anderen Worten sagt Frau Scheider: Wer eine Meinung hat, hat Ahnung. Und wer meint, Ahnung zu haben, darf seine Ahnungen in der Öffentlichkeit streuen, egal, ob sie sich belegen lassen oder nicht. Man darf vermuten, verkürzen, raunen. Und man darf Alternativen anbieten zu dem, was wissenschaftlich abgesichert oder gründlich recherchiert ist. Alternativen zu dem, was gemeinhin "Fakten" heißt.

Oft kommen diese Alternativen im Gewand der Wissenschaftlichkeit daher. Es wird von Studien gesprochen oder anderen Belegen. Und mittlerweile erreicht man damit ein respektables Publikum. Das ist nicht nur beim Thema Impfen so. Ob es nun um vorgebliche Risiken in der Medizin, um neue Technologien oder Maßnahmen in der Landwirtschaft geht, das Motiv zieht sich durch immer neue Felder. Es betrifft auch politische Ereignisse wie die Äußerung des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßens, bei einer Videoaufnahme der Hetzjagd in Chemnitz handele es sich nach seiner "vorsichtigen Bewertung" um eine "gezielte Falschinformation".

Der Verweis auf eine vorsichtige Bewertung vermittelt auch hier einen Eindruck von Expertise. Der Verdacht war nachweislich falsch, der Schaden ist angerichtet. Die Zweifel sind gesät, die Legende in der Welt. Mehr noch: Der selbsternannte Videoexperte Maaßen würde es nach eigener Aussage wieder tun, er würde das gleiche Interview noch einmal geben. Es war halt sein Gefühl.

Unangenehme Fragen müssen gestellt werden

Der alternative, gefühlte Fakt ist der Lebenssaft jeder Form von Populismus. Dass diese gehaltfreie Soße inzwischen fast überall ungehindert fließt, ist mehr als kritikwürdig. Es ist alarmierend. Jeder, dem die Zukunft und Gesundheit der eigenen Kinder, der Schutz der Menschenwürde und der Freiheit, schützenswert erscheinen, muss sich gegen diese Entwicklung engagieren. Die Frage ist: Wie?

Die Sozialpsychologie hat das Wesen von Fakes und ihrer Verbreitung in Zeiten sozialer Netzwerke inzwischen vielfach untersucht und wenig Hoffnungsvolles zu berichten. Der Mensch wünscht sich Bestätigung. Was er sich nicht wünscht, sind kritische Fragen. Deshalb entstehen Echokammern, in denen die Selbstvergewisserung dominiert und keine kritischen Fragen gestellt werden. Das ist nicht nur im Internet so. In Berlin etwa haben sich Nichtregierungsorganisationen vergangene Woche zu einer Konferenz getroffen, um über die neue Gentechnik zu sprechen. Auch über die angeblichen Risiken, die man zu erkennen glaubt. Anders als bei echten wissenschaftlichen Veranstaltungen durften Journalisten nicht teilnehmen.

Doch die unangenehmen Fragen müssen gestellt werden - und es muss eine ehrliche Auseinandersetzung damit stattfinden, was wirklich stimmt und was nicht. Eltern sollten wenn, dann nicht nur Ärzten und der Pharmaindustrie gegenüber kritisch sein. Sondern unbedingt auch denen gegenüber Zweifel hegen, die ihnen nach dem Bauch reden. Das ist nämlich viel einfacher, als einen Impfstoff zu entwickeln oder Gerüchte aus der Welt zu schaffen.

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