Der Griff zum Salzstreuer wird von skeptischen Blicken begleitet. Immer noch warnen viele Ärzte und medizinische Laien vor zu viel Salz, weil dadurch angeblich Gefahr für Herz und Hirn droht.
Die Deutschen gehen inzwischen zwar großzügiger mit den würzigen Körnern um: In manchen Kreisen werden für Himalaya-Salz oder Fleur de Sel - das ist die liebevoll abgeschöpfte Sole von verdampftem Meerwasser - Summen bezahlt wie für ein ganzes Mittagessen im Restaurant.
Trotzdem bleibt oft ein schlechtes Gewissen, wenn nachgesalzen wird. Dabei ist nicht belegt, dass die Risiken für Herz und Kreislauf durch erhöhten Salzkonsum steigen. Im Gegenteil: Im aktuellen Journal of the American Medical Association zeigt ein europäisches Ärzteteam sogar, dass zu wenig Salz die Gefahr von Infarkt und Schlaganfall erhöht (Bd. 305, S. 1777, 2011).
"Geringerer Salzkonsum führt zu mehr Toten"
Die Mediziner um Jan Staessen von der Universität Leuven beobachteten fast 3700 Erwachsene, die nicht an einer Herzerkrankung litten. Nach sieben Jahren waren sowohl der Anteil der Todesfälle als auch die Anzahl der nicht tödlichen Infarkte und Schlaganfälle in der Gruppe am größten, die am wenigsten Salz zu sich genommen hatte. "Geringerer Salzkonsum führt zu mehr Toten", so Staessen. "Insofern stimmt es nicht, dass Leben gerettet und Gesundheitskosten gespart werden, wenn die Menschen weniger Salz zu sich nehmen."
Die Forscher sprechen sich dagegen aus, der Bevölkerung weniger Salz zu empfehlen. "Es zeichnet sich schon länger ab, dass ein geringerer Salzkonsum keine Vorteile bringt", sagt Martin Reincke, Chefarzt der Inneren Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Diese Untersuchung zeigt im Gegenteil sogar, dass die Risiken steigen." Außer bei wenigen Leiden wie Leberzirrhose, Bluthochdruck oder eingeschränkter Nierenfunktion gebe es keinen Grund, sich bei dem Gewürz zurückzuhalten.
Es ist unbestritten, dass Bluthochdruck die Wahrscheinlichkeit für Herzkrankheiten, Schlaganfälle und andere Leiden erhöht. Doch dass die Menge des Salzes im Essen zum Bluthochdruck beiträgt, bezweifeln immer mehr Forscher.
Auf den ersten Blick sind die Veränderungen minimal: In mehreren Studien zeigt sich, dass selbst starker Salzkonsum den Blutdruck nur gering erhöhte, oft betrug der Effekt nur 1 bis 2 Millimeter auf der Quecksilbersäule (mm Hg). Bei älteren Menschen verändert sich der Blutdruck zwar etwas stärker, doch er steigt auch bei massivem Salzkonsum nur um maximal 5 mm Hg - was immer noch nicht sehr viel ist.
Umgekehrt zeigt sich ein ähnlich geringer Effekt: Wird das Salz in der Suppe und der übrigen Nahrung beschränkt, lässt sich der Blutdruck nur geringfügig senken. Eine Cochrane-Analyse - diese Überblicksstudien gelten als besonders gründlich - kam sogar zu dem Schluss, dass der Blutdruck nur um 1 mm Hg fällt, wenn die tägliche Kochsalzaufnahme um zwei Gramm vermindert wurde.
Für die Forscher, die Daten von mehr als 3500 Erwachsenen analysiert hatten, war diese Änderung zu gering, um sich in irgendeiner Form günstig auf Herz oder Kreislauf auszuwirken. Sie sehen auch keine Beweise dafür, dass Menschen länger oder besser leben, wenn sie ihren Salzkonsum in der Nahrung einschränken.
"Mich wundert das nicht. Evolutionsgeschichtlich waren die Menschen ja immer in Gefahr, zu wenig Salz zu bekommen", sagt Internist Reincke. "Der Körper hat viele Mechanismen entwickelt, um das Salz im Körper zu behalten." Keine Substanz ist so wichtig für die Flüssigkeitsregulation und um die Blutmenge in den Adern im Gleichgewicht zu halten.
Zwar argumentieren einige Kardiologen, dass schon eine geringe Senkung des Blutdrucks die Zahl der Herzkrankheiten und Schlaganfälle weltweit vermindern könnte. Hochdruckpatienten wird daher eine Salz-Beschränkung empfohlen. Doch anderen Wissenschaftlern zufolge ziehen weniger Salz und geringerer Blutdruck Nebenwirkungen nach sich: Es werden mehr Stresshormone ausgeschüttet, der Blutzucker steigt und das sympathische Nervensystem wird aktiviert, das den Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Dies kann wiederum zu mehr Herz-Kreislauf-Leiden und Todesfällen führen.
Erschüttert wurde das Dogma vom gesunden Salzverzicht schon Ende der 1990er Jahre, als Langzeitstudien zeigten, dass die Sterblichkeit in der Gruppe mit dem höchsten Salzkonsum am niedrigsten war. Dabei wurde über Jahrzehnte behauptet, dass Salz gerade auf Herz und Kreislauf einen negativen Einfluss ausübe.
Später zeigten zwar mehrere Untersuchungen, dass mit einer geringeren Salzaufnahme auch die Zahl der Herz-Kreislauf-Leiden zurückging. Dies ließ sich aber nie eindeutig auf weniger Salz zurückführen, die Menschen veränderten im Untersuchungszeitraum schließlich auch andere Lebensgewohnheiten, was sich günstig auf den Blutdruck und das Herz ausgewirkt haben könnte.
In den Industrieländern nehmen die Menschen im Durchschnitt acht bis zwölf Gramm Salz täglich auf. Fünf Gramm würden nach Einschätzung von Experten vollkommen reichen. Doch selbst wenn jemand seinen Konsum einschränken wollte, würde ihm das nicht leichtfallen: Etwa 85 Prozent des aufgenommenen Kochsalzes sind bereits in den Lebensmitteln enthalten - besonders in Wurst, Käse und Konserven, aber auch in Fertiggerichten, Restaurant- und Kantinenessen. Das Nachsalzen am Tisch oder beim Kochen macht daher nur einen kleinen Anteil der aufgenommenen Salzmenge aus.
Es gibt zwar medizinische Fachgesellschaften, die auch für Gesunde weniger Salz empfehlen. Doch die praktische Umsetzung ist schwer und müsste vor allem die Lebensmittelindustrie einbeziehen. Da der gesundheitliche Nutzen mehr als fraglich ist, gibt es keinen Grund, seinen Mitmenschen mit strafenden Blicken zu begegnen, wenn sie beherzt zum Salzstreuer greifen.