Coronavirus:Übertragung durch stehende Raumluft?

Lesezeit: 3 Min.

Wissenschaftler gehen inzwischen davon aus, dass sich das Virus auch durch Aerosole verbeiten könnte. (Foto: dpa)

Die Hinweise mehren sich, dass sich Sars-CoV-2 auch als Aerosol verbreiten kann. Dagegen hilft vor allem Lüften.

Von Christina Berndt

Erst war es ein Sänger, dann fast der ganze Chor. Als sich die Mitglieder des Skagit Valley Chorale am 10. März zu ihrer Probe trafen, taten sie das keineswegs unbedarft. Sie wussten von den vielen Toten in New York, sie wussten, dass das neue Coronavirus Sars-CoV-2 eine potenzielle Gefahr darstellte. Deshalb trafen sie Vorsichtsmaßnahmen, bevor sie sich im US-Bundesstaat Washington zusammenfanden. Desinfektionsmittel standen bereit - und alle verzichteten, wie sie es zuvor per Mail abgesprochen hatten, auf Hugs and Kisses zur Begrüßung: Umarmungen und Küsschen waren verboten.

Doch die Probe entwickelte sich trotzdem zum Desaster. Ein Sänger war mit Sars-CoV-2 infiziert zur Probe erschienen, am Ende waren 53 der 60 Probenteilnehmer krank. Bei insgesamt 33 Sängern wurde das Coronavirus nachgewiesen, bei weiteren 20 geht die US-Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control (CDC), die den Fall untersucht hat, in ihrem gerade erschienenen Abschlussbericht von einer Corona-Infektion aus. Drei Sänger kamen ins Krankenhaus, zwei sind gestorben. Dass sich das Virus während einer einzigen Probe derart massiv verbreitete, ist in den Augen vieler Fachleute ein weiteres Indiz für eine besonders unangenehme Eigenschaft von Sars-CoV-2: Sie gehen davon aus, dass sich das Virus nicht nur durch Niesen, Husten und feuchtes Sprechen, die Tröpfcheninfektion, verbreiten kann, sondern auch in Form eines Aerosols. Dabei handelt es sich um besonders feinen virushaltigen Nebel, der schon beim normalen Atmen und Sprechen (und erst recht beim Singen) entsteht und lange in der Luft stehen bleibt. "Ich denke, man muss davon ausgehen, dass Aerosolübertragung stattfindet", sagte der Berliner Coronavirus-Experte Christian Drosten der SZ und verweist auch auf Messungen aus Hongkong, wo die Hälfte der von Menschen ausgeschiedenen Viren in Aerosolen zu finden sind. Er betont zwar, dass der Nachweis noch nicht definitiv erbracht sei, aber die Indizien mehrten sich.

Möglicherweise kann der Erreger in winzigen Tröpfchen schweben

Wenn sich die Übertragung durch Aerosole bestätigt, hat das Konsequenzen für den Schutz vor Corona. Denn Abstand hilft zwar gegen die bekannte Tröpfcheninfektion, nicht aber gegen Aerosole. Weil Aerosol-Tröpfchen nicht einmal fünf Mikrometer Durchmesser haben, halten sie sich lange in der Luft. Dickere Tröpfchen sinken dagegen im engen Umkreis um denjenigen, der sie von sich gibt, zu Boden. Das ist der Hintergrund der Abstandsregeln von 1,5 bis zwei Metern.

Die Sänger in Washington hätten zwar zum Teil dicht nebeneinander gesessen, und manche hätten auch Kekse und Apfelsinen geteilt, folgern die CDC. Doch das erklärt nur in Teilen die massive Verbreitung des Virus unter den Chormitgliedern. Auch der Akt des Singens selbst "könnte durch die Emission von Aerosolen beigetragen haben", so die CDC.

Der Blick auf den feinen Atemnebel ist bei Sars-CoV-2 relativ neu. Anfänglich waren Fachleute davon ausgegangen, dass sich Sars-CoV-2 vor allem durch Tröpfcheninfektion und in seltenen Fällen auch durch Schmierinfektion, also das Anfassen von benetzten Handgriffen oder Gegenständen, verbreitet. Doch es kamen immer mehr Belege für Aerosol-Übertragungen hinzu - wenn auch keine wasserdichten. So hatten Wissenschaftler von der University of Montana schon Mitte März im New England Journal of Medicine berichtet, dass Sars-CoV-2 lange in winzigen Tröpfchen überdauert - allerdings in einem reinen Laborexperiment. Sie fertigten ein Aerosol mithilfe einer Maschine aus einer stark mit Viren verseuchten Flüssigkeit an. Für Infektionen unter Menschen ist das nicht unbedingt aussagekräftig, aber die Partikel hielten sich drei Stunden lang und blieben ebenso lange infektiös. Dann konnten Wissenschaftler sowohl in Singapur als auch in Nebraska in der Luft jener Räume, in denen sich Covid-19-Patienten aufhielten, Aerosole mit Virus-Erbgut nachweisen - und zwar mehr als zwei Meter von den Patienten entfernt. (Nach vermehrungsfähigen Viren hatten sie aber nicht gesucht.) Und in einer Studie aus Wuhan haben Forscher hohe Aerosol-Konzentrationen vor allem in jenen Bereichen im Krankenhaus gemessen, in denen es besonders voll ist.

Eine Übertragung von Mensch zu Mensch auf diesem Weg ist mit all dem nach wie vor nicht bewiesen. Allerdings lassen sich manche Ereignisse wie die schnelle Ausbreitung in Chören oder Restaurants kaum anders als durch die Nebelwolken in stehender Luft erklären. Und dass Coronaviren grundsätzlich in Aerosolen reisen können, legte schon der Ausbruch in der Hongkonger Hochhaussiedlung Amoy Gardens im Jahr 2003 nahe, wie Christian Drosten sagt. Damals steckten sich 300 Menschen an, auch solche, die in den Stockwerken über den Infizierten wohnten. So hat das Robert-Koch-Institut seine Bewertung von Aerosolen inzwischen ebenso wie die American National Academy of Sciences geändert: Die Untersuchungen wiesen "darauf hin, dass Sars-CoV-2-Viren über Aerosole auch im gesellschaftlichen Umgang in besonderen Situationen übertragen werden können", folgert das RKI.

Die Frage nach den Aerosolen ist wichtig, weil sich daraus Empfehlungen für das Miteinander ableiten. Abstand halten ist weiterhin gut gegen die Tröpfchen. Gegen Aerosole helfen frische Luft und Luftbewegung. Denn jeder Luftzug vertreibt das Virus und verdünnt den Nebel. Die nötige Konsequenz: Lüften, Ventilatoren - und das Leben nach draußen verlagern.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, es hätten sich 52 weitere Chormitglieder mit Sars-CoV-2 angesteckt. Die CDC gehen zwar von dieser Zahl aus, aber nachgewiesen wurde die Infektion lediglich bei 32 Personen, 20 weitere beschrieben entsprechende Symptome, ohne dass ein Test gemacht wurde.

© SZ vom 15.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Covid-19
:Obduktionen deuten auf Gerinnsel als Todesursache hin

Untersuchungen an verstorbenen Patienten zeigen, wie das Coronavirus im Körper wütet. Daraus wollen Mediziner Therapien ableiten, die Datenbasis ist bislang jedoch dürftig.

Von Christina Berndt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: