Hertie-Insolvenzverwalter Bähr:"Ich kämpfe um jedes Haus"

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Keine leichte Aufgabe: Insolvenzverwalter Bähr über seine Rettungsstrategie für das einstige Traditionskaufhaus Hertie, wann Verlustbringer geschlossen werden - und welche Rolle aggressive Finanzinvestoren spielen.

Melanie Ahlemeier

Der Fachanwalt für Insolvenzrecht Dr. Biner Bähr ist Partner der internationalen Sozietät White & Case LLP und wurde vom Amtsgericht Essen zum Insolvenzverwalter für Hertie bestellt. Das Traditionskaufhaus hatte am vergangenen Donnerstag Insolvenz angemeldet. Die Warenhauskette beschäftigt rund 4000 Mitarbeiter in 72 Filialen.

Hertie in der Krise: Die Kaufhauskette hat in der vergangenen Woche Insolvenz angemeldet, Insolvenzverwalter Biner Bähr ist nun auf der Suche nach Investoren. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Bähr, Sie haben einen ersten Blick in die Hertie-Bücher werfen können - ärgern Sie sich schon, dass Sie diesen Insolvenzfall angenommen haben?

Biner Bähr: Nein, überhaupt nicht. Das ist ein sehr spannender Auftrag, an den ich angespannt aber mutig mit meinem Team herangehe.

sueddeutsche.de: Wie werden Sie vorgehen? Ist es sinnvoll, 72 Hertie-Dependancen einzeln zu prüfen oder gibt es einen Rundumschlag?

Bähr: Wir werden uns im Laufe unserer Arbeiten jedes einzelne Haus sehr genau anschauen und prüfen, ob es wirtschaftlich läuft. Dies wird einige Monate in Anspruch nehmen.

sueddeutsche.de: Wie wird man eigentlich Insolvenzverwalter eines so namhaften Kaufhauses?

Bähr: Das fällt nicht vom Himmel. Man benötigt eine sehr gute juristische und betriebswirtschaftliche Ausbildung und viele Jahre Erfahrung. Als Insolvenzverwalter fangen Sie mit kleinen Verfahren an. Wenn man die gut bearbeitet, bekommt man von den erfahrenen Insolvenzrichtern dann immer größere Verfahren. In den vergangenen zwölf Jahren habe ich etwa 1500 Verfahren bearbeitet - man arbeitet sich gewissermaßen hoch.

sueddeutsche.de: Sie haben unter anderem den Motorradbekleidungshändler Hein Gericke erfolgreich durch die Insolvenz geführt. Sind Insolvenzen vergleichbar?

Bähr: Jede Insolvenz ist anders und eine neue Herausfoderung. Hein Gericke und Hertie weisen allerdings tatsächlich Gemeinsamkeiten auf. Hein Gericke hatte deutschlandweit mehr als 100 Shops, bei Hertie sind es 72 Filialen. Das Einzelhandelsgeschäft ist grundsätzlich dasselbe. Es gibt also Erfahrungen, auf die ich jetzt bei Hertie zurückgreifen kann.

sueddeutsche.de: Die beiden Hertie-Geschäftsführer sagen, dass trotz der Insolvenz die Restrukturierung des Unternehmens geschafft werden kann - das klingt utopisch. Kein vernünftiger Lieferant dürfte Hertie in der aktuellen Situation noch Waren geben. Der Konzern ist zahlungsunfähig.

Bähr: Das mag für den Außenstehenden so aussehen. Tatsächlich ist es aber so, dass kein Lieferant oder Dienstleister bisher abgesprungen ist. Der Grund dafür ist, dass Gläubiger - auch in der Hoffnung auf mein Wort, dass sie bezahlt werden - gerne weiterliefern, um den bereits eingetretenen Schaden vor dem Insolvenzantrag nach Möglichkeit wieder zu minimieren. Die Lieferanten wollen sich den Kunden für die Zukunft erhalten.

sueddeutsche.de: Dafür stehen Sie mit Ihrem Wort, sagen Sie. Stehen Sie notfalls auch mit Ihrem Privatvermögen ein, falls die Insolvenz misslingt?

Bähr: Als Insolvenzverwalter bin ich verpflichtet, mir die Zahlen des Unternehmens genau anzusehen. Bei jeder Verbindlichkeit, die mit meiner Zustimmung begründet wird, muss ich überlegen: Kann ich die nachher auch bezahlen oder nicht? Mit seinem Privatvermögen haftet ein Insolvenzverwalter nur in Ausnahmefällen.

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Quelle, Escada, Rosenthal: Pleiten von Traditionsunternehmen sorgen in Deutschland immer wieder für Aufsehen - weil oft Hunderte, manchmal Tausende Jobs einfach wegfallen. Spektakuläre Pleiten in Bildern.

sueddeutsche.de: Viele klagen über das deutsche Insolvenzrecht , mit der Argumentation, es sei zu kompliziert und zu langwierig.

Biner Bähr führt die angeschlagene Kaufhauskette Hertie durch die Insolvenz. (Foto: Foto: oH)

Bähr: Zu Unrecht. Das deutsche Insolvenzrecht bietet ein wirklich gutes Instrumentarium zur Restrukturierung, das - phantasievoll angewendet - die Sanierung von Unternehmen sehr fördern kann.

sueddeutsche.de: Wie stehen die Chancen, dass Hertie gestärkt aus der Insolvenz hervorgeht? 50 zu 50? Vor Anmeldung der Zahlungsunfähigkeit wurden gerade mal 30 der 72 Häuser grundlegend saniert.

Bähr: Das kann ich nach wenigen Tagen noch nicht sagen. Wenn ein Haus wirtschaftlich nicht cash-positiv läuft, müssen wir die Gründe hierfür ermitteln und überlegen, ob wir diese beeinflussen können. Nur wenn Letzteres nicht der Fall ist, muss ein Haus im Interesse des Gesamtunternehmens geschlossen werden. Wir können es uns in der Insolvenz nicht mehr erlauben, Häuser mitzufinanzieren, die sich dauerhaft nicht tragen. Das würde die Sanierung der anderen Häuser gefährden.

sueddeutsche.de: Wie lautet Ihre Strategie? Gilt es zunächst, die Vorzeige-Häuser zu retten? Oder sind alle 72 Standorte gleich bedeutend?

Bähr: Alle Häuser, ob in Tuttlingen oder Rendsburg, bewerte ich gleich. Mit meinem Team werde ich um jedes einzelne Haus und die damit verbundenen Arbeitsplätze kämpfen.

sueddeutsche.de: Hertie beschäftigt 4300 Mitarbeiter - haben Sie mit einigen bereits persönlich sprechen können? Die Sorgen und Ängste ob der ungewissen Zukunft dürften groß sein.

Bähr: Seit dem 31. Juli, also der Stellung des Insolvenzantrags und meiner Bestellung als vorläufiger Insolvenzverwalter, habe ich schon mit vielen Mitarbeitern gesprochen. In Betriebsversammlungen und Rundschreiben werde ich die Belegschaft regelmäßig über den Stand des Insolvenzverfahrens und unsere Sanierungsbemühungen informieren. Zudem sind die Betriebsräte in den einzelnen Filialen mein "verlängerter Informationsarm". Die Devise lautet: "So viel Offenheit wie möglich."

sueddeutsche.de: Wie waren die ersten Reaktionen der Mitarbeiter?

Bähr: Durchweg positiv. Es ist wirklich beglückend, zu sehen, dass mir ein großer Vertrauensvorschuss entgegengebracht wird. Natürlich sind die Mitarbeiter infolge des Insolvenzantrags verunsichert, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht. Wenn ich ihnen aber in Ruhe den Ablauf eines Insolvenzverfahrens erkläre und darlege, dass es mein Job ist, ihr Unternehmen nach Möglichkeit dauerhaft zu erhalten, fassen die Mitarbeiter Mut; und genau das ist es, was wir jetzt brauchen.

sueddeutsche.de: Neben den Mitarbeitern dürften vor allem etliche Bürgermeister um das Wohlergehen der Kaufhauskette besorgt sein. Vielerorts wird die Innenstadt durch Hertie geprägt. Wie viele Verwaltungschefs haben Sie seit Bekanntwerden der Insolvenz schon kennengelernt?

Bähr: Mit verschiedenen Bürgermeistern stehe ich schon im Kontakt. Von mehreren habe ich bereits Schreiben erhalten. Geplant ist auch, die Stadtvertreter durch Telefonkonferenzen zu informieren. Bewusst versuche ich, auch hier wieder Zuversicht zu verbreiten. Es muss in das Bewusstsein aller, dass mit der Stellung eines Insolvenzantrags überhaupt noch nichts verloren ist. In schwieriger Zeit bekommen ein Unternehmen und seine Gläubiger rechtliche und wirtschaftliche Hilfe durch einen Fachmann.

sueddeutsche.de: Der deutsche Markt gibt nicht viel her: Wer kommt überhaupt als potentieller Investor in Frage? Und droht Hertie - falls sich mehrere Investoren finden sollten - die Zerschlagung?

Bähr: Natürlich braucht Hertie für die anstehende Restrukturierung frisches Geld. Parallel zur Fortführung und Stabilisierung des Geschäftsbetriebs versuche ich deshalb, Investoren für Hertie zu begeistern. Mit der Suche nach einem solchen Investor habe ich ein erfahrenes Investmenthaus beauftragt.

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sueddeutsche.de: Wo wird man mit der Suche nach einem Investor beginnen?

Bähr: Diese Investmentbanker werden für uns weltweit den Markt nach potentiellen Investoren absuchen. In einer zweiten Phase werden dann erste Gespräche geführt. Am Ende des Prozesses werden wir dann hoffentlich einen Investor haben, der zu Hertie passt und mit dem sowohl die Mitarbeiter als auch die Lieferanten und Kunden gut leben können.

sueddeutsche.de: Wie sieht der Zeitplan aus - wann soll es erste Gespräche mit Investoren geben? Oder anders gefragt: Wann verabschieden Sie sich als Insolvenzverwalter vom Projekt Hertie?

Bähr: Zurückziehen will ich mich persönlich so schnell wie möglich, und zwar nicht, weil ich nicht an den Erfolg glaube, sondern weil es für ein Unternehmen immer das Beste ist, wenn der Insolvenzverwalter wieder aus dem Haus ist. Aber der Prozess darf auch nicht zu kurz sein. Ich werde mir die notwendige Zeit nehmen, um den richtigen Investor zu finden. Nach meiner heutigen Einschätzung wird das mindestens drei Monate dauern.

sueddeutsche.de: Das Land Nordrhein-Westfalen hat eine Landesbürgschaft in Aussicht gestellt - wie hoch müsste die ausfallen?

Bähr: Das kann ich heute noch nicht sagen. Es hängt auch vom Investor ab, welche Hilfestellung er zusätzlich zu dem, was er selbst mitbringt, benötigt. Denkbar sind derzeit zwei Hilfsmaßnahmen: Zum einen könnte eine Landesbürgschaft zur Absicherung eines Kredits gewährt werden, zum anderen könnte das Land helfen, eine Transfergesellschaft für die Mitarbeiter zu finanzieren, von denen wir uns infolge des Restrukturierungsprozesses eventuell trennen müssen.

sueddeutsche.de: Die Filiale in Hamburg-Eppendorf wurde schon geschlossen - eine erste Maßnahme?

Bähr: Nein. Die in der Vergangenheit gutgehende Filiale in Hamburg-Eppendorf ist seit einem Jahr geschlossen. Mit der Insolvenz hat dies nichts zu tun. Im Ergebnis hat es keine Einigung mit dem Vermieter gegeben. In der Öffentlichkeit ist dies leider falsch dargestellt worden.

sueddeutsche.de: Hertie wollte sich mit seinem Angebot von der Billigkonkurrenz absetzen. Jetzt ist das einstige Traditionskaufhaus selbst zum Schnäppchen geworden. Ist das der Zynismus der modernen Marktwirtschaft?

Bähr: Das tut mir auch weh. Aufgewachsen bin ich in Kiel mit einem Hertie-Kaufhaus in unmittelbarer Nähe. Das habe ich noch in guter Erinnerung. Ob das Modell des Warenhauses in Deutschland insgesamt noch Zukunft hat, werden die kommenden Monate zeigen. Ich persönlich glaube das aber. Gerade in vielen mittelgroßen Städten ist Hertie noch heute ein wichtiger Anziehungspunkt.

sueddeutsche.de: Der britische Mehrheitsgesellschafter Dawnay Day ist in Folge der Finanzkrise ins Schlingern geraten und hat sein Beteiligungsportfolio durchforstet - welche Konsequenzen können daraus gezogen werden? Eignen sich Finanzinvestoren nicht fürs Kaufhausgeschäft?

Bähr: Das ist eine vielfach und aus meiner Sicht viel zu schnell vorgebrachte Folgerung. Tatsächlich ist es so, dass bei Unternehmen in der Krise heute fast nur noch Finanzinvestoren bereit sind, sich zu engagieren - egal, ob es ein Handels-, Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen ist. Nur selten findet sich ein strategischer Investor, weil das Risiko des Verlustes des eingesetzten Kapitals für ihn viel zu groß ist. Dass mit einem erhöhten Risiko auch die Forderung des Investors nach einer höheren Verzinsung seines Kapitals verbunden ist, liegt auf der Hand und ist richtig.

sueddeutsche.de: Ihr Herz als Insolvenzverwalter schlägt also für Heuschrecken?

Bähr: Finanzinvestoren werden viel zu leichtfertig verteufelt - sie sind in vielen Fällen die Einzigen, die sich engagieren. Mir gefällt deshalb auch der Begriff "Heuschrecke" nicht. Er zeugt nur davon, dass diejenigen, die ihn verwenden, entweder keine Ahnung haben oder bewusst vereinfachen.

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