Gesundheit:Mord im Wohnheim: Einrichtung fordert mehr Selbstbestimmung

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Das Oberlinhaus in der Rudolf-Breitscheid-Straße. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Nachdem vor zweieinhalb Jahren am Oberlinhaus eine Pflegekraft vier Menschen umbrachte, setzte sich eine Expertenkommission zusammen. Am Freitag präsentierte sie erste Ergebnisse.

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Potsdam (dpa/bb) - Der Diakonie-Anbieter Oberlinhaus, der vor zweieinhalb Jahren durch ein Verbrechen mit vier Toten erschüttert wurde, will die Anliegen von Menschen mit schweren Behinderungen in der Pflege besser einbinden. Die Pflege müsste „mit einem einfühlenden Verstehen sich einen Einblick darüber verschaffen (...), was will der einzelne Mensch eigentlich“, sagte Pädagoge und Kommissionsmitglied Wolfgang Bayer bei der Vorstellung des Zwischenberichts einer Expertenkommission am Freitag in Potsdam. „Die Frage, wie Menschen mit komplexen Behinderungen in solchen bürokratisch organisierten Verfahren zur Sprache kommen, ist deutlich unterentwickelt.“

Die Kommission war im April 2021 ins Leben gerufen worden, kurz nachdem eine damals 52-jährige Pflegekraft vier Bewohner des Thusnelda-von-Saldern-Hauses im Potsdamer Stadtteil Babelsberg gewaltsam mit einem Messer getötet hatte. Die Opfer litten unter schwersten Behinderungen. Eine 43-jährige Bewohnerin überlebte den Angriff durch eine Notoperation. Das Landgericht Potsdam sprach die Deutsche wegen vierfachen Mordes schuldig. Sie wurde in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Als Folge der Auseinandersetzung mit der Tat wurde im Oberlinhaus die Gewaltschutzkonzeption weiterentwickelt.

Die Expertenkommission will nun nach eigenen Angaben Anregungen für eine Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit schweren Behinderungen schaffen. Aber es gehe auch um die Stärkung des Berufs des Heilerziehungspflegers und um bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit Behinderung, erklärte Matthias Fichtmüller, Theologischer Vorstand am Oberlinhaus.

Die Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg, Ursula Schoen, betonte, dass die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes äußerst schleppend verlaufe und sich immer wieder an den Ressourcen aufhänge - gedeckelte Ressourcen wie Fachkräfte und Wohnraum. Daher werde es immer wichtiger, in den Blick zu nehmen, was genau gebraucht werde, und dass die Ressourcen da ankämen, wo sie auch eingesetzt werden sollten. „Es ist auch ein Verteilungskampf.“

Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde Ende 2006 von der UN-Generalversammlung beschlossen und trat in Deutschland am 26. März 2009 in Kraft. Die Konvention fordert Inklusion, also für alle Menschen eine uneingeschränkte und gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Ein Mensch mit geistigen, körperlichen oder psychischen Einschränkungen soll sich demnach nicht anpassen müssen, sondern - so wie er ist - mitten in die Gesellschaft gehören.

© dpa-infocom, dpa:231110-99-898301/3

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