Medizin:Kiffer brauchen mehr Narkosemittel

Mehr Cannabis-Erstkonsumenten in Kanada

Kiffen? Ich? Na ja, höchstens hin und wieder ein kleines Tütchen.

(Foto: dpa)
  • Regelmäßige Cannabis-Konsumenten brauchen im Durchschnitt doppelt so viel betäubendes Propofol wie Nichtkiffer.
  • Ursache dafür ist vor allem die erhöhte Toleranz gegenüber den Wirkstoffen von Cannabis, die auch die Wirkung von Narkosemitteln beeinflusst.
  • Wer seinen Konsum verschweigt, hat ein höheres Risiko, während der OP aufzuwachen.

Von Clara Hellner

Auf dem OP-Tisch aufzuwachen, während der Chirurg das Skalpell anlegt, Schnitte setzt und näht, klingt wie eine Horrorvision. Damit diese Vorstellung nicht zur Realität wird, planen Anästhesisten jede Narkose schon vor der jeweiligen Operation. Wie viel von den sedierenden und schmerzstillenden Medikamenten gespritzt werden muss, wird für jeden einzelnen Patienten berechnet.

Alter, Größe und Körpergewicht, Herzprobleme, Bluthochdruck, kranke Nieren oder Leberschäden spielen eine Rolle. Und immer kommen im Vorgespräch mit dem Patienten auch Fragen, die vielen unangenehm sind: Wie viel Alkohol trinken Sie? Nehmen Sie Schlafmittel oder Beruhigungstabletten? Konsumieren Sie andere Drogen?

"Wenn der Anästhesist nach Suchtmitteln fragt, sollte man ehrlich und genau antworten"

Warum das wichtig ist, zeigt nun eine im Fachblatt Journal of the American Osteopathic Association erschienene Studie: In der von ihnen untersuchten Patientengruppe im US-Bundesstaat Colorado brauchten diejenigen, die regelmäßig Cannabis rauchen, deutlich mehr Narkosemittel, damit sie nicht ungewollt auf dem OP-Tisch aufwachen.

Manche Wirkstoffe, zum Beispiel das Narkotikum Propofol, mussten Anästhesisten bei den Cannabis-Konsumenten sogar doppelt so hoch dosieren. "Wenn der Anästhesist nach Suchtmitteln fragt, sollte man so ehrlich und genau wie möglich antworten - auch, wenn es vielleicht unangenehm ist", sagt Peter Lackermeier, Direktor der Anästhesie im Münchner Isar-Klinikum. Es geht dabei nicht nur um Cannabis: Ein ähnlicher Effekt, sagt der Anästhesist, sei für Alkohol schon länger bekannt.

Was passiert, wenn man das regelmäßige Kiffen oder die abendlichen Biere verschweigt? Wenn der Anästhesist in so einem Fall zu Beginn der Operation merkt, dass er zu wenig Narkotika gespritzt hat, kann er natürlich nachsteuern und die Dosis anpassen. Anästhesisten können während der Operation abschätzen, wie tief der Patient sediert ist: Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung des Bluts werden kontinuierlich gemessen, manchmal sogar die Hirnströme des Patienten.

Sehr selten passiert es aber doch, dass der Patient unbemerkt aufwacht. Ein bis zwei von 1000 Menschen, fand eine 2011 im Ärzteblatt erschienene Studie heraus, berichten nach ihrer Operation von dem, was Mediziner "intraoperative awareness" nennen. Sie erleben Teile des Eingriffs mit. Manche haben starke Schmerzen.

Und wer den abendlichen Joint, die regelmäßigen Gläser Bier oder die Schlafmittel verschweigt, der hat ein höheres Risiko dieses Aufwachens während der OP. Das hat vor allem einen Grund, sagt Lackermeier: "Menschen, die regelmäßig Alkohol oder andere Drogen konsumieren, haben eine deutlich höhere Toleranz gegenüber vielen Narkose-Medikamenten." Denn wer Alkohol trinkt, Cannabis raucht oder Schlafmittel nimmt, dessen Körper verändert sich: Die Rezeptoren in den Körperzellen, an die der Stoff andockt, werden mit der Zeit weniger sensibel.

Dadurch steigt die Dosis des Wirkstoffs, die man braucht, um sich betrunken oder bekifft zu fühlen oder gut schlafen zu können. Dieser Effekt überträgt sich auf die Narkosemittel: Weil sie an die gleichen Rezeptoren andocken, entsteht eine sogenannte Kreuztoleranz. Der Anästhesist muss mehr davon geben, um den Patienten zu sedieren.

Um ehrliche Antworten auf die Frage nach Alkohol, Cannabis oder Medikamenten zu bekommen, hilft es, diesen Zusammenhang vor der Operation gut zu erklären, sagt Lackermeier: "Wir versuchen, im Aufklärungsgespräch zu vermitteln, dass genaue Angaben wichtig sind, um die Narkosetiefe gut einstellen zu können." Die meisten Patienten, so der Anästhesist, seien dann lieber ehrlich.

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