Aids:Leere Versprechen auf Heilung

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Rund 40 Millionen Menschen sind weltweit mit HIV infiziert. (Foto: REUTERS)

Ein HIV-Infizierter ist von dem Virus befreit worden - doch für Millionen Betroffene ändert der Fall des "Londoner Patienten" wenig. Die Hoffnung auf Heilung zu schüren kann ihr Leid sogar vergrößern.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Manche Worte meidet man besser, wenn es um Krankheit und Tod geht. Das Wort Heilung gehört dazu. Nicht, weil Heilung unmöglich wäre oder nicht erstrebenswert, sondern weil sie zu oft ein leeres Versprechen bleibt. Das ist auch im Fall des sogenannten Londoner Patienten so. Der Mann ist wohl als zweiter Mensch in der Geschichte vom Aidserreger HIV befreit worden. Ob dauerhaft, ist unklar, fest steht nur, dass nach einer Stammzellentransplantation keine Viren mehr nachweisbar sind. Doch als "Geheilter" schürt er nun Hoffnungen, denen die Medizin nicht gerecht werden kann.

Man hat damit Erfahrung. Als Gesundheitsexperten 2012 zur Welt-Aids-Konferenz in Washington zusammenkamen, rückte die mögliche Heilung von HIV-Infektionen erstmals im Vordergrund. Im Berlin-Patienten Timothy Brown war seit einer Knochenmarkstransplantation kein Virus mehr nachweisbar; es war der erste Fall überhaupt, bei dem dies erreicht werden konnte. Zwar hatten Infizierte damals dank moderner Medikamente schon eine fast normale Lebenserwartung. Aber warum nicht endlich nach den Sternen greifen, nach der endgültigen Heilung?

Medikamente ermöglichen HIV-Positiven bereits ein lebenswertes Leben

Sieben Jahre nach diesem Aufbruch hat sich an der medizinischen Lage jedoch wenig geändert. Zwar bestätigt nun der Londoner Patient, der eigentlich gegen Krebs behandelt wurde, dass sich HIV durch eine riskante Transplantation von genetisch seltenem Knochenmark verdrängen lässt. Das ist eine wichtige wissenschaftliche Erkenntnis, die neue Therapien voranbringen kann. Aber eine berechtigte Hoffnung auf Heilung für die rund 40 Millionen Infizierten weltweit erwächst daraus nicht. Sie erwächst nicht einmal für die 86 000 Menschen, die in Deutschland mit HIV leben und nun womöglich davon träumen, dass eine Transplantation für sie der Ausweg sein kann aus ihrem Leben mit dem Virus. Es ist oft längst ein lebenswertes Leben, dank der Medikamente. Trotzdem erscheint eine Existenz frei von Krankheit alternativlos.

Daran haben nicht nur Forscher Anteil, die in der Genetik oder Stammzellforschung zu oft von Heilung gesprochen haben. Auch Politiker nutzen den Begriff ganz gern, zuletzt hat Gesundheitsminister Jens Spahn die Heilung von Krebs angekündigt und viele Krebskranke in Deutschland damit in die Irre geführt. Es klingt halt besser, als den Krebspatienten mehr Lebenszeit und -qualität zu versprechen - mit der Krankheit statt ohne sie.

Doch das ist es, was die moderne Medizin nach mehr als 100 Jahren Fortschritt und einer Verdopplung der Lebenserwartung oft noch erreichen kann. Und es bedeutet nicht ihr Scheitern. Krankheit ist und bleibt ein Bestandteil der menschlichen Existenz. Man muss sie bekämpfen, so gut es geht, auf einem Niveau wie in den Industrieländern geht das heute meist nur in kleinen Schritten. Stets die ganz große Erwartung zu schüren dagegen vergrößert die Gefühle von Ohnmacht bei Kranken und Angehörigen. Nicht wenige vertrauen sich deshalb dubiosen Heilern oder Ärzten an. Statt in guter Behandlung ihre Chance auf mehr Zeit zu nutzen, sterben diese Patienten oft verfrüht.

Es sollte daher mehr vom guten Leben mit der Krankheit gesprochen werden, weniger von der Heilung. Gerade die HIV-Patienten in den Industrienationen sind ein Beispiel dafür, was es bedeutet, mit einer Krankheit koexistieren zu können. Es ist nicht perfekt. Und dennoch etwas, auf das zu hoffen sich lohnt.

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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