Abends zwischen acht und neun Uhr hatte der passionierte Jäger in geselliger Runde seine Steaks verzehrt, mitten in der Nacht wachte er mit Juckreiz am ganzen Körper auf. Der 58-Jährige fühlte sich, als wäre er in einen Haufen Brennnesseln gefallen. Erklären konnte er sich die allergische Reaktion nicht, doch in der Folge passierte es immer wieder, dass der Mann nachts nicht schlafen konnte, weil ihn die Nesselsucht plagte. Manchmal kam Schwindel hinzu, der Blutdruck fiel ab oder Atemnot setzte ein.
Als der Patient zu Tilo Biedermann in die Klinik kam, um herauszufinden, worauf er so allergisch reagierte, hatte der Hautarzt einen Verdacht. Schließlich war der Mann immer wieder in Wald und Flur unterwegs und musste im Laufe der Jahre etliche Zeckenstiche über sich ergehen lassen. "Der Patient hat eine Allergie gegen rotes Fleisch entwickelt", sagt der Chef der Universitätshautklinik an der TU München. "In seltenen Fällen wird so etwas durch wiederholten Kontakt mit Zecken ausgelöst."
Während des langen Saugvorgangs in der Haut nehmen Zecken Blut auf, vermischen es mit dem Inhalt ihres Verdauungstraktes und spucken es wieder aus. Auf diese Weise gelangt eine Zuckerseitenkette namens Alpha-Galactose aus dem tierischen in den menschlichen Körper. Irgendwann im Verlauf der Evolution ist den Menschen die Fähigkeit abhandengekommen, die Substanz selbst herzustellen. Kommen sie damit - etwa durch Zeckenstiche - neu in Berührung, erkennt der Körper den Stoff als fremd und kann nach wiederholtem Kontakt allergisch reagieren, wenn er ihn als Inhaltsstoff von rotem Fleisch präsentiert bekommt. "Das ist eine Art Allergieimpfung über die Haut", sagt Biedermann, dessen Arbeitsgruppe in München deutschlandweit die meiste Erfahrung mit dem seltenen Leiden hat. "Gefährdet sind vor allem Menschen, die viele Zeckenstiche haben, etwa weil sie oft mit Hunden draußen sind oder als Förster oder Jäger arbeiten."
Jetzt beginnt wieder die Zeckensaison, und gerade hat Biedermanns Team einen Überblicksartikel mit neuesten Erkenntnissen publiziert. So blüht die allergische Hautreaktion an der Einstichstelle der Zecke besonders stark auf. Für den Verzehr unbedenklich sind Geflügel und Fisch, Innereien wie Schweineniere oder Saures Lüngerl haben hingegen hohes Allergiepotenzial. "Ob gut durchgebraten, medium oder blutig macht aber keinen Unterschied", sagt Biedermann.
Eine Therapie gegen die Fleischallergie gibt es nicht, doch Provokationstests unter ärztlicher Aufsicht zeigen, dass manche Betroffene zwei, drei Scheiben Braten vertilgen können, bevor Symptome einsetzen. "Ein paar Speckwürfel im Salat oder ein Wurstbrot machen dann nichts aus", beruhigt Biedermann. Manchmal drohen jedoch weitere Gefahren: Die allergieauslösende Substanz kann auch über Medikamente in den Körper gelangen, zu deren Herstellung tierische Zellen nötig sind. Als besonders tückisch erwies sich die Allergie des 58-Jährigen. Weil sie Gelatine aus tierischem Eiweiß enthalten, reagierte der Patient auf seine Lieblings-Gummibärchen. Allerdings war die Dosis beachtlich; er hatte 250 Gramm in einer Stunde zu sich genommen.