Gipfel in Elmau:So schafften es Superkeime auf die G-7-Agenda

Lesezeit: 4 min

Eine Petrischale mit antibiotikaresistenten Keimen: Jedes Jahr sterben in deutschen Kliniken bis zu 15 000 Menschen an Infektionen, gegen die kein Mittel hilft. Mikrobiologen versuchen, Ursachen dafür zu finden. (Foto: REUTERS)

Die Ukraine, klar. Griechenland, auch klar. Doch der G-7-Gipfel in Elmau befasst sich auch mit Bakterien, an denen in Deutschland jährlich Tausende sterben. Das Thema fasziniert Kanzlerin Merkel.

Von Guido Bohsem, Berlin

Der Begriff klingt wie aus einem Science-Fiction-Roman. Aus einer Welt, in der die heutige Zivilisation nicht mehr existiert, und die Menschheit mit neuen Schrecken fertig werden muss: post-antibiotisches Zeitalter. Das hört sich nach Untergang an. Doch kein Autor mit apokalyptischer Lust hat diesen Begriff geprägt, sondern die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das Szenario, das die Organisation mit diesem Stichwort beschreibt ist so realistisch wie erschreckend. Immer mehr Bakterien könnten in den nächsten Jahren gegen die bekannten Antibiotika resistent werden und zu Superkeimen werden.

Schon jetzt sterben in deutschen Krankenhäusern 12 000 bis 15 000 Menschen im Jahr an den Bakterien. Nach einer Studie der britischen Regierung könnte die Zahl der weltweiten Opfer bis zum Jahr 2050 auf zehn Millionen steigen, falls die Resistenzentwicklung der Keime so weitergeht - zehn- bis 14-mal so viele wie derzeit. In 92 Ländern wurde das Auftreten von Tuberkulose-Keimen festgestellt, die gegen herkömmliche Antibiotika weitgehend resistent sind. Eine längst besiegt geglaubte Krankheit droht mit Comeback.

"Ich glaube, dies ist ein Thema, das von ausschlaggebender Bedeutung für die Menschheit insgesamt ist", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor gut zwei Wochen vor der Weltgesundheitsversammlung, "und dies sowohl in den entwickelten als auch in den weniger entwickelten Ländern." Ein Thema für die G 7.

Während des Treffens der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrieländer der Welt in Elmau will Merkel über die Superkeime sprechen, über die Gefahren des post-antibiotischen Zeitalters. Ziel der deutschen Präsidentschaft ist es, die Entwicklung einzugrenzen, die Forschung an neuen Antibiotika zu erhöhen, ihren Einsatz in der Tiermast zu verringern. In Elmau werden die USA, Großbritannien, Japan, Kanada, Italien, Frankreich und Deutschlands aller Voraussicht nach beschließen, das Problem gemeinsam anzugehen. Die G 7 setzen die Superkeime damit auf die globale Politikagenda.

Die Karriere des Themas hat eine lange Vorgeschichte. Seit etwas mehr als 18 Monaten arbeitet die Bundesregierung an den Planungen für den G-7-Gipfel. Was letztlich auf der Tagesordnung steht, stammt immer aus drei Kategorien, erzählt ein erfahrener G-7-Unterhändler. Es gebe - Kategorie eins - Themen, die auf der Hand lägen, wie zum Beispiel im aktuellen Fall das Thema Klima. Schließlich gebe es schon im September den Klimagipfel in Paris, und da sei es einfach notwendig, dass die sieben Staaten sich abstimmten.

Unter die zweite Kategorie fallen Themen, die einfach brennend aktuell seien und deshalb auf die Tagesordnung drängten. In diesem Jahr werde es dabei wahrscheinlich auf die Lage in der Ukraine und womöglich auf die drohende Pleite Griechenlands hinauslaufen.

Schließlich gebe es drittens noch Themen, die aus der Verwaltung des Gastgeberlandes nach oben drängten. Als Hendrik Röller, G-7-Chefunterhändler und Sherpa der Kanzlerin, die Ministerien aufforderte, ihre Ideen für den G-7-Gipfel einzureichen, bekam er von den Staatssekretären rund 170 verschiedene Vorschläge präsentiert. "Alle Ressorts legten vor, alle wollten rein", sagt einer der Verantwortlichen. Die Vorbereitungen für den Elmau-Gipfel seien sehr offen gewesen, wie sich an der Vielfalt der Themen zeige.

Dass es die Superkeime auf die Agenda geschafft haben, hat vermutlich auch mit dem guten Verhältnis zwischen Angela Merkel und Gesundheitsminister Hermann Gröhe zu tun. Als Gröhe von seinem Amt als CDU-Generalsekretär und engster Parteimitarbeiter Merkels ins Gesundheitsministerium wechselte, fand er viele Aufgaben vor, unter anderem auch die fällige Überarbeitung der Deutschen Antibiotika Resistenzstrategie (DART).

Im November 2013 stellte das Ministerium einen Rohentwurf ins Netz. Vier Monate lang konnte dieser kommentiert und ergänzt werden. Dann erarbeitete Gröhes Haus einen Zehn-Punkte-Plan, der im März 2015 an die Öffentlichkeit kam. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass das Thema auch den G-7-Gipfel erreichen würde. Während seiner Reise in die Staaten sprach Gröhe seine US-Kollegin Sylvia Mathews Burwell auf die Superkeime an und stieß auf Interesse. Auch auf seiner Japan-Reise zum Treffen G-7-Gesundheitsminister im Dezember des vergangenen Jahres waren die Superkeime ein Thema. Mitte Mai dann beschloss das Bundeskabinett die überarbeitete DART - fünf Tage bevor Merkel die Superkeime vor der Weltgesundheitsversammlung als Menschheitsthema bezeichnete.

Das Thema fasziniert Merkel nicht nur als Politikerin, sondern auch als Wissenschaftlerin. Bei der Frage, wie denn nun genau die Keime es schaffen, gegen die Wirkung von Antibiotika Resistenzen zu bilden, genügen der gelernten Physikerin keine oberflächlichen Antworten, sie will genau verstehen, wie das funktioniert. Das hat sie in Gesprächen mit Journalisten immer wieder deutlich gemacht.

Ob das Thema Keime nun ganz groß rauskommt, hängt unter anderen genau an diesem Interesse: "Keiner würde seinen Chef oder Chefin am zweiten Tag mit einem Thema in die Runde schicken, für das er sich nicht interessiert." Und noch eine andere Frage muss sich Merkels Sherpa Röller stellen - interessiert es auch die anderen Regierungschefs, ist es der Runde angemessen, ist es "leaderlike" wie die G-7-Unterhändler es nennen. Ein anderer G-7-Veteran glaubt, dass der Kampf gegen die Superkeime diese Kategorie erfüllt: "Das Thema schreit gerade zu nach einer politischen Lösung auf globaler Ebene."

Todesursachen weltweit, SZ-Grafik; Quelle: Regierung Großbritanniens (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Regierung Großbritanniens)

Vieles hängt noch davon ab, wie insbesondere die Verhandlungen ausgehen und wie weit die Amerikaner mitgehen werden. Besonders schwierig wird der Punkt sein, den Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft besser unter Kontrolle zu kriegen. Die Europäer dringen darauf, die Mittel nicht mehr zu Mastzwecken, sondern nur noch zu Behandlung von Krankheiten einzusetzen. Die Amerikaner sind bisher skeptisch. Auch bei der Frage, wie die Pharmaindustrie unterstützt werden kann, neue Wirkstoffe zu entwickeln, gibt es noch Abstimmungsbedarf.

Bereits im Oktober soll dann über eine möglichst konkrete Umsetzung der Beschlüsse gegen die Superkeime gesprochen werden. In Berlin, beim Treffen der G-7-Gesundheitsminister.

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: