Gesundheit:Was der Blinddarm mit Parkinson zu tun hat

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Lässt sich durch eine "Blinddarm-OP" das Parkinson- Risiko senken? (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
  • Eine Bevölkerungsstudie an über 1,5 Millionen Schweden hat gezeigt, dass eine frühe Operation am sogenannten Blinddarm eine spätere Erkrankung an Parkinson verhindern könnte.
  • Schadstoffe, die sich in dem Wurmfortsatz des Darms anreichern, könnten eine Erklärung dafür liefern.
  • Ärzte warnen jedoch davor, sich vorsorglich operieren zu lassen.

Von Werner Bartens

Es klingt nach einem verwegenen Zusammenhang, zumindest aber nach Wissenschaft, die von hinten durch die Brust ins Auge zielt - genauer gesagt: von der rechten Seite des Rumpfes zum Gehirn. Die Verbindung zwischen Bauch und Kopf stellt nun allerdings eine Forschergruppe im Fachmagazin Science Translational Medicine her. Das Team um Bryan Killinger und Viviane Labrie belegt, dass die Entfernung des Wurmfortsatzes (im Volksmund fälschlicherweise als "Blinddarm" bezeichnet) das Risiko für Parkinson vermindert.

Die Wissenschaftler haben einen großen Datensatz aus Schweden mit mehr als 1,6 Millionen Teilnehmern ausgewertet, der seit 1964 gepflegt wird. Dabei zeigte sich, dass eine Appendektomie, wie die operative Entfernung des Wurmfortsatzes in der Fachsprache genannt wird, mit einer um 19,3 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit einherging, später an Parkinson zu erkranken. In ländlichen Gebieten sank das Risiko durch den Eingriff sogar um 25 Prozent.

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In einer weiteren Analyse entdeckten die Forscher, dass eine Appendektomie den Beginn der Parkinsonerkrankung bei manchen Patienten zwar nicht verhindern, aber doch im Mittel um 3,6 Jahre hinauszuzögern vermag. "Wir tragen damit zum besseren Verständnis dieser komplexen Erkrankung bei", sagt Killinger. "Wir konnten schließlich zeigen, dass der Wurmfortsatz als eine Art Behälter für verklumpte Proteine wie alpha-Synuclein-Peptide dient, die auch bei Parkinson eine Rolle spielen." Schädliche Ablagerungen dieser Eiweißstoffe finden sich bei Parkinsonkranken im Gehirn - und nun eben auch im Wurmfortsatz von Gesunden, weswegen die Wissenschaftler darüber spekulieren, welche Rolle die Proteine für die Entstehung und Progression der früher als Schüttellähmung bezeichneten Krankheit spielen.

"Wir waren überrascht, die schädlichen Formen des alpha-Synucleins in den Wurmfortsätzen von Menschen sowohl mit als auch ohne Parkinson zu finden", sagt Viviane Labrie. "Diese Verklumpungen sind im Gehirn zwar toxisch, aber im Wurmfortsatz liegen sie weitgehend normal vor, sodass dies nicht der einzige Grund für die Erkrankung sein kann."

Der Wurmfortsatz gilt zwar zumeist als überflüssiges Anhängsel, übernimmt aber wichtige Funktionen im Immunsystem, beeinflusst die Zusammensetzung der Darmflora und hat nun womöglich sogar indirekte Wirkung auf die Krankheitsentstehung in entfernter gelegenen Organen. Ihm kommt zusätzlich wohl auch die Rolle als eine Art Sondermülldeponie des Körpers zu. Sind dort zu viele schädliche Stoffe gelagert, kann das womöglich andere Organe schädigen.

"Bereits bekannt ist, dass der Wurmfortsatz des Blinddarms Reste von verarbeiteten Lebensmitteln über längere Zeiträume als andere Regionen im Darm enthalten kann. Dies ist ein möglicher Grund dafür, dass der Blinddarm so anfällig ist für Infektionen und Entzündungsprozesse", sagt Francisco Pan-Montojo vom Zentrum für Neuropathologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Deshalb ist es zumindest denkbar, dass der Wurmfortsatz häufiger und länger mit Umweltgiften, die über die Nahrung aufgenommen werden, in Kontakt kommt als andere Darmregionen." Das wiederum könne zu vermehrten Entzündungsprozessen und oxidativem Stress führen. Schlussendlich könnte also der Wurmfortsatz eine größere Rolle in der Entstehung der Parkinson-Krankheit spielen als der Rest des Magen-Darm-Traktes. "Das ist bisher aber nur eine Hypothese", sagt Pan-Montojo.

Die Parkinson-Erkrankung ist durch Zittern und zunehmende Starre ("Rigor") gekennzeichnet. In der ländlichen Bevölkerung kommt sie etwas häufiger vor, was von manchen Forschern mit der höheren Belastung durch Pestizide in Verbindung gebracht wird. Werden andere schädliche Substanzen wie die alpha-Synuclein-Proteine durch eine Appendektomie frühzeitig aus dem Körper entfernt, könnte das die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung wieder senken.

Ärzte raten allerdings davon ab, sich prophylaktisch den Wurmfortsatz entfernen zu lassen. Erstens ist der Zusammenhang zur Erkrankung des Gehirns noch nicht eindeutig belegt, auch wenn die aktuellen epidemiologischen Daten aus Schweden darauf hinweisen. Zweitens gelte es, auch die Risiken durch Operation und Narkose zu bedenken. "Insgesamt ist Parkinson mit weniger als ein Prozent Betroffenen in der Bevölkerung ziemlich selten", sagt Labrie. "Wir müssen die Faktoren weiter entschlüsseln und erforschen, was am meisten zu Parkinson beiträgt." Sich freiwillig unters Messer zu begeben, um der Diagnose Parkinson zu entgehen, wäre jedoch Medizin nach dem Motto: Von hinten durch die Brust ins Auge.

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