450 Prozent Rendite für 52 Jahre:Das vergessene Sparbuch

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Ein Vater legte für den Sohn vor mehr als 50 Jahren 106.000 Mark an. Nun hat sich der geschätzte Wert des Sparbuchs massiv erhöht. Doch die betroffene Commerzbank verweigert die Auszahlung.

Harald Freiberger, Frankfurt

Der Vater hat es gut gemeint mit seinem Sohn. 1959, der Sohn war gerade geboren, legte er ein Sparbuch für ihn an und zahlte 106.000 D-Mark ein. Das war viel Geld, ein VW-Käfer kostete damals 3800 Mark. Ausgegeben hatte das Sparbuch die Dresdner Bank in Solingen. Es gibt darin nur einen einzigen Eintrag: den eingezahlten Betrag von 106.000 Mark, daneben den Stempel der Bank und die Unterschrift von zwei Mitarbeitern.

Der Vater legte vor 52 Jahren ein Sparbuch an, das in der Folge in Vergessenheit geriet. Nun tauchte es wieder auf - der Sohn will natürlich den stattlichen Ertrag haben. (Foto: dpa-tmn)

Gedacht war das Geld als Starthilfe für den Sohn. Der Vater starb früh. Er vererbte alles an die Mutter, und als diese 2007 verstarb, fand sich in ihrem Nachlass in einer Schublade das Sparbuch. Der Sohn ging zu Rechtsanwalt Werner Otto von der Kanzlei Haas & Haas in Gießen und erkundigte sich, wie seine Chancen stünden, das Geld von der Bank zu bekommen.

"Das Sparbuch machte nach seinem gesamten Erscheinungsbild einen zweifelsfrei echten Eindruck, deshalb habe ich dem Mandanten geraten, das Guthaben von der Bank einzufordern, notfalls auch mit einer Klage vor Gericht", sagt der Anwalt.

Der erste Schritt des Klägers war ein Auskunftsersuchen. Die Bank sollte ihm mitteilen, wie hoch das Guthaben auf dem Sparbuch inklusive der inzwischen aufgelaufenen Zinsen ist. Die erste Reaktion der Bank war Verwunderung. Ein so altes Sparbuch hatten selbst die ältesten Mitarbeiter noch nicht gesehen. Die zweite Reaktion war Ablehnung. Die Bank bestritt die Echtheit des Sparbuchs pauschal und ohne nähere Begründung.

Also ging der Sohn vor Gericht. Zunächst musste ein Gutachten eingeholt werden, das die Echtheit des Sparbuchs bestätigte. Sein Anwalt schaltete einen ehemaligen Spezialisten des Landeskriminalamts Bayern ein, der feststellte: Das Sparbuch weist keine Anzeichen dafür auf, dass es nachgemacht ist; sowohl die Tinte des Stempels als auch die Kugelschreiberpaste der beiden Unterschriften waren bereits im Jahr 1959 auf dem Markt.

Bank geht in die nächste Instanz

Der Sachverständige bescheinigte daraufhin die Echtheit des Sparbuchs, und das Gericht sah den Beweis als erbracht an. Es gab dem Auskunftsersuchen des Klägers statt. Das bedeutete zugleich, dass die Bank den Betrag inklusive Zinsen auszahlen musste.

Die Bank aber ging in die nächste Instanz. Inzwischen war die Dresdner von der Commerzbank übernommen worden, sodass diese zur Beklagten wurde. Da die Echtheit des Sparbuchs nachgewiesen war, bestritt sie nun, dass es die Mitarbeiter überhaupt gegeben habe und dass diese zeichnungsberechtigt gewesen seien. Schließlich, so argumentierte die Bank, fänden sich in ihren Archiven keine Anhaltspunkte dafür, dass die Forderung jemals bestanden habe.

Der Fall landete beim Oberlandesgericht Frankfurt, das am 16. Februar das erste Urteil bestätigte: An der Echtheit des Sparbuchs, so die Richter, gibt es keine Zweifel. Dem Sparbuch kommt die Funktion einer Beweisurkunde zu. Nur im Ausnahmefall kann der Beweiswert eines Sparbuchs erschüttert werden. Ein besonders hoher Betrag und eine lange Zeit ohne Umsätze könnten den Beweiswert nicht erschüttern.

Und was die Echtheit der Unterschriften betrifft: Die Bank muss durch Unterlagen beweisen, dass die Mitarbeiter nie bei ihr beschäftigt und nicht zeichnungsberechtigt waren. Sonst könnte sie ja den Beweiswert des Sparbuchs faktisch aufheben, indem sie die Echtheit der Unterschriften einfach bestreitet. Das ist nicht hinnehmbar, so die Richter. Die Forderung ist auch nicht verjährt. Der Umstand, dass die Bank keine Kenntnis mehr vom Sparbuch hat, ändert daran nichts.

Kurzum: Ein Sieg auf der ganzen Linie für den Sohn. Die Bank muss ihm das Guthaben nebst Zinsen auszahlen. Allerdings hat das Oberlandesgericht Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Das müsste innerhalb eines Monats geschehen.

Anwalt Otto findet das Verhalten der Bank "ziemlich skandalös". Sie habe mit teilweise fadenscheinigen Begründungen und unhaltbaren Argumenten versucht, das Verfahren, das nun schon über drei Jahre dauere, in die Länge zu ziehen und wohl gehofft, dass der Kläger aufgibt.

Otto ist zuversichtlich, dass sein Mandant das Geld bekommt. Den genauen Betrag muss die Bank ausrechnen. Der Anwalt hat schon einmal überschlagen, wie viel es sein müsste: Er recherchierte den Spareckzins der Banken in den vergangenen Jahrzehnten und kommt auf einen Gesamtbetrag von 280.000 bis 320.000 Euro.

Das Geld hat sich demnach in 52 Jahren etwa versechsfacht. "Da sieht man einmal, was der Zinseszinseffekt ausmacht", sagt der Anwalt. "Aber nicht jeder will sich so lange Zeit lassen."

© SZ vom 07.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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