Bekämpfung von Krankheiten:Wer sich nicht impfen lässt, handelt unsolidarisch

Lesezeit: 2 Min.

Impfung: Die Masern könnten in Europa längst ausgerottet sein. Doch die Impfmüdigkeit der Deutschen hat diesen Plan der WHO schon oft vereitelt. (Foto: dpa)

Etliche Leiden wurden durch Impfungen eingedämmt. Doch anstelle der Angst vor Krankheiten treten nun Luxusprobleme wie Zeitmangel, geringfügige Nebenwirkungen, Abneigung gegen Pharmafirmen.

Ein Kommentar von Berit Uhlmann

Der Google-Algorithmus nimmt die Impfgegner überaus ernst: Ihre wie auch immer begründeten Ansichten findet man im Netz gleichauf mit den offiziellen Informationsquellen. Wer das als Irrsinn aus diesem Internet abtut, verkennt die Situation. Denn hier entsteht der Eindruck, dass Impfen schwer umstritten, dass es gesellschaftlicher Konsens, ja nachgerade geboten sei, der Spritze mit großer Skepsis entgegenzutreten.

Tatsächlich sind sich Wissenschaftler einig wie bei kaum einem Thema: Impfungen gehören zu den größten Errungenschaften der Menschheit. 2,5 Millionen Menschenleben werden jedes Jahr durch die Prophylaxe gerettet, bilanziert die Weltgesundheitsorganisation WHO. Und tatsächlich sind bei fast allen Krankheiten mehr als 90 Prozent der Kinder immunisiert. Die Gegner sind eine relativ kleine Minderheit, die aber letztlich den Erfolg der Impfungen gefährdet.

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Impfungen gehören zu den größten Errungenschaften der Menschheit und haben bereits viel Leid vermieden. Impfgegner zweifeln den gesundheitlichen Nutzen an und sehen in der Impfung ein Risiko - damit könnten sie den bisherigen Erfolg von Impfungen aufs Spiel setzen.

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Damit eine Krankheit kein Kind mehr bedroht, müssen in der Regel 85 bis 95 Prozent einer Gesellschaft geimpft sein. Das bedeutet auch, dass einige Menschen um alles herumkommen. Sie müssen nicht das Risiko von Nebenwirkungen eingehen, genießen aber den vollen Schutz. Wissenschaftler sprechen vom Freifahrtschein und sie beobachten immer wieder, dass ein Wettkampf um diese Freifahrt einsetzt, wenn die Krankheit erst einmal weit zurückgedrängt ist.

Impfquoten der zweiten Masernimpfung bei Kleinkindern (Foto: SZ-Grafik: Torben Schnieber; Quelle: Versorgungsatlas)

In Deutschland ist dieses Stadium längst erreicht. Tatsächlich ist das Risiko, sich mit Masern anzustecken, heute relativ gering. Die Hoffnung, der Krankheit auch ohne Impfung zu entkommen, ist nicht abwegig. Damit fällt die persönliche Kosten-Nutzen-Bilanz der Impfung nicht so rosig aus wie noch vor Generationen, als die Masern eine allgegenwärtige Bedrohung waren.

Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass die Bilanz auch jetzt noch zu Gunsten der Immunisierung spricht. Um beim Beispiel der vielgeschmähten Masernimpfung zu bleiben: Seit der Jahrtausendwende werden pro Jahr etwa 142 Impf-Nebenwirkungen gemeldet. Die Zahl der Maserninfektionen lag im gleichen Zeitraum etwa elfmal höher. Die häufigsten Nebenwirkungen der Impfung sind harmlose Rötungen an der Einstichstelle und Fieber; Studien zufolge müssen zehn bis 15 Prozent der Kinder mit einem Temperaturanstieg rechnen. Erkrankt ein Kind dagegen an Masern, ist Fieber die Regel. Als schwere Impf-Nebenwirkung wird vor allem die Gehirnentzündung gefürchtet. Ihre Wahrscheinlichkeit liegt bei etwa 1 : 1 000 000. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit Masern eine Enzephalitis entwickelt, liegt 1000 Mal höher.

Doch ganz unabhängig von diesen Zahlen gilt: Wer die persönliche Nutzenrechnung zum alleinigen Argument seiner Impfentscheidung macht, verhält sich wie jemand, der keine Steuern bezahlt, weil das eigene Dorf ja im Moment sauber und sicher ist. Im Nachbarort terrorisiert eine Bande Halbstarker die Umgebung? Ist doch das Problem von denen, die dort wohnen. Aber so wie eine Horde Rowdys ihr Gebiet vergrößern kann, können auch Krankheitserreger sich ausbreiten, über Umwege wiederkehren oder sich verändern.

Umgekehrt profitiert die ganze Gesellschaft, wenn eine Krankheit verschwindet. Angst wird vermieden und Leid, das auch lebenslang dauern kann. Denn Masern, Mumps und Röteln können zu Entzündungen von Hirn und Hirnhäuten führen, die das Gehirn mitunter irreversibel schädigen. Mumps kann die Erkrankten taub machen, Röteln in der Schwangerschaft können zu schweren Missbildungen des Kindes führen.

Der Nutzen der Impfungen lässt sich auch finanziell beziffern. Die oft zitierte Meinung, dass sich an der Impfung ja gierige Pharmafirmen und Ärzte bereichern würden, ist schlicht falsch. Einer umfangreichen US-Analyse zufolge kostet die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln pro Kind etwa 60 Euro. Dagegen kostet allein eine durchschnittliche Masernbehandlung in Deutschland knapp 240 Euro. Unterm Strich bringt jeder Euro, der in die Dreifach-Impfung investiert wird, der Gesellschaft 24 Euro wieder ein.

Impfen ist also in erster Linie ein solidarischer Akt. Ein Freifahrtschein sollte nur jenen gewährt werden, die die Solidarität der anderen nötig haben: Kinder, die aufgrund von chronischen Erkrankungen nicht geimpft werden können, oder sozial benachteiligte Familien, die wegen anderer Probleme die Impftermine verpassen. Eine Freifahrt sollte dagegen nicht aus unbegründeten Ängsten beansprucht werden - oder weil die Spritze für das Baby gerade nicht zum Lifestyle oder in den Terminkalender passt.

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