Sars-CoV-2:Wenn Virologen mit dem Feuer spielen

Coronaviren: Fledermäuse in einem Käfig

Vor fünf Jahren legten Versuche bereits nahe, dass eine weitere Sars-Pandemie aus Fledermaus-Coronaviren entstehen könnte.

(Foto: AP)

Könnte das Virus aus einem Labor stammen? Unfug, sagen viele Forscher. Doch unmöglich ist es offenbar nicht. Das zeigen umstrittene Experimente der vergangenen Jahre.

Von Kathrin Zinkant

Wenn ein Virus scheinbar aus dem Nichts auftaucht, kann man fast schon sicher damit rechnen, dass über eine Herkunft aus dem Labor spekuliert wird. Seit Monaten ist das nun auch bei Sars-CoV-2 der Fall. Zuallererst, weil sich in der chinesischen Stadt Wuhan, in der das Virus zuerst viele Menschen infizierte, ein Hochsicherheitslabor befindet. Später, weil die US-Regierung unter Präsident Donald Trump angeblich Belege dafür haben wollte, dass das Virus aus diesem Labor entkommen sei. Beides sind keine guten Gründe, um der Theorie Glauben zu schenken.

Doch obwohl auch viele Wissenschaftler mit dem Kopf schütteln, wenn es um die Laborhypothese geht: Streng genommen gibt es wohl einen Weg, um dem Virus jene Eigenschaften zu verleihen, die es für den Menschen nun so gefährlich machen. Es geht dabei um Gain-of-function-Experimente, kurz GoF genannt. Diese Art der Erregermanipulation hat in der Vergangenheit bereits zu Debatten über Biosicherheit geführt, weil es im Kern darum geht, neue Erreger zu erschaffen, um sich auf künftige Übergriffe aus der Natur vorzubereiten. Rigoros wurde das mit Grippeerregern versucht, in den Niederlanden etwa 2011 im Labor von Ron Fouchier am Erasmus Medical Center in Rotterdam. Das Vogelgrippevirus H5N1 entwickelte in den Experimenten derart aggressive Eigenschaften, dass man wenig später ein Moratorium über diese Art von Forschung verhängte - zumindest für einige Zeit, um sich über das Verhältnis von Nutzen und Risiko klar zu werden. Die Debatte ist bis heute nicht abgeschlossen und könnte nun neuen Auftrieb erhalten, denn mithilfe von GoF-Versuchen wird schon lange wieder geforscht. Und das tatsächlich auch an Erregern wie Sars-CoV.

Rigorose Experimente an Grippeviren führten zu extrem aggressiven Erregern

So erschien vor fünf Jahren eine Arbeit in Nature Medicine, die unter Leitung amerikanischer Forscher die Herstellung eines chimären Sars-Virus aus einem Fledermausvirus und einem künstlich ins Erbgut des Erregers eingeschobenen Gens beschreibt. Der neue Erreger löste laut Bericht schwere Erkrankungen in Versuchstieren aus und befiel auch menschliche Lungenzellen. Zu den Autoren zählten damals auch Forscher des Wuhan Institute of Virology. Dem Papier zufolge zeigten die Versuche, dass eine weitere Sars-Pandemie aus Fledermauscoronaviren nahelag. Und so sollte es ja wenige Jahre später auch kommen - wenngleich mit einem doch etwas anders gebauten Virus, als dem damals künstlich hergestellten.

Ob sich auf die gleiche Weise aber auch das aktuelle Coronavirus herstellen ließe? Hier immerhin sind sich Forscher und Geheimdienste doch einig: Das aktuelle Virus ist keine Konstruktion, kein von Menschenhand zusammengebastelter Erreger, weder ganz, noch in Teilen. Allerdings funktioniert der Zugewinn von neuen Viruseigenschaften nicht ausschließlich mithilfe des gentechnischen Werkzeugkoffers. Es geht auch, indem man dem Virus ideale Vermehrungsmöglichkeiten bietet und damit natürliche Mutationen befördert. Das hatten schon die Versuche von Ron Fouchier an der Vogelgrippe gezeigt. Fouchier hatte Mardertiere immer wieder gezielt mit großen Mengen H5N1 infiziert, um aus einem halbwegs gefährlichen Erreger über wenige direkte Ansteckungen hinweg einen mehrfach mutierten Frettchenkiller zu erschaffen. Und wie chinesische Wissenschaftler erst vor drei Wochen in einem Preprint auf bio R xiv berichteten, funktioniert Vergleichbares auch mit Sars-CoV-2.

Das Team um Yusen Zhou vom Biosicherheitslabor am Pekinger Institut für Mikrobiologie und Epidemiologie konnte das für Menschen gefährliche neue Coronavirus binnen sechs Passagen so an Labormäuse anpassen, dass die Tiere zuverlässig infiziert und krank wurden. Die Forscher berichten von einer entscheidenden Mutation, die dabei auftrat, und wollen ihr Tiermodell nun für die Suche nach einem Impfstoff verwenden. Der Versuch belegt jedoch zugleich, wie stark sich die Evolution von Viren im Labor beschleunigen lässt. Es sind deshalb wohl auch Wege denkbar, um aus einem anderen, natürlich auftretenden Fledermausvirus über hinreichende Vervielfältigung im Labor einen Erreger zu gewinnen, der am Ende so aussieht wie jener, mit dem es die Welt nun zu tun hat. Einem Bericht von Newsweek zufolge sollten in Wuhan von vergangenem Jahr an eigentlich auch Gain-of-function-Versuche an Fledermauscoronaviren stattfinden, pikanterweise finanziert durch die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA. Das Projekt wurde jetzt kurzerhand gestrichen.

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Aber was bedeutet das? Zunächst einmal nichts. Nicht alles, was denkbar ist, passiert auch. Es ist immer noch plausibler und wahrscheinlicher, dass sich das Virus langsam und ganz auf eigene Faust den Weg zum Menschen gebahnt hat, auf Wegen, die man im Labor schwerlich simulieren kann. Die Studien, die hier zur Erkenntnis beitragen könnten, müssen in Chinas Wildtierfarmen stattfinden, denn dort ist der Kontakt zwischen Tieren und Fledermäusen einerseits und Tieren und Menschen auf der anderen Seite gegeben. Hinzu kommt, dass sich ein Virus dort fast ungehindert vermehren kann, wenn es erst einmal damit angefangen hat. Auch ein Expertengremium der Weltgesundheitsorganisation hat daher im Mai empfohlen, Erkundungen "im Feld" anzustellen, wie das Wissenschaftsmagazin Science berichtete. Bisher ist aber nach wie vor offen, ob Peking unabhängigen Forschern diese Möglichkeit einräumen wird. Und bis dahin bleibt eben doch: ein Rest von Zweifel.

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