Ernährung:Bleibt nur die Hühnerbrust

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Ob als Braten oder Wurst: Rotes Fleisch kann Krebs auslösen. Das bestätigt jetzt das zuständige Gremium der Weltgesundheitsorganisation. Was heißt das genau?

Von Kathrin Zinkant

Die Zeiten für Fleischesser sind schon lange nicht mehr, was sie einmal waren: Die zu selbstgebratenem Roastbeef geladenen Freunde entpuppen sich neuerdings als Veganer. Vor der Fleischtheke im Supermarkt wird über Massentierhaltung diskutiert. Und das besonders leckere, weil fette Fleisch gilt ohnehin als Gift für Herz und Hüfte. Kann es überhaupt noch schlimmer werden?

Es kann. Wie die Internationale Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation IARC am Montag mitgeteilt hat, will sie rotes Muskelfleisch von Säugetieren - also von Rind, Schwein, Schaf, Pferd und Ziege - in Zukunft als "wahrscheinlich krebserregend" klassifizieren. Verarbeitete Fleischwaren wie Salami, Schinken, marinierte Steaks oder Brüh- und Bratwürstchen werden sogar als offiziell "krebserregend" gelten. Auch dann, wenn sie aus Geflügelfleisch hergestellt wurden.

Es ist das erste Mal, dass das Komitee ein Grundnahrungsmittel als mutmaßlich karzinogen bewertet. Insgesamt umfasst die Liste der wahrscheinlich oder sicher krebserregenden Stoffe 191 Substanzen, die meisten davon sind Chemikalien. Nur wenige dieser Stoffe sind für den Verzehr vorgesehen.

Wer mehr als 40 Gramm Fleisch pro Tag ist, erhöht sein Krebsrisiko

Die IARC sah sich nun zu der Stellungnahme gezwungen, obwohl die wissenschaftliche Veröffentlichung mit allen Daten noch nicht publiziert ist. Informationen über den historischen Schritt waren in der vergangenen Woche vor allem von britische Medien verbreitet worden. Die Datengrundlage der Entscheidung bleibt damit vorerst unklar.

Tatsächlich hatte es in der Vergangenheit aber immer wieder Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Fleischverzehr und dem Risiko für Magen- oder Darmkrebs gegeben. So fand die bislang größte Ernährungsstudie in Europa, die sogenannte EPIC-Studie (European Prospective Investigation in Cancer and Nutrition) an mehr als einer halben Million Menschen, dass ein hoher Fleischverzehr von mehr als 40 Gramm pro Tag unter anderem das Krebsrisiko erhöht. Und zwar umso mehr, je mehr Fleisch auf den Teller kommt. Auch zahlreiche andere Studien legen den Effekt nahe.

Das Problem von epidemiologischen Studien zur Ernährung bleibt jedoch, dass die Effekte meist nicht sehr groß und schwer von anderen Einflüssen zu trennen sind. Hinzu kommt, dass die Daten in der Regel durch Fragebögen erhoben werden und damit von der Ehrlichkeit, Sorgfalt und dem Gedächtnis der Teilnehmer abhängen.

Wer wissen will, was das bedeutet, möge einmal kurz überlegen, was er vergangene Woche (geschweige denn im vergangenen Jahr) gegessen hat. Studien zur Kombination der Lebensstilfaktoren Bewegung, Rauchen, Übergewicht und Ernährung zeigen außerdem, dass Ernährung von allen vier Faktoren den geringsten Einfluss auf die Gesundheit hat. Und damit auch auf das Krebsrisiko.

Viele Ernährungswissenschaftler zeigen sich trotz der dünnen Belege überzeugt von der Gefährlichkeit des roten Fleisches. Für sie gilt schon ein einziges Würstchen am Tag als zu viel. Andere Experten warnen davor, die gesundheitliche Wirkung einzelner Lebensmittel zu überschätzen - sowohl im positiven, wie auch im negativen Sinne. Wenn überhaupt, dann sollte vor allem das verarbeitete, mit zahlreichen chemischen oder schlicht überflüssigen Zusatzstoffen präparierte Fleisch in industriell erzeugten Schinken, Salamis und Aufschnittwaren gemieden werden.

Ian Johnson vom Institute of Food Research in Großbritannien erkennt aber auch hier keinen Grund zur Panik: "Obwohl es epidemiologische Hinweise auf einen statistischen Zusammenhang zwischen verarbeitetem Fleisch und Darmkrebs gibt, bleibt wichtig zu betonen: Der Effekt ist ziemlich klein und sein Mechanismus weitgehend unklar."

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"Der Effekt ist ziemlich klein und sein Mechanismus weitgehend unklar."

Letzteres sieht trotz der eigenen Bewertung auch die IARC so. Zwar erfülle das rote, unverarbeitete Fleisch mit Blick auf das Krebsrisiko das Kriterium der "starken mechanistischen Evidenz" - das heißt, es ist ein Prozess bekannt, der krebsfördernd wirken kann. Fast jeder Fleischfreund weiß inzwischen, dass beim Grillen und starken Erhitzen von Fleisch krebserregende Stoffe entstehen können. Insgesamt bleibt aber unklar, was tatsächlich im Körper passiert. "Es ist noch nicht ganz verstanden, wie rotes oder verarbeitetes Fleisch Krebs auslösen können", teilte die IARC am Montag mit.

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Im Supermarkt wird sich für die Verbraucher vorerst nichts ändern: Die Mitgliedstaaten sind nicht gezwungen, infolge einer IARC-Einschätzung ihre Gesetzgebung anzupassen oder neue Regelungen zu erlassen. Aber das schlechte Gewissen dürfte wachsen. Kalorien, Fett, Tierwohl - und jetzt auch noch Krebs? Sogar Fast-Food-Ketten haben den Braten schon gerochen und bieten vegetarische Burger an. Anstelle eines Rindfleischfladens findet sich darin ein gepresster Fleischersatz.

Wer sich damit nicht anfreunden möchte, dem bleibt eigentlich nur noch der Fisch. Oder die pochierte Hühnerbrust. Pures, ausreichend gegartes Geflügelfleisch, immerhin, gilt nach wie vor als unschädlich.

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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