Armut kann das Gehirn von Kindern verändern. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Duke University in North Carolina (USA) in einer aktuellen Studie, vorgestellt im Fachmagazin Molecular Psychiatry. Schön länger bekannt ist, dass Kinder in einkommensschwachen Haushalten häufiger an psychischen Krankheiten wie Depression leiden als Kinder wohlhabender Eltern. Bislang haben Experten hierfür soziale Gründe aufgeführt: häufiger Stress, schlechte Ernährung und Sorgen um die Zukunft.
Ein Team um den Neurowissenschaftler Ahmad Hariri hat nun untersucht, ob sich die Folgen von Armut direkt im Gehirn von Kindern bemerkbar machen. Seine Vermutung: Kontinuierlicher Stress beeinflusst bestimmte Genabschnitte im Erbgut, die wiederum psychische Erkrankungen begünstigen können.
Hierfür untersuchte das Team bestimmte chemische Markierungen, auch Methylgruppen genannt, die das Auslesen von Genen steuern können. Im Fokus der Studie stand vor allem ein Gen, das für den Transport des Glückshormons Serotonin im Gehirn zuständig ist. Mediziner vermuten schon länger, dass bei Patienten mit Selbstmordabsichten und starker Depression dieser Transport gestört sein könnte.
Das Angstzentrum armer Kinder wird aktiver
Hariri und sein Team untersuchten 183 Jugendliche aus den USA auf Depressionen. Zudem testeten sie, wie die Probanden auf leichte Angst reagieren. Sie zeigten ihnen Bilder von angsteinflößenden Gesichtern und überprüften mit Hirnscans, ob das Angstzentrum im Gehirn vermehrt aktiviert wurde.
Die Versuche zeigten, dass jene Kinder, die in armen Verhältnisse aufgewachsen sind, eine verstärke Methylierung jenes Gens aufwiesen, das für den Serotonin-Transport verantwortlich ist. Solche chemische Markierungen bestimmen, ob ein Gen aktiviert oder stillgelegt wird, wobei sich die im Gen enthaltenen Informationen selbst nicht ändern. In dem untersuchten Fall führt die Anheftung von Methylgruppen dazu, dass weniger Transportzellen gebildet werden. Die Gehirnzellen wiederum laufen dadurch Gefahr, weniger Serotonin zu erhalten. Zudem wurde das Angstzentrum bei Kindern aus armen Haushalten stärker als bei wohlhabenden Kindern aktiviert. Beides kann im Erwachsenenalter Depression begünstigen.
Die Studie ist ein weiteres Argument für die Vermutung, dass Gene durch äußere Einflüsse beeinflusst werden und sich diese Veränderungen vererben können. Das Verständnis dieser Veränderungen, in der Fachsprache als Epigenetik bezeichnet, ist ein wichtiger Schlüssel für individuelle Therapien.
Seth Pollak, Kinderpsychologe an der University of Wisconsin, erklärt die Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature: "Man kann ein spezielles Gen in sich tragen, das Krankheiten fördert - aber abhängig von Erfahrungen, die man macht oder nicht macht, kann dieses Gen nie aktiviert werden."
Pollak kritisiert allerdings, dass die Zahl der Probanden der Studie nicht ausreiche, um allgemeine Aussagen zu treffen. Die Forscher kündigten deshalb an, in einer weiteren Studie mehr als 1000 Probanden untersuchen zu wollen.