New York: Immobilienspekulation:Renditejagd im Arbeiterviertel

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In New York haben Finanzinvestoren ein Zehntel des günstigen Wohnraums aufgekauft und wollen höhere Mieten durchdrücken. Jetzt wehren sich die Bewohner.

Moritz Koch

Auf baufälligen Stahlstelzen poltern die Züge der Linie 7 durch die Vielvölkerviertel von Queens. Asiaten, Europäer, Afrikaner und Latinos wohnen Tür an Tür in Apartmenthäusern links und rechts der Bahnstrecke. 150 verschiedene Sprachen werden hier gesprochen. Auf kulturelle Barrieren stößt man überall, und doch verbindet die Menschen, die hier leben, mehr als gemeinsame Hausnummern.

Sie teilen einen Traum, den Traum vom bescheidenen Wohlstand, den Fleiß und Disziplin schaffen können. Frühmorgens fährt die Metro die Einwanderer nach Manhattan, wo sie Lifte bedienen, Taxis fahren oder Fenster putzen. Erst spät abends bringt sie sie zurück. Wenn die Einwanderernation Amerika ein Herz hat, dann schlägt es hier. Und wenn es im Wirtschaftskreislauf New Yorks Lebensadern gibt, dann sind es diese Gleise.

Jagdrevier der Wall Street

Queens ist ein Stadtteil der Working Class. Doch inzwischen ist es auch ein Jagdrevier der Wall Street. In den Jahren vor der großen Rezession schickten sich Dutzende Beteiligungsfirmen an, die letzten Wohnraumreserven New Yorks zu erschließen.

Der Markt in Manhattan war bereits überhitzt, und der Boom breitete sich aus bis tief nach Brooklyn, Queens und in die Bronx. Bald gerieten Sozialwohnungen zu Spekulationsobjekten - und ihre Bewohner zu Renditerisiken. Denn gerade in den Einwanderervierteln deckelt die Stadtverwaltung die Mieten, die Immobilienbesitzer verlangen können. So soll die Vielfältigkeit der Viertel erhalten bleiben. Doch die Mietgrenzen gelten nur für Altmieter. Wer neu einzieht, muss Marktpreise zahlen. Die Idee, die hinter der Gründung der Beteiligungsgesellschaften stand, war daher denkbar einfach: Das Geschäftsmodell lautete Vertreibung.

Ricardo Aguaiza fand die erste Mahnung im Juli 2007 in seinem Briefkasten. Er erinnert sich genau. "Ich wohne seit mehr als 20 Jahren in diesem Haus. Nie hatte ich Ärger. Ich habe meine Miete immer pünktlich überwiesen." Doch den neuen Eigentümern ging es nicht um Pünktlichkeit, schon gar nicht um Fairness. Sie wollten Aguaiza loswerden. Ihn, seine Familie und möglichst auch all die anderen Altmieter in diesem Backsteinbau auf der 45. Straße.

Die neuen Eigentümer waren Finanzinvestoren, die sich den klangvollen Namen Vantage zugelegt hatten. Vorteil heißt das, Vorteil Wall Street. Insgesamt erwarb das Unternehmen seit 2006 auf Streifzügen durch Queens 5000 Apartments, weitere 4000 in Harlem. Kaum waren die Kaufverträge unterschrieben, begann Vantage damit, den Altmietern zu kündigen und sie mit Klagen zu überziehen. Dass die meisten Klagen völlig haltlos waren, war Teil des Kalküls. Das zumindest sagen Sozialarbeiter. Vantage widerspricht: Wenn Hausbewohner Probleme hätten, dann nur, weil sie ihre Mietverträge nicht einhielten.

Aguaiza sitzt in seinem winzigen Wohnzimmer. An den Wänden stapeln sich Pappkartons - als sei er darauf gefasst, jeden Moment vor die Tür gesetzt zu werden. Der 47-Jährige stammt aus Ecuador und ist stolz auf das Leben, das er sich in New York aufgebaut hat. Mit seinen Ersparnissen will er seinem Sohn eine gute Ausbildung finanzieren. "Ich würde das nie aufs Spiel setzen", sagt Aguaiza.

Er kramt ein paar Briefe hervor, die seinen langen Kampf gegen Vantage dokumentieren. Erst behauptete das Unternehmen, er habe seine Miete nicht überwiesen. Dann forderte es Nachzahlungen von fast 3000 Dollar. Und schließlich beschuldigte es ihn, seine Wohnung illegal unterzuvermieten. Alles Lügen, beteuert Aguaiza.

"So machen die es immer", sagt Robert McCreanor und legt seinen Blackberry zur Seite. "Sie wollen einschüchtern und zermürben." McCreanor ist ein junger Anwalt, den es von der Law School in Harvard nach Queens verschlagen hat. In einem Einwanderungsbüro der katholischen Kirche setzt er sich für die Rechte der Emigranten ein. Wieder piepst der Blackberry. McCreanor hat viel zu tun. In den vergangenen fünf Jahren haben Fonds und Beteiligungsgesellschaften fast zehn Prozent des günstigen Wohnraums in New York gekauft. Um ihre Ausgaben zu finanzieren, nahmen sie gewaltige Hypotheken auf - eine Last, die nur tragen kann, wer keine Skrupel hat.

Hohe Renditen versprochen

Die Finanzinvestoren versprachen ihren Anlegern, darunter Banken, Pensionskassen und Staatsfonds, Renditen von 15 bis 20 Prozent. Allerdings hatten die Mietskasernen zuvor maximal acht Prozent Gewinn abgeworfen. "Das Profitziel ist so hoch angesetzt, dass es nur erreicht werden kann, indem Altmieter systematisch verdrängt werden", sagt McCreanor. In einigen Gebäuden klagte Vantage gegen fast jeden zweiten Bewohner und beschlagnahmte dadurch faktisch für ein Jahr einen gesamten Verhandlungssaal im Zivilgericht von Queens. In den Verfahren erwartete Vantage wenig Widerstand. 90 Prozent aller Mieter, die vor New Yorker Gerichte treten, haben keinen Verteidiger.

Doch Aguaiza ließ sich nicht einschüchtern. Er beriet sich mit McCreanor, informierte sein ganzes Haus über die Haltlosigkeit der Anschuldigungen, die die neuen Eigentümer in strahlend weißen Briefumschlägen verschickten, und organisierte einen Protestzug zum Sitz der Credit Suisse in Manhattan. Die Schweizer Großbank finanziert Vantage. Aus dem Widerstand weniger wurde eine Bewegung. Aguaiza und McCreanor reichten eine Klage ein, die nun vor dem Obersten Gerichtshof der Stadt verhandelt wird. Auch New Yorks Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo wurde auf die Praktiken der Beteiligungsfirmen aufmerksam. Seine Ermittlungen trieben Vantage in die Enge. Vor ein paar Wochen stimmte das Unternehmen einem Vergleich in Höhe von einer Million Dollar zu.

250.000 Dollar sollen an Hilfsorganisationen wie das Einwanderungsbüro der katholischen Kirche fließen. 750.000 Dollar an Mieter, die belästigt oder sogar vertrieben wurden, wie die Tagesmutter, zu der Agauiza seinen Sohn schickte. Sie hatte dem Druck der neuen Eigentümer nicht lange standgehalten und war ausgezogen.

Für die Beteiligungsfonds geht es inzwischen nicht mehr um traumhafte Renditen, sondern ums nackte Überleben. Erst Ende Januar meldete ein Konsortium der Baufirma Tishman Speyer und der Beteiligungsgesellschaft Black Rock, das den Manhattaner Mittelstandswohnungskomplex Stuy-Town in Luxusappartments verwandeln wollte, Konkurs an. Auch für Vantage ist ein Bankrott nicht mehr angeschlossen. McCreanor jedenfalls ist sich sicher: Die Mieteinnahmen des Unternehmens reichen nicht, um die Schulden zu bezahlen.

Standards vernachlässigt

Die Geschäfte der Beteiligungsfonds fallen nun auf die Geldgeber zurück. Sie tragen den Großteil der finanziellen Verluste. Und auch ihr Ruf hat schweren Schaden genommen. Im Kreuzfeuer der Kritik steht der Pensionsfonds Calpers, der 200 Milliarden Dollar für kalifornische Staatsangestellte verwaltet. Calpers rühmt sich, höchste Sozialstandards bei seinen Investments einzuhalten. Doch das hielt das Unternehmen nicht davon ab, hohe Summen in Beteiligungsfirmen zu stecken, deren Geschäftsmodell dem von Vantage entspricht.

Auch an dem Stuy-Town-Deal war Calpers beteiligt. Im kalifornischen Parlament wurde jetzt eine Gesetzesinitiative eingebracht, um solche Geschäfte zu verbieten. Schließlich gefährdet der Fonds mit seiner bisherigen Investmentstrategie ausgerechnet jenen bezahlbaren Wohnraum, auf den auch viele Staatsangestellte angewiesen sind. Immerhin stellt sich Calpers der Kritik und gelobt, die umstrittenen Immobiliendeals zu überprüfen. Ganz anders dagegen Credit Suisse, der Financier von Vantage. Auf seiner Internetseite brüstet sich das Institut mit seinem sozialen Gewissen: Die Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft sei ein wichtiger Faktor für den langfristigen Erfolg. Doch wie das Engagement bei Vantage ins Bild passt, will die Bank lieber nicht erklären. Kein Kommentar zu den haltlosen Klagen, kein Kommentar zum Geschäftsmodell Vertreibung.

Für Mieter wie Ricardo Aguaiza bleibt die Unsicherheit - auch nach der Vergleichszahlung. Wird Vantage die Gebäude verkaufen, womöglich an ähnlich räuberische Miethaie? Oder wird das Unternehmen an den Wohnkomplexen festhalten, sich vielleicht sogar bessern? Aguaiza macht sich keine Hoffnung. Vor ein paar Tagen bekam er wieder Post von Vantage. Darin kündigte das Unternehmen eine Mieterhöhung an und forderte eine Einmalzahlung - für einen neuen Heizkessel, den noch niemand im Haus gesehen hat.

© SZ vom 02.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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