Radfahren:Die Wissenschaft vom Helm

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Unfallärzte sehen im Helm einen entscheidenden Lebensretter. Dennoch lassen ihn viele Radfahrer an der Gaderobe hängen. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Studien zeigen: Fahrradhelme schützen nicht. Aber stimmt das? Eine Annäherung an ein großes Missverständnis.

Kommentar von Felix Hütten

Respekt an Herrn Scheuer. Nein, wirklich, der auch in dieser Zeitung nicht besonders oft gelobte und in vielen Bereichen untätige Verkehrsminister hat etwas Wunderbares vollbracht: Mit seiner diskussionswürdigen Werbung für Fahrradhelme inklusive cooler Sprüche (Englisch!) und nackter Haut (catchy!) stößt Scheuer eine nicht neue, aber wichtige Diskussion an: Retten Fahrradhelme wirklich Leben? Brauchen wir in Deutschland womöglich sogar eine Helmpflicht für Fahrradfahrer?

Die Diskutanten, und das ist an sich schon begrüßenswert, bedienen sich hierbei gerne einiger Argumente aus der Wissenschaft. (Zugegeben, Studien zur Helmpflicht hin oder her, das Leben von Radfahrern könnte man mithilfe von besseren Radwegen oder Abbiegeassistenten für Lkw sicher besser schützen.) Und so wehren sich viele Radfahrer mit der These, dass die Helmpflicht nicht helfe, ja mehr noch, sogar die Lage verschlimmern könnte.

Auf einer Intensivstation kann man besichtigen was passiert, wenn ein Kopf auf Asphalt knallt

Tatsächlich gibt es ernst zu nehmende Hinweise aus Studien, die nahelegen, dass eine Helmpflicht beispielsweise die Zahl der Radfahrer im Straßenbild reduziert (weil uncool, trotz sexy Werbung!), was wiederum dazu führt, dass die wenigen übrigen Radfahrer im Autoverkehr noch mehr untergehen.

Ein anderes, häufig verwendetes Argument lautet, dass insgesamt die Aggression und das Risikoverhalten im Verkehr zunehmen - weil sich Radfahrer weniger verletzlich fühlen und Autofahrer eher meinen, der scharf überholte Radfahrer ist ja im Zweifelsfall irgendwie geschützt.

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Das Problem wissenschaftlicher Untersuchungen zu diesem Thema aber bleibt die Vergleichbarkeit. Es ist schlichtweg schwer zu erfassen, welche und wie viele Verletzungen durch das Tragen eines Helmes wirklich verhindert werden. Andersherum ist es, zumindest im Einzellfall, einfacher: Man muss nur mal zu Besuch auf eine Intensivstation gehen, um zu studieren, was passiert, wenn ein Kopf auch mit niedriger Geschwindigkeit auf Asphalt knallt.

Da brechen Schädelknochen, Blutgefäße reißen oder werden abgequetscht, kurzum: Selbst wenn der Helm Unfälle nicht verhindert, kann er in mancher Situation den entscheidenden Unterschied ausmachen zwischen schwer verletzt und mausetot.

Was also bleibt? Verkehrsminister Scheuer wird sich vom Hin und Her der Argumente aus Studien zum Thema Helmsicherheit wahrscheinlich nicht beirren lassen. "Helme retten Leben", heißt seine Kampagne, was richtig und falsch zugleich ist. Solange die deutsche Verkehrspolitik die zahlreichen sinnvollen Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit von Fahrradfahrern verschläft, bleibt nur der Eigenschutz mittels Helm - auch wenn dessen Wirksamkeit wissenschaftlich auf wackligen Beinen steht.

© SZ vom 30.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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"Helme retten Leben", so heißt es in der Kampagne von Verkehrsminister Scheuer. Die Wirksamkeit steht aber wissenschaftlich auf wackeligen Beinen. Bessere Radwege oder Abbiegeassistenten für LKW würden sicher besser schützen, schreibt SZ-Autor Felix Hütten. Wie viel Eigenschutz muss sein?

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