Sars-CoV-2:Kleine Kinder mit großen Virusmengen

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Ein Rettungshelfer nimmt in Bielefeld einen Abstrich in einem Drive-In Testzentrum für Schüler und Lehrer mehrerer Schulen der Stadt. Immer mehr Studien beschäftigen sich damit, welche Rolle Kinder in der Corona-Pandemie spielen. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Eine weitere Studie zeigt, dass sehr junge Menschen eine hohe Viruslast aufweisen können. Doch was heißt das für die Ansteckungsgefahr in Schulen und Kitas?

Von Berit Uhlmann

Während immer mehr Länder sich darauf vorbereiten, ihre Schulen wieder zu öffnen, könnte eine neue Studie die Diskussion um die Infektiosität von Kindern weiter befeuern. Wissenschaftler aus Boston zeigten erneut, dass Kinder große Mengen von Sars-CoV-2 im Nasen- und Rachenraum tragen können. Mehr noch: Bei ihnen sei eine höhere Viruslast entdeckt worden als bei Erwachsenen, die auf einer Intensivstation behandelt werden mussten.

"Ich war überrascht von den hohen Virusmengen, die wir bei Kindern aller Altersgruppen gefunden haben, vor allem in den ersten zwei Tagen der Infektion", sagt Hauptautor Lael Yonker vom Massachusetts General Hospital in einer Pressemitteilung. "Stellen Sie sich ein Krankenhaus vor mit all den Vorsichtsmaßnahmen, unter denen schwer kranke Erwachsene behandelt werden. Und doch ist die Viruslast dieser Klinikpatienten signifikant geringer als die eines ,gesunden Kindes' das mit einer großen Menge von Sars-CoV-2 herumläuft." Das klingt recht bedrohlich, ebenso wie der Titel der Mitteilung: "Forscher zeigen, dass Kinder stille Verbreiter des Virus sind". Also alles wieder offen?

Die Studie wurde an Kindern mit Symptomen gemacht. Das lässt keine Rückschlüsse auf die Situation in Schulen und Kitas zu.

"Irreführend", kommentiert Andrew Preston, Mikrobiologe der University of Bath die Aussagen, die so ähnlich auch in der Studie angedeutet werden. Es werde suggeriert, dass Kinder generell mit hoher Viruslast umherlaufen, obwohl die Studie sich auf eine kleine Anzahl symptomatischer Kinder konzentrierte. Doch diejenigen, die Krankheitszeichen zeigen, würden isoliert und gingen nicht in die Schule, sagt Preston. Die Forscher hatten Kinder getestet, die zur Untersuchung oder Behandlung in das Bostoner Krankenhaus gekommen waren. Sie sind nicht repräsentativ für alle Kinder.

Insgesamt wurden für die Arbeit, die im Fachblatt The Journal of Pediatrics erschien , Nasen- und Rachenabstriche von 49 jungen Menschen im Alter bis zu 21 Jahren untersucht. Die Viruslast war überwiegend hoch - bei jüngeren Kindern ebenso wie bei den Jugendlichen. Die Forscher zeigten auch, dass kleine Kinder verglichen mit Jugendlichen und Erwachsenen weniger ACE2-Rezeptoren aufweisen, über die das Coronavirus in die Zellen gelangt. Das könnte sie womöglich weniger anfällig für eine Infektion machen. Dennoch können sich auch diese Kinder anstecken und dann ebenfalls große Menge Viren tragen.

Doch folgt aus all dem, dass Kinder den Erreger auch leichter verbreiten? Zu dieser heftig diskutierten Frage schreiben die Autoren: "Diese Studie zeigt, dass Kinder eine potenzielle Ansteckungsquelle in der Sars-CoV-2-Pandemie sein könnten - ungeachtet ihrer milderen oder asymptomatischen Verläufe". Auch daran gibt es Kritik. Die Studie sagt etwas über Infektionen bei Kindern aus, erläutert Simon Clarke, Mikrobiologe der Universität Reading: "Aber sie zeigt in keinster Weise, dass Kinder das Virus tatsächlich auf Erwachsene oder andere Kinder übertragen." Darauf ist die Arbeit überhaupt nicht ausgelegt.

Wie stark Kinder Corona verbreiten, ist weiterhin unklar.

Dass Kinder andere Menschen anstecken können, steht außer Frage. Ungewiss ist aber weiterhin, in welchem Ausmaß sie zum Infektionsgeschehen beitragen. Der genaue Zusammenhang zwischen der gemessenen viralen RNA und der Infektiosität ist nicht klar. Über das Risiko einer Ansteckung entscheiden zudem weitere Faktoren, wie die Menge der beim Sprechen, Niesen und Husten ausgeschiedenen Erreger und das Hygieneverhalten der Kinder. Die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC schreibt: "Es gibt keinen Nachweis, dass Kinder die Haupttreiber der Sars-CoV-2-Übertragungen sind". Auch Schulen spielten nach derzeitigem Erkenntnisstand keine herausragende Rolle bei der Verbreitung des Erregers. Allerdings ist die Einschätzung durch die Tatsache erschwert, dass die meisten Schulen in den vergangenen Monaten gar nicht oder nur mit großen Einschränkungen geöffnet waren.

Letztlich bleibt beim genauen Betrachten der Bostoner Studie auch nicht mehr viel vom Unterschied in der Viruslast von Kindern und Erwachsenen. Einen statistisch sicheren Unterschied konnten die Forscher nur feststellen, wenn sie die Virusmenge von Kindern unmittelbar nach Erkrankungsbeginn mit der von Erwachsenen verglichen, die bereits ein bis drei Wochen lang krank waren. Das aber ist nicht sehr erstaunlich. Es ist gezeigt worden, dass die Viruslast zu Symptombeginn am höchsten ist und anschließend abfällt.

Auf der Basis einer ähnlichen Studie hatte im Frühjahr ein Team um den Berliner Virologen Christian Drosten vor schnellen Schulöffnungen gewarnt. An der noch nicht von unabhängigen Fachleuten begutachteten Studie hatte es viel Kritik gegeben; an der Statistik, der kleinen Patientengruppe aber auch grundsätzlich, dass die Viruslast allein keine Aussage über die Ansteckungsgefahr erlaubt.

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