Made in China:Wenn Einkaufen zum Slalomlauf wird

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Können wir auf Produkte aus der Volksrepublik überhaupt noch verzichten? Ein Selbstversuch.

Alexander Mühlauer und Hannah Wilhelm

Die Nachricht, dass der schwäbische Stofftierfabrikant Steiff die Teddy-Produktion aus China zurück nach Deutschland holt, wurde hierzulande mit Begeisterung aufgenommen. "Made in Germany" sei also doch etwas wert, freute man sich.

Nicht immer steht China drauf, wenn China drin ist. Das macht bewusstes Shopping schwierig. (Foto: Foto: dpa)

Ratschläge aus dem Internet

Steiff macht das Leben aller politisch korrekten Einkäufer ein bisschen einfacher. Das ist nett, denn sie haben ein schweres Leben. Konsum-Verweigerung ist harte Arbeit. Besonders Ambitionierte versuchen es angesichts globalisierter Unübersichtlichkeit mit patriotischem Einkaufen. Das heißt: nur deutsche Produkte. Das ist hart.

Mittlerweile gibt es deshalb Hilfe auf Internetseiten wie ja-zu-deutschland.de oder klick-germany.de. Andere Verbraucher setzen lieber auf Protest light, aus aktuellem Anlass, Tibet zum Beispiel.

Man schlägt sich auf die Seite der Mönche und setzt ein Zeichen gegen das Reich der Menschenrechtsverletzer. Irgendwie macht die Übermacht des asiatischen Milliardenvolks Angst. Also, keine Produkte mehr aus China kaufen.

Bis Ende 2009 möchte Steiff die Produktion wieder nach Deutschland holen. Vorher muss man noch aufpassen: 20 Prozent der Kuscheltiere kommen aus China. "Made in Germany?" - das ist die Frage, quälend für denjenigen, der auf der Suche nach Spielzeug ist.

Denn fast alle der in Europa und den USA verkauften Kuscheltiere und Puppen kommen aus China oder werden teilweise dort gefertigt. Das gleiche gilt für Videospiele oder Dekorationsartikel. Immerhin: Wer im gehobenen Spielzeugfachgeschäft nach Puppen, Teddys oder Puzzles fragt, die nicht in China produziert sind, erntet verständnisvolle Blicke.

Ja, sicher, wegen der Qualität; für die Kleinen nur das Beste; da zahlt man auch gerne mal mehr; ein freundliches Lächeln. Das "Nein, wegen Tibet!" verkneift man sich, nickt nur freundlich.

Doch das Einkaufen wird mühsam. Wer tibetpolitisch korrekt auf "Made in China" verzichten möchte, merkt das schnell. In keinem anderen Land werden mehr Fernseher, Handys, DVD-Spieler, Kleidungsstücke, Schuhe, Glühbirnen oder Sportartikel produziert.

Die amerikanische Wirtschaftsjournalistin Sara Bongiorni hat versucht, ein Jahr lang ohne Produkte aus China zu leben. Ihr Fazit: "Es ist unmöglich, als Normalverbraucher ohne Produkte aus China zurechtzukommen." Bongiorni versuchte am eigenen Leib zu erfahren, was Globalisierung, dieses Abstraktum, für den Normalverbraucher bedeutet.

Ihre Erkenntnis: "Wir tun immer so, als seien wir die Starken und würden China großartige Chancen bieten, seine Produkte bei uns abzusetzen. Dabei vergessen wir, dass wir es sind, die längst nicht mehr ohne China können."

iPod? Geht gar nicht

Die Autorin beschreibt in ihrem Buch "Ein Jahr ohne Made in China" die zwiespältigen Gefühle eines Durchschnittsamerikaners, wenn er in einen Supermarkt geht: "Wenn ich das Schild "Made in China" sehe, sagt ein Teil von mir: gut für China. Ein anderer Teil spürt aufkommende Sentimentalität, weil ich etwas verloren habe, ohne zu wissen, was es ist."

Verloren gegangen ist nichts Geringeres als ein Großteil der Produktionsbasis des Landes. Die Industriegesellschaft verabschiedete sich, die Dienstleistungsgesellschaft kam, aber sie kann die Lücke nicht füllen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum auch die Alternativen oft einen Haken haben.

Die heutigen USA sind ein industriell weitgehend entkerntes Land. Produktionsstätten gibt es jenseits der mexikanischen Grenze - oder eben in Asien. Es gibt noch ein "Designt in Amerika", ein "Verkauft in Amerika", ein "Ausgedacht in Amerika". Ein "Made in America" gibt es kaum noch.

Das spürt auch der China-Verweigerer, der in Deutschland einkaufen möchte: Die Zeiten, in denen nur billige No-Name-Elektronik in China gefertigt wurden, sind vorbei. IBM hat die PC-Produktion längst an Fernost abgegeben. Besonders schmerzhaft ist es für Anhänger hipper Accessoires: "Designed by Apple in California. Assembled in China", liest er auf der Rückseite des iPods.

Mit anderen Worten: Gedacht haben Amerikaner, montiert haben Chinesen - genauer gesagt 120.000 Billigarbeiter in der Fabrikstadt iPod-City. Auf den iPod muss man verzichten. Niemand hat gesagt, dass es leicht ist, politisch korrekt zu shoppen.

Das Ärgerlichste: Bei den meisten Produkten ist die Herkunft beim Einkauf nicht nachvollziehbar. Eigentlich müsste der China-Verweigerer ständig telefonieren oder im Internet nachsehen. Aber, ach: Aufs Handy wird er wohl verzichten müssen. Motorola lässt in China fertigen, Nokia auch - und nicht nur in Rumänien, wohin die Arbeitsplätze aus dem Bochumer Werk verlagert wurden.

Problematische Alternativen

Auch wer Schuhe kauft, hat es schwer. Der vorinformierte Verbraucher weiß: Die Hälfte der in Deutschland verkauften Schuhe stammen aus China. Doch leider sucht man den Schriftzug "Made in ..." vergebens. In den Augen der gefragten Verkäuferin meint man ein ungläubiges "Mein Gott, es ist Sommerschlussverkauf, das Paar kostet 29 Euro - und warum überhaupt China?" zu erkennen.

Trotzdem fragt sie den Chef. Dann den Oberchef. Letztendlich lautet die Antwort: "Er sagt, das sei wie bei Autos: Jedes Einzelteil kommt woandersher. Da kann ich Ihnen nicht helfen."

Was bei 29 Euro für ein Paar Schuhe noch verständlich ist, hört bei Kleidung von Modedesignern auf, könnte man meinen. Aber auch sie lassen in China fertigen. Ralph Lauren zum Beispiel. Oder Helmut Lang: Ein Hemd des in New York lebenden österreichischen Designers kostet 390 Euro; im Hemdkragen steht: "Made in China".

Ebenso auf dem schicken blauen Hut und den Blusen der schwedischen Modekette H&M. Immerhin: Ein paar Stücke kommen aus Bangladesch, Kambodscha, der Türkei. Doch zu früh gefreut: Amnesty International mahnt in allen drei Ländern Menschenrechtsverletzungen an. Und nun?

© SZ vom 29.07.2008/jpm/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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