Finanzen: Krise der "Heuschrecken":Ende einer Party

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Sie haben getanzt, als ob es kein morgen gäbe. Dann kam die Finanzkrise und der große Kater. Von Daimler bis Conti - wohin führt der Weg der Heuschrecken?

Tobias Dorfer

Das Licht geht an - und die Spuren der Nacht werden sichtbar. Wie Feiernde nach einer langen Partynacht langsam ins reale Leben zurückfinden müssen, so müssen auch die Finanzinvestoren der Realität ins Auge sehen. Und die sieht mitunter erschreckend aus.

Lange haben sie getanzt und riskante Deals gestemmt - nun spüren die Heuschrecken den Kater einer durchzechten Nacht. (Foto: Foto: dpa)

Jahrelang haben sie getanzt, haben investiert, haben Deals gestemmt, die selbst wohlmeinende Experten - freundlich ausgedrückt - als überdimensioniert bezeichnet haben. Doch niemand wollte die Finanzinvestoren stoppen. Zu billig war das Leben auf Pump, zu freigiebig waren die Banken mit Krediten, zu gierig die Investmentbanker. So entstanden Deals, die nun zum Sinnbild des Niedergangs einer gesamten Branche werden.

Beispiel Hertie:

Als Karstadt-Quelle-Chef Thomas Middelhoff vor drei Jahren die wenig ertragreichen Warenhäuser von Karstadt-Kompakt loswerden wollte, schlug der britische Investor Dawnay Day zu - und bekam gleich noch den traditionsreichen Namen Hertie dazu. Von Investitionen in Personal und Produkte sprachen die neuen Eigner. Passiert ist wenig. Marode wie nie, taumeln die Hertie-Warenhäuser der Insolvenz entgegen. Nicht einmal Optimisten gehen noch davon aus, dass sämtliche 72 Standorte gerettet werden können. Ähnliches geschieht derzeit bei zwei anderen ehemaligen Karstadt-Töchtern. Auch die Modehäuser Wehmeyer und Sinn-Leffers, ebenfalls unter der Kontrolle von Finanzinvestoren, haben inzwischen Insolvenz angemeldet.

Beispiel Hugo Boss:

Zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, trafen in der beschaulichen schwäbischen Kleinstadt Metzingen aufeinander: Die Belegschaft des Edelschneiders Hugo Boss und die Finanzinvestoren von Permira. Im Mai genehmigten sich die Eigner auf einer turbulenten Hauptversammlung eine Dividende plus Sonderausschüttung in Höhe von 500 Millionen Euro, die Eigenkapitalquote wurde von 50 Prozent um etwa die Hälfte gesenkt. Da hatte Erfolgsmanager Bruno Sälzer im Streit mit den Permira-Managern das Unternehmen schon lange verlassen. Innerhalb eines Jahres ist der Aktienkurs um die Hälfte eingebrochen.

Beispiel ProSiebenSat.1:

Wachstum um jeden Preis verordneten die Manager der Investoren KKR und Permira dem Fernsehkonzern ProSiebenSat.1. Doch nach dem Kauf der europäischen Sendergruppe SBS taumelten die Münchner in die Krise. ProSiebenSat.1 schreibt rote Zahlen, die Quoten sind miserabel, die Aktie verliert rasant an Wert - und anstatt in neue Programminhalte zu investieren, genehmigten sich die Eigner auf der Hauptversammlung eine Rekorddividende in Höhe von 270 Millionen Euro.

Drei Beispiele, die Angst machen - und die Fragen am Geschäftsmodell der Investoren aufkommen lassen. Wie tragbar ist es überhaupt noch?

Lesen Sie im zweiten Teil, wie die Finanzkrise die Strategie der Investoren über den Haufen warf - und wie die neue Rolle der Firmenjäger sein könnte.

Hertie, Schiesser & Co.
:Abschied von alten Bekannten

Quelle, Escada, Rosenthal: Pleiten von Traditionsunternehmen sorgen in Deutschland immer wieder für Aufsehen - weil oft Hunderte, manchmal Tausende Jobs einfach wegfallen. Spektakuläre Pleiten in Bildern.

Das Verhältnis der Deutschen zu den sogenannten Heuschrecken ist ambivalent. Mit den Finanzinvestoren verbinden sie einerseits Ekel und Abscheu - andererseits weckte kaum eine Branche so viele Hoffnungen wie die lautlosen Firmenjäger.

Vor drei Jahren tanzten sie noch. Finanzinvestoren stiegen in Unternehmen ein, zu fast jedem Preis. Kein Wunder, fremdes Geld war günstig wie nie. Die Banken waren wie betrunken vor den tollkühnen Versprechungen der Investoren. Blind vor Gier und mit Dollarzeichen in den Augen gaben sie Kredite heraus - an alles und jeden. Und die Finanzinvestoren nahmen das Fremdkapital, stiegen in kriselnde Unternehmen ein wie die Aasgeier - und bürdeten anschließend diese Schulden den Firmen selbst auf. "Das war damals mitunter ein blindes Kaufen", sagt Jürgen Pieper, Analyst des Frankfurter Bankhauses Metzler. "Die Hälfte der Deals war überzogen."

Doch das störte niemanden, solange die Geldhäuser immer frisches Kapital nachschoben. "Fremdkapital war billig und in Massen vorhanden", sagt Christoph Kaserer, Professor für Betriebswirtschaft und Finanzmanagement an der Technischen Universität München.

Stille Anteilseigner

Dann jedoch kam die Finanzkrise - und mit ihr verschwanden die Dollarzeichen aus den Augen der Bankmanager. Plötzlich regierte die Angst, das Geld saß nicht mehr so locker. Banken vergeben nicht mehr so leicht Kredite, meint Friedrich Thießen, Professor für Finanzwirtschaft an der Technischen Universität Chemnitz. Es sei denn, das Risiko ist überschaubar - "oder die Renditeerwartungen exorbitant hoch."

"Die Party ist vorbei", konstatiert Kaserer - und mit ihr die Zeit der Finanzinvestoren? Nein, sagt Thießen. "Es hat immer Beteiligungsfirmen gegeben. Das Know-how ist da, die Personen sind da, die Finanzinvestoren werden immer eine wichtige Rolle spielen." Nur wie sieht diese Rolle aus?

Metzler-Analyst Pieper glaubt, das Geschäftsmodell der Beteiligungsfirmen habe sich, zumindest vorübergehend geändert. "Die Finanzinvestoren sind nicht mehr in der Lage, die ganz großen Brocken zu stemmen." Anstatt nahezu blind die vollständige Kontrolle über Unternehmen zu erlangen, könnten sie nun als stille Anteilseigner wiederkommen. "Beteiligungen von einigen Prozent sind noch realistisch", sagt Pieper. "Ganze Übernahmen dagegen nicht."

Lesen Sie im dritten Teil, warum sich Finanzinvestoren zwischen konservativer Anlage und Risikoinvestments unterscheiden müssen - und wieso die Party der Firmenjäger höchstens unterbrochen ist.

Übernahmekandidaten
:Schwergewichte zum Schnäppchenpreis

Die Talfahrt der Aktienkurse sorgt für Übernahmephantasien an der Börse. Conti ist womöglich erst der Anfang, denn viele deutsche Traditionsunternehmen sind derzeit zum Schleuderpreis zu haben. Momentan besonders billig: Daimler. Ein Überblick in Bildern.

So werden die Heuschrecken zu stillen Investoren - oder zu strategischen Helfern auf Zeit. Die Automobilbranche, eigentlich nicht bekannt für horrende Renditen, gerät in den Blickpunkt. Eben stieg der schwedische Finanzinvestor Cevian Capital beim schwäbischen Autobauer Daimler ein. Und der Autozulieferer Conti sucht gerade verzweifelt nach einem sogenannten weißen Ritter, um die Offerte der fränkischen Schaeffler-Gruppe abzuwehren. Auch hier sind Finanzinvestoren im Gespräch.

Medien, Mode, Handel - das war einmal. Heute setzen die stillen Firmenjäger offenbar auf Altbewährtes. "Im Bereich der Autozulieferer sind deutsche Unternehmen im globalen Maßstab ganz vorne", sagt Metzler-Analyst Pieper. Zudem seien die Aktien von Daimler (auf 41 Euro) und Continental (73 Euro) in der letzten Zeit stark gesunken. "Conti-Aktien hatten vor einem Jahr noch einen Wert von 110 Euro. Dann kam der Kauf von Siemens-VDO. Daher müssten die Papiere eigentlich mehr wert sein."

Der Münchner Wirtschaftswissenschaftler Kaserer sieht weitere Anlagemöglichkeiten. Auch Investitionen in Immobilien oder in die berüchtigten Subprime-Papiere, Sinnbilder für die Krise an den internationalen Finanzmärkten, seien denkbar. "Der Markt ist sehr stark ausgetrocknet", sagt Kaserer. Eine gute Gelegenheit für Schnäppchenjäger, aber auch eine riskante.

Die nächste Party kommt bestimmt

Hochriskant oder konservativ - die Strategien der Finanzinvestoren führen in die Extreme. Entweder sie verlassen sich, wie Metzler-Analyst Pieper glaubt, auf konservative - dafür jedoch renditeschwächere - Investments. Oder sie wagen den Tanz übers Drahtseil. "Finanzinvestoren müssen wieder größere Risiken eingehen", sagt Kaserer.

Die bisherigen Geschäftsmodelle mögen ins Wanken geraten sein, doch die Heuschrecken leben noch immer. "Finanzinvestoren wechseln ihre Strategie laufend", sagt der Chemnitzer Professor Thießen. So überleben sie - trotz des Katers nach der Party. Denn ihre Schlagkraft werden die berüchtigten Firmenjäger auch als Minderheitsaktionäre nicht abstreifen. "Auch mit einem Anteil von fünf oder zehn Prozent können solche Investoren dem Management die Hölle heißmachen", sagt Kaserer.

Eines steht fest: Die nächste Party wird kommen - und mit ihr die Finanzinvestoren. "Im Moment legen sie vielleicht eine kurze Verschnaufpause ein", sagt Thießen. "Aber die Investoren werden wiederkommen."

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