Der Mensch, der nachweislich am längsten lebte, war eine Französin. Jeanne Calment wurde 122 Jahre alt. Sie selbst führte ihr hohes Alter unter anderem auf den Genuss von Olivenöl, Knoblauch und Gemüse zurück. Auch wenn eine Lebensgeschichte nichts beweist, so passt sie doch in das Bild, das die EU-Statistiker zeichnen: Die Bewohner der Mittelmeerländer werden besonders alt, seltener krank - und sie ernähren sich gesund. Gibt es da einen Zusammenhang?
Die EU-Regionen, in denen die Frauen die höchste Lebenserwartung haben, liegen fast ausschließlich in Frankreich (17 Regionen), Italien (elf Regionen) und Spanien (zehn Regionen), sagt das Eurostat Jahrbuch der Regionen 2012. Bei den Männern, die im Schnitt eher als die Frauen sterben, ist die Lage uneinheitlicher: Die Regionen mit der höchsten Lebenserwartung verteilten sich über viele Länder, allen voran Großbritannien, Italien, Schweden und Deutschland.
Frankreich und Spanien haben zugleich geringe Raten von tödlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Leiden wie Herzinfarkt und Schlaganfall sind die Todesursache Nummer eins in der EU: Knapp 40 Prozent aller Todesfälle gehen auf ihr Konto. Auf der Liste der am häufigsten betroffenen Gegenden stehen insgesamt 33 Regionen aus Frankreich und Spanien ganz unten.
Als eine wesentliche Ursache für die gute Herzgesundheit der beiden Länder nennen die EU-Statistiker die mediterrane Küche. In zahlreichen Studien ist belegt, dass sich die Mittelmeerküche positiv auf das Herz-Kreislauf-System auswirkt, bestätigt der Kardiologe Helmut Gohlke, Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung.
Mittelmeerküche heißt nicht Pasta mit Sahnesauce oder fetttriefende Pizza, sondern: viel Gemüse, Salat, Hülsenfrüchte, Obst und Vollkornprodukte. Außerdem möglichst oft Olivenöl statt Butter und Fisch statt rotem Fleisch. Welcher Bestandteil dieser Ernährung wie wirkt, ist im Detail unklar. Offenbar, so Gohlke, sorgt "das ganze Paket" für den gesundheitlichen Effekt.
Die Deutschen sind von dieser Art gesunden Küche noch recht weit entfernt. Der neusten Verzehrstudie zufolge essen sie beispielsweise pro Tag durchschnittlich 68 Gramm Gemüse. Empfohlen werden aber etwa 400 Gramm. Ohnehin ist die Vorstellung von der Mittelmeerküche hierzulande nicht unbedingt realistisch. Vielen Menschen erscheint sie vor allem wegen ihres vermeintlichen Freispruchs für Rotwein attraktiv.
Doch ob der Wein tatsächlich einen positiven Effekt hat, ist weniger klar. Gohlke jedenfalls empfiehlt ihn nicht als Lebenselixier. Die Risiken eines starken Alkoholkonsums, zu dem tägliches Trinken schließlich führen kann, sind wesentlich höher als der potenzielle Nutzen für den Kreislauf.
Auch ist es Gohlke zufolge nicht mit einer Ernährungsumstellung allein getan. Die wichtigste Entscheidung für die Gesundheit sei, nicht zu rauchen. Erst dann kommt die Ernährung. Doch genauso bedeutend ist ausreichende Bewegung.
Das alles heißt, man kann viel für seine Herzgesundheit tun. Daneben gibt es allerdings Faktoren, auf die der Einzelne nur wenig Einfluss hat. So gibt es auch innerhalb von Frankreich und Spanien Unterschiede beim tödlichen Ausgang von Herzerkrankungen. Die geringsten Raten haben nicht die ländlichen Idyllen, in denen das Obst prall von den Bäumen hängt, sondern die Regionen Madrid und Paris.
In der französischen Hauptstadt und ihrem Umland sterben von 100.000 Einwohnern nur etwa 104 an einem Herz-Kreislauf-Leiden. Das ist deutlich weniger als der europäische Durchschnitt von knapp 240 Todesfällen pro 100.000 Menschen.
Dass ausgerechnet die Metropolen so gut abschneiden, muss dem funktionierenden Gesundheitssystem zugerechnet werden. Schnell verfügbare Hilfe im Notfall und gut ausgebildete Mediziner retten hier mehr Menschen das Leben als in vielen anderen Regionen.
Die Qualität des Gesundheitswesens ist auch für die Negativrekorde des EU-Rankings wesentlich mitverantwortlich. Unter den zwölf Regionen mit den höchsten Sterberaten infolge von Kreislauferkrankungen liegen die meisten in Bulgarien und Rumänien. Die bulgarischen Region Severozapaden hält den traurigen Rekord von 733 kreislaufbedingten Sterbefällen pro 100.000 Einwohnern.
Bulgarien und Rumänien sind Länder, deren Gesundheitssysteme unter der schlechten wirtschaftlichen Lage besonders leiden. Das wiederrum trägt auch zu einem mangelndem Gesundheitsbewusstsein bei. Und hier schließt sich der Kreis. Wer wenig aufgeklärt ist und wem finanzielle Probleme zusetzen, wird sich weniger um Nikotinverzicht, eine gesunde Ernährung und ausreichend sportliche Betätigung sorgen. Dabei sind sie die Anti-Aging-Maßnahmen schlechthin.