Ein Jahr nach der Lehman-Pleite:China, die neue Geldmacht

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Traum und Trauma liegen nah beieinander: Ein Jahr nach der Lehman-Pleite werden die Plätze auf dem Siegerpodest in der Bankenwelt neu verteilt. Während China die Krise fast unbeschadet überstanden hat, verlieren Amerikaner und Europäer den Anschluss.

Martin Hesse und Catherine Hoffmann

Der Schönheitswettbewerb ist in vollem Gange. Ob Europäer, Amerikaner oder Chinesen - jeder will möglichst viele Banken unter den größten der Welt positionieren. Die Plätze auf dem Siegerpodest werden ein Jahr nach der Pleite von Lehman Brothers neu verteilt. Traum und Trauma liegen für die Preisträger oft nah beieinander.

Zwischen den Giganten aus Asien und Nordamerika tun sich die europäischen Banken schwer. (Foto: Foto: AP)

Vor Ausbruch der weltweiten Finanzkrise galt die amerikanische Citigroup, gemessen an ihrem Börsenwert, unangefochten als Nummer eins. Die starke Stellung amerikanischer Geldhäuser hatte Tradition: Vor zehn Jahren stammten sechs der zehn größten Finanzinstitute der Welt aus den USA; die Plätze eins und zwei hielten Citigroup und Bank of America. Heute schaffen es nur drei US-Banken in die ersten Zehn, der erste und zweite Platz werden von der britischen HSBC und der China Construction Bank besetzt.

Ackermanns Klage

Die Gewichte haben sich durch die spektakuläre Misswirtschaft vieler einst renommierter Geldhäuser verschoben - zugunsten von Asien. Europa tut sich schwer, zwischen den alten Giganten aus Amerika und den neuen aus Fernost seine Position zu finden. "Während man in Deutschland noch über eine Konsolidierung von Landesbanken diskutiert, machen Banken aus Schwellenländern heute schon mehr als ein Viertel der Marktkapitalisierung der Top-25-Banken weltweit aus", klagte vor kurzem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann.

China ist aufgestiegen zur neuen Geldmacht. Mit einer Mischung aus Geschick und Rückständigkeit hat das Reich der Mitte seine Finanzindustrie weitgehend aus der Krise herausgehalten. Chinas Führung hat das Land vor den globalen Kapitalströmen geschützt: Die Nationalwährung Yuan ist nicht frei handelbar, Privatanleger dürfen im Ausland praktisch keine Kredite aufnehmen. Vor allem aber machen die großen chinesischen Banken ihr Geld mit schnöden Krediten für Haushalte und Unternehmen, nicht aber mit spekulativen Geschäften.

Gefahrlos ist das Erfolgsmodell der aufsteigenden Volkswirtschaft allerdings nicht. "Chinesische Banken fahren hohe Kreditrisiken", sagt Martin Faust, Professor für Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of Finance and Management. "Sobald die Wirtschaft etwas langsamer wächst, drohen gewaltige Kreditausfälle." Es wird gemunkelt, dass ein Viertel der großzügig vergebenen chinesischen Kredite faul sind. Faust fürchtet eine Blase und sieht Parallelen zu Japan: "Vor 20 Jahren waren unter den zehn größten Banken der Welt neun japanische, weil sie rücksichtslos eine Immobilienblase im eigenen Land finanziert haben." Nachdem diese Wette geplatzt war, fand sich lange Zeit kein japanisches Institut mehr auf den Spitzenplätzen. "Diese Gefahr sehe ich auch in China", sagt Faust.

Unterschiedliches Vorgehen

Der Wandel der Bankenwelt hat aber nicht nur mit China, er hat auch viel damit zu tun, wie die Politik in verschiedenen Teilen der Welt auf die Krise reagiert hat. Als Lehman Brothers zusammenbrach, zitierte der damalige Finanzminister Hank Paulson die Chefs der großen US-Banken zu sich. Er machte ihnen wie Marlon Brando in "Der Pate" ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten. Er drohte Ken Lewis, dem Chef der Bank of America, er sei erledigt, wenn er nicht die angeschlagene Investmentbank Merrill Lynch übernimmt. Alle Großbanken sowie die Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley mussten Staatshilfen annehmen, ob sie wollten oder nicht.

"Die Amerikaner haben die großen schwachen Banken in andere hineingeschoben, einen staatlichen Schirm über die Risiken gespannt und die kleinen Institute pleitegehen lassen", beschreibt Josef Ackermann das Vorgehen. "Dadurch entstanden dort größere, stärkere Banken, während wir in Europa wieder da stehen, wo wir einmal vor der Krise waren." J.P. Morgan übernahm Bear Stearns und Washington Mutual, Wells Fargo schluckte Wachovia. Die EU-Staaten versuchten dagegen meist, jede einzelne Bank am Leben zu halten. Zugleich forderte die EU-Kommission unerbittlich, gerettete Institute wie die Commerzbank und die WestLB zu halbieren.

Die Folge: Geschwächte Institute wie die Royal Bank of Scotland oder die Commerzbank zogen sich ein Stück weit auf ihren Heimatmarkt zurück. Gewinner wie Goldman Sachs, J.P. Morgan, die Deutsche Bank, Barclays, Credit Suisse und BNP Paribas stießen in die Lücken und dehnten ihren Einflussbereich aus. Institute, die ohne Staatshilfe und die damit verbundenen Auflagen auskamen, taten sich leichter zu expandieren. Und wenn künftig zwischen systemrelevanten und anderen Banken unterschieden wird, dürften die Großbanken, die im Zweifel vom Staat aufgefangen werden, Zulauf von Kunden bekommen.

Allerdings schrumpften selbst die Krisengewinner gemessen an ihrer Bilanzsumme deutlich. Der Grund: Die Regulierer verlangten von allen Banken eine bessere Kapitalausstattung. Die meisten Institute erreichten das Ziel, indem sie ihren Bestand an Wertpapieren und Krediten reduzierten. Der Preis für die gewonnene Sicherheit dürften künftig geringere Gewinne sein.

Zu einfach gedacht

Außerdem stutzen die meisten Kreditinstitute ihren riskanten Eigenhandel. "Das könnte dazu führen, dass sich dieses Geschäft auf weniger Banken konzentriert, die durch die Übernahme von Risiken dann besonders hohe Gewinne erzielen", sagt Theodor Weimer, Chef der Hypo-Vereinsbank. Die hohen Profite der Investmentbank Goldman Sachs belegen seine These.

Dabei schien zu Beginn der Krise klar zu sein: Die Investmentbanken sind die Verlierer, klassische Universalbanken, die Privat- und Firmenkunden bedienen, die Gewinner. Heute zeigt sich: So einfach lässt sich die Rechnung nicht machen. Die Kreditbanken werden wegen der steigenden Zahl der Firmenpleiten noch lange unter der Krise leiden. Auf der anderen Seite beweisen die hohen Gewinne vieler Investmentbanken in diesem Jahr eindrucksvoll: Ihre Expertise wird gebraucht, um milliardenschwere Anleihen zu platzieren, Firmenübernahmen einzufädeln, Kapitalerhöhungen durchzuziehen. "Meldungen über unser Ableben sind stark verfrüht", zitierte Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs, dieser Tage Mark Twain.

Die größten Banken der Welt (Foto: Graphik: SZ)

"Die hohen Gewinnmargen im Investmentbanking sind aber nicht von Dauer", warnt Faust. "Am Ende werden nur jene Häuser überleben, die sehr groß sind." Neben Goldman Sachs sei vielleicht noch für zwei oder drei Firmen Platz. Gescheitert sind dagegen die Schweizer UBS und die amerikanische Citigroup, die ganz vorn im globalen Investmentbanking mitspielen wollten.

Gut geschlagen haben sich in den schweren Zeiten dagegen viele Universalbanken: Die britische HSBC, Spaniens Banco Santander, die französische BNP Paribas oder die italienische Unicredit zählen nach wie vor zu den größten Häusern der Welt. "Die Erfolgreichen vereint, dass sie eine starke Position im Heimatmarkt haben, sich keine Exzesse im Investmentbanking erlaubt haben, über ein solides Risikomanagement verfügen und konsequent Wachstumschancen in aufstrebenden Regionen genutzt haben", sagt Walter Sinn, Leiter der deutschen Banken-Praxisgruppe bei der Unternehmensberatung BCG. HSBC ist in Asien aktiv, Santander in Lateinamerika, BNP Paribas und Unicredit in Osteuropa.

Diese Erkenntnisse versucht auch die Deutsche Bank umzusetzen, die sich zum einen auf dem Heimatmarkt Zugriff auf die Postbank und Sal. Oppenheim gesichert hat, zum anderen stets betont, in den Schwellenmärkten wachsen zu wollen. Das allerdings wollen alle. Und auch darin sind sich die Fachleute einig: Der Wettbewerb wird auch in der Nach-Lehman-Ära nicht weniger intensiv.

© SZ vom 12.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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