Immunsystem:Womit sich der Körper verteidigt

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Leukozyten, sogenannte weiße Blutkörperchen, sind zweifellos die prominentesten Immunzellen im menschlichen Körper. Das Bild zeigt eine dieser Zellen neben einem Erythrozyten. (Foto: imago stock&people/imago/Science Photo Library)

Es ist so schwer wie eine kleine Melone, Frauen sind im Vorteil, und der Anteil des Darms wurde überschätzt: Forscher haben das menschliche Abwehrsystem neu vermessen - und Erstaunliches gefunden.

Von Christina Berndt

Das Immunsystem ist groß und faszinierend zugleich. Entsteht irgendwo im Körper eine Wunde, sind im Nu Millionen Immunzellen zur Stelle. Rund 20 verschiedene Zelltypen umfasst die körpereigene Abwehr, sie sitzen in verschiedenen Geweben oder patrouillieren durch den Körper - aber wie groß ist diese Immun-Armee eigentlich genau? Das wollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Ron Milo vom Weizmann-Institut im israelischen Rehovot genauer wissen. Herausgekommen ist eine umfassende Vermessung des Immunsystems, die die Forschenden im Fachjournal PNAS präsentieren.

Demnach besteht das Immunsystem eines erwachsenen, 73 Kilogramm schweren Mannes aus rund 1,8 Billionen Zellen. Das ist ein beträchtlicher Anteil an den Zellen des Körpers insgesamt: In dem gibt es, das ergab kürzlich eine Studie aus Stanford, 36 Billionen Zellen, wenn er rund 70 Kilogramm schwer und 176 Zentimeter groß ist. Rund fünf Prozent seiner Zellen wendet der Mensch also für seine innere Sicherheit auf. Zusammen wiegt die Armee der Immunzellen 1,2 Kilogramm, schreiben die Forschenden.

Die israelischen Wissenschaftler nutzten für ihren immunologischen Kassensturz neben vorhandener Fachliteratur auch Multiplex-Bilder verschiedener Gewebe und direkte Zellanalysen. Demnach sind die Anteile der verschiedenen Immunzellen sehr unterschiedlich verteilt: Lymphozyten, die sich vornehmlich in den Lymphknoten und der Milz aufhalten und zu denen neben T- und B-Zellen auch natürliche Killerzellen und Plasmazellen gehören, machen 40 Prozent aller Immunzellen aus. Wegen ihrer überschaubaren Größe und Schwere stellen sie aber nur 15 Prozent der Masse der Immunzellen. Ähnlich groß ist die Fraktion der Neutrophilen, die vornehmlich im Knochenmark residieren und unerwünschte Eindringlinge mit einer ätzenden Fracht, die sie in ihrem Inneren tragen, bekämpfen. Die gefräßigen Makrophagen hingegen, die in Geweben des gesamten Körpers sitzen und dort auf Futter in Form kranker oder gefährlicher Zellen warten, stellen zehn Prozent der Immunzellen, machen aber etwa die Hälfte von deren Masse aus.

Überraschend wenige Immunzellen siedeln im Darm

Am meisten Immunzellen gibt es mit jeweils rund 700 Milliarden im Lymphsystem und im Knochenmark, die Haut kommt auf 80 Milliarden, die Lunge auf 70 Milliarden, Leber und Magen-Darm-Trakt auf jeweils 50 Milliarden und das Blut auf 40 Milliarden.

Frühere Studien hatten gezeigt, das in jedem Milliliter Blut neben etwa fünf Milliarden roten Blutkörperchen bis zu 1,5 Millionen T-Zellen schwimmen. Diese Größenordnung bestätigt die neue Studie. Während der Darm bisher als einer der wichtigsten Orte des Immunsystems galt, trafen die israelischen Forschenden dort aber nur rund drei Prozent aller Immunzellen des Körpers an. Bisher waren Immunologen davon ausgegangen, dass bis zu 70 Prozent der Immunzellen im Darm sitzen. Allerdings bleibt die immunologische Bedeutung des Darms auch nach der neuen Analyse groß. Denn es scheinen rund 70 Prozent der wichtigen Antikörper-produzierenden Lymphozyten dort unterwegs zu sein, wie auch das Team um Ron Milo konzediert.

Das Immunsystem sei im Darm besonders wichtig, sagt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und Immunologieprofessor in Dortmund. Denn der Darm mit seiner riesigen Oberfläche gilt neben der Haut als wichtigste Barriere zur Außenwelt, von der ständig feindselige Keime in den Körper gelangen können - speziell beim Darm auch durch die Nahrung, die immer die Gefahr für Infektionen birgt. Die Aufgabe des Darms sei deshalb kompliziert, so Watzl: Während er feindselige Krankheitserreger abwehren und giftige Nahrungsbestandteile vom Körper fernhalten muss, muss er zugleich die guten Dinge aus der Nahrung aufschließen und die freundlichen Bakterien tolerieren, auf die der Körper angewiesen ist. Das sei eine immunologische Herkulesaufgabe.

Allerdings ist das Immunsystem hochdynamisch und wird in seiner Arbeit auch von anderen Faktoren wie Alter und Geschlecht beeinflusst. Aus diesem Grund haben die Forschenden auch die Immunzellen einer 60 Kilogramm schweren Frau und eines zehnjährigen Kindes vermessen. Auf den ersten Blick zeigten sich hier keine wesentlichen Unterschiede. Es scheint somit wenig mit der Verteilung der Zellen im Körper zu tun zu haben, dass die weibliche Immunabwehr eine größere Schlagkraft hat. Als Grund gilt vielmehr, dass die weiblichen Sexualhormone dafür sorgen, dass Frauen mehr Antikörper bilden.

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