Geld verdienen per App:Jobs, die auf der Straße liegen

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Fiktive Beispiele für Mikrojob-Angebote von Apps. (Foto: N/A)

Rund um das Smartphone entsteht in Deutschland gerade ein völlig neuer Arbeitsmarkt: Massenhaft sammeln Nutzer an ihrem Wohnort Daten, die Unternehmen dann zu Geld machen. Die Idee hat gewaltiges Potenzial. Das Problem ist nur: Die Folgen sind nicht abzuschätzen.

Von Pia Ratzesberger

Wer Geld verdienen will, muss nicht weit gehen - zum Kiosk vorne an der Ecke, zum Imbiss zwei Straßen weiter, zur gotischen Kirche zehn Minuten entfernt. Das versprechen Apps wie Streetspotr oder Appjobber. Smartphones sollen mit ihrer Hilfe zu kleinen Geldmaschinen werden.

Die Apps bieten ihren Nutzern winzige Jobs von Firmen an, die direkt vor Ort und mit wenig Zeitaufwand zu erfüllen sind. Eine Speisekarte oder eine Parkhauseinfahrt fotografieren zum Beispiel. Nachsehen, ob es eine Tankstelle tatsächlich noch gibt oder die Öffnungszeiten stimmen. Die Sauberkeit in Zügen oder S-Bahnen überprüfen. Die Liste der Aufgaben ist so lang wie vielfältig. Ist der Job erfüllt, gibt es Bares. Für alle erledigten bezahlten Jobs in der Regel mindestens einen Euro.

Die Idee dahinter ist, die Masse an Informationen zu nutzen, die Millionen Smartphone-Nutzer in ganz Deutschland täglich bereitstellen. Ein Unternehmen, das Navigationssysteme entwickelt, muss sich dann nicht mehr selbst die Fotos von Parkhäusern für seine Software besorgen. Stattdessen erhält es die Bilder von Nutzern, die sowieso gerade dort parken oder auf dem Weg zur Arbeit vorbeigehen. Das spart Logistik, Zeit, Fahrtkosten. Kurzum: Geld.

Jeden Tag im Schnitt 350 neue Nutzer

Das Modell scheint zu funktionieren. Streetspotr, von einem dreiköpfigen Team vor zwei Jahren in Nürnberg entwickelt, hat heute schon mehr als 200 000 Nutzer, die rund um die Uhr als "mobile Workforce" bereitstehen. So bezeichnet das Start-up-Unternehmen selbst seine Jobber; jeden Tag kämen durchschnittlich 350 neue dazu.

Zu den Kunden der App zählen mittlerweile nicht nur andere Start-ups wie die Essenslieferer-App Lieferheld, sondern auch große Firmen wie Red Bull. Der Getränkehersteller will von den Mikro-Jobbern wissen, welche Kiosks oder Dönerläden seine Energy-Drinks verkaufen. Denn kleine Geschäfte beziehen die Dosen meist nicht per Direktvertrieb und sind bei Red Bull noch nicht als Kunden gelistet.

Willkommener Nebeneffekt

Lieferheld dagegen nutzt die App, damit Restaurants, die sich neu bei dem Essenslieferer anmelden, die Speisekarten nicht mehr per Post einschicken müssen. Stattdessen erledigen das nun "Streetspotter". "Die App-Nutzer, die für uns die Fotos machen, sehen so gleichzeitig: ,Aha, in diesem Lokal kann ich bald online bestellen'", sagt Carmen Beissner, Kundenbetreuerin bei Lieferheld. Die Jobs sind für das Unternehmen auch Werbung.

Um die drei Euro bekommen Nutzer pro fotografierter Karte. Wichtig sei ihr vor allem, dass die Jobber ihrem Aufwand gemäß verdienen, sagt die 37-Jährige. Doch ob das Modell wirklich so gerecht ist und nicht ein Heer von Billiglöhnern entsteht, die sich bisher auf keine eigenen arbeitsrechtlichen Regelungen berufen können, wird sich erst noch zeigen.

Thomas Oswald hat seit Jahresbeginn insgesamt schon mehr als 450 Jobs erledigt, auch für Lieferheld. Er ist ein sogenannter Powerspotter. In seiner Heimatstadt München gibt es kaum einen Spot, den er nicht kennt. Manchmal überlegt sich der 44-jährige Polizist komplette Fahrradrouten, auf deren Strecke möglichst viele Punkte liegen. Dass man mit Streetspotr nicht das große Geld macht, war dem Beamten von Anfang an klar: "Viele haben völlig falsche Vorstellungen. Die denken, ich melde mich an und verdiene sofort 50 Euro. Aber es ist eben keine Arbeit, irgendwo vorbeizufahren und etwas abzufotografieren. Das muss man in Relation sehen."

Manche Jobs bei Streetspotr bieten außerdem gar kein Geld, sondern nur Punkte. Je mehr man von diesen Punkten sammelt, desto mehr Jobs kann man wiederum gleichzeitig annehmen. Denn anfangs ist jedem Nutzer eine begrenzte Anzahl von Aufgaben gesetzt, damit nicht unendlich viele Jobs angenommen und dann doch nicht erfüllt werden.

Jeder Auftrag wird gegengecheckt

Der bestbezahlte Job, den Streetspotr bisher vergab, brachte 30 Euro. Dafür musste der Smartphone-Besitzer in einen Gebrauchtwagenladen gehen und sich ein Angebot für eines der Autos präsentieren lassen. Wem die Infos eigentlich nutzen und wer den Auftrag gegeben hat, erfährt der Jobber oft nicht. "Viele Firmen wollen anonym bleiben", sagt Dorothea Utzt, die Streetspotr mit ihren Kollegen Holger Frank und Werner Hoier gegründet hat. Damals war ein großer Automobilhersteller auf die drei zugekommen. Mit Apps wie dem iPhone-Kalender miCal hatten sie sich bereits einen Namen gemacht.

Schnell wurde den Entwicklern klar, dass so ein Service auch für andere Unternehmen interessant sein könnte - aber nicht nur für die. "Neulich wollte ein Privatdetektiv alle Nummernschilder in der Stadt abfotografiert haben", erzählt Utzt. Streetspotr überprüft wegen solcher Anfragen jeden Auftrag, bevor er für die App freigeschaltet wird. Der Detektiv bekam eine Absage. Andersherum funktioniert das System genauso: Jeder erledigte Auftrag wird von dem zwölfköpfigen Streetspotr Team gegengecheckt. Nur wenn der Job laut den Vorgaben erfüllt wurde, gibt es Geld.

Dass die App während jedes Jobs die GPS-Koordinaten des Nutzers aufzeichnet, verteidigen die Gründer mit der Notwendigkeit der Daten. Tatsächlich ergibt das Konzept nur so Sinn: Die Jobber könnten sonst zu Hause sitzen und von dort aus angeben, vor Ort zu sein. Nachprüfen könnte das niemand.

Die Aufzeichnung startet nach Angaben von Streetspotr erst, wenn der Nutzer den Job annimmt - und endet danach automatisch. Genauso läuft es auch bei Appjobber, dem Konkurrenzanbieter. Tobias Klug und Robert Lokaiczyk haben ihren Jobdienst ungefähr zur selben Zeit entwickelt, auch sie sind im Jahr 2011 gestartet, auch bei ihnen hatte ein Unternehmen die Idee angestoßen.

Eigentlich hatten die beiden Programmierer einen Mängelfinder auf den Markt gebracht. Eine App, mit der Bürger Schlaglöcher oder kaputte Straßenlaternen ihrer Stadt melden können. Auf der Computermesse Cebit sprach sie ein Unternehmer an: "Für so etwas würde ich auch Geld zahlen." Heute ist Appjobber mit etwa 100 000 Nutzern halb so groß wie der Rivale Streetspotr, bietet dafür nur bezahlte Jobs und kein Punktesystem. Vor allem Branchenbücher beauftragen Klug und Lokaiczyk, mithilfe ihrer Nutzer die Einträge auf Aktualität zu überprüfen.

Bedenken, anderen durch ihre neue Dienstleistung Arbeitsplätze wegzunehmen, haben die zwei Gründern nicht: "Früher hat bei den Geschäften jemand aus dem Callcenter angerufen, um zu checken, ob der Eintrag noch stimmt. Hingefahren ist da niemand", sagt der 32-Jährige. In Zukunft will das Start-up sein Geschäft auf weitere Länder außerhalb des deutschsprachigen Raumes ausweiten, in Finnland und Italien gibt es die App seit Kurzem schon. Die Italiener nähmen das Angebot gut an, sagt Lokaiczyk.

Geschäftskiller Langeweile

Die vielen Arbeitswilligen über längere Zeit zu halten, wird für die Mikrojob-Apps aber zur Herausforderung werden. Schon heute bemängeln Nutzer oft, dass es zu wenige Aufgaben in ihrer Umgebung gibt, fordern mehr Jobs. Das Streetspotr-Team schreibt in seinem Forum an seine Nutzer lediglich, dass es sich über diese Nachfrage zwar freue - neue Spots aber nur von den Unternehmen kommen könnten. Stammen die aber immer aus den gleichen Branchen, wiederholen sich die Aufgaben für die App-Nutzer mit der Zeit, die Jobs ähneln sich. Dann droht Langeweile. Selbst Powerjobber Thomas Oswald sagt: "Für mich ist das ein Spiel. Irgendwann habe ich vielleicht keine Lust mehr, dann mache ich eben etwas anderes."

Doch die Mikrojob-Apps sind auf Nutzer wie Oswald angewiesen. Ihr Geschäftskonzept funktioniert nur, wenn viele Jobber an vielen Orten zur Verfügung stehen. Der frühere Mitkonkurrent Gigalocal ist genau daran gescheitert. Gigalocal vergab ebenfalls kleine Aufgaben, jedoch vor allem von Privatperson zu Privatperson: Blumen gießen, eine Pizza vorbeibringen, die Post aus dem Briefkasten holen. Von der Idee übrig ist heute nur noch die Website. Auf der steht: "Leider haben wir nicht die Anzahl an Usern gewinnen können, die für einen rentablen Betrieb der App notwendig wäre." Auch Gigalocal war 2011 gestartet. Doch Jobs von echten Unternehmen fanden die App-Nutzer wohl doch interessanter. Selbst wenn es nur Mikrojobs sind.

© SZ vom 17.08.2013/ratz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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