Börse:Rosa Perspektiven

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Die Staaten werfen mit Geld um sich - das heizt kurzfristig die Börsenrally an. Langfristig aber muss die Welt mit geringerem Wachstum auskommen.

Catherine Hoffmann

Vor einem Jahr stürzte der Kollaps von Lehman Brothers die Finanzwelt ins Chaos. Aktienkurse brachen ein, die Konjunktur ging in die Knie. Heute scheint das nur noch eine ferne Erinnerung: An den Börsen der Welt wird gefeiert, als gäbe es kein morgen mehr.

Zuletzt sorgte US-Notenbankchef Ben Bernanke für gute Stimmung: "Die Rezession ist zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich vorüber." Die Statistiker vieler Nationen versprechen ein starkes drittes Quartal für die geschundenen Volkswirtschaften. Krise war gestern, Aufschwung heißt das neue Thema der Ökonomen und Chefstrategen.

So mancher Anleger kommt da nicht mehr mit und reibt sich verwundert die Augen ob des schnellen Stimmungsumschwungs: 56,5 Prozent hat der Deutsche Aktienindex seit den Panikattacken im März gewonnen.

Das erlösende Gefühl, dass das Schlimmste überstanden sei, nutzte auch den Preisen von Rohstoffen und Unternehmensanleihen. Schwungvoll könnte es weitergehen an den globalen Finanzmärkten, versprechen mehr und mehr Auguren.

Rosa Perspektiven dank großzügiger Geldpolitik

Auch ein der blinden Zuversicht unverdächtiger Analyst wie Joachim Fels von Morgan Stanley fragt jetzt in einer neuen Studie: "Up with Swing?" Und er erforscht, ob die Anleger nicht immer noch zu sehr mit den Risiken einer zweiten Rezession beschäftigt sind, also einem "W"-förmigen Verlauf der Konjunktur und Aktienkurse.

Sie könnten, so die These, ein "heißes Szenario" verpassen, weil sie es für ausgeschlossen halten, dass Unternehmen, Wirtschaft und Börsen in den kommenden Monaten mit guten Nachrichten überraschen.

Der Grund für die rosa Perspektiven liegt in der außergewöhnlich großzügigen Geld- und Fiskalpolitik, die Notenbanken und Regierungen rund um den Erdball verfolgen. Der verschwenderische Umgang mit Geld könnte weitaus wirkungsvoller sein als gedacht. 600 Milliarden Euro - das Doppelte des jährlichen Bundeshaushalts - nahm allein die Bundesregierung in die Hand, um Banken zu retten, die Rezession zu mildern und den Absturz am Arbeitsmarkt zu dämpfen.

Turbo für die Konjunktur

Weltweit wurden Konjunkturprogramme im Umfang von 5.000 Milliarden Dollar oder neun Prozent der globalen Wirtschaftsleistung beschlossen. Gleichzeitig haben die wichtigsten Notenbanken der Welt die Leitzinsen im ersten Halbjahr 2008 gegen null Prozent geschleust. Die lockere Geldpolitik entfaltet erst jetzt, ein Jahr später, ihre volle Wirkung. All das ist ohne Beispiel in der Nachkriegsgeschichte - und es wirkt wie ein Turbo für Konjunktur und Kurse.

"Die wirtschaftliche Dynamik, die sich insbesondere in den USA und vielen Schwellenländer abzeichnet, wird noch immer unterschätzt", glaubt Jens Wilhelm, für das Fondsmanagement verantwortlicher Vorstand bei Union Investment.

"Die Anleger verkennen zudem, dass viele Konjunkturprogramme ihre volle Wirkung erst 2010 entfalten." Damit gäbe es also noch Treibstoff für weiter steigende Aktienkurse. Für viele Anleger, die sich bislang nicht an die Börse getraut haben und deshalb die Rally seit März verpasst haben, sei das die Chance, die zweite Welle der Erholung mitzunehmen. "Jetzt stehen sie unter Zugzwang", sagt Wilhelm.

Übertreibt die Börse maßlos?

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Weder Fels noch Wilhelm und wohl auch kein anderer Aktienstratege, der sich dieser Tage zuversichtlich zeigt, glaubt, dass die wirtschaftliche Erholung in einen sich selbst tragenden Aufschwung mündet.

Das gilt selbstredend auch für die Hausse an den Börsen. Die Frage ist nur: Gibt es noch Potential für weiter steigende Kurse - oder wird an der Börse schon maßlos übertrieben?

"Der Markt liegt hier vollkommen richtig", sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank. "Von einer Übertreibung kann nicht die Rede sein. Gemessen an ihrem Buchwert sind Aktien im historischen Vergleich immer noch konservativ bewertet."

Betrachtet man das Verhältnis von Kursen zu Unternehmensgewinnen, sind Aktien natürlich nicht mehr so günstig wie zu Beginn des Aufschwungs. Sie nähern sich vielmehr dem historischen Durchschnitt. "Allerdings wird die Gewinndynamik der Unternehmen zu pessimistisch eingeschätzt, denn durch die Sparmaßnahmen in der Krise steigen die Gewinnmargen", sagt Wilhelm.

Die Dax-Marke von 7000 Punkten im Visier

Er ist überzeugt, dass die Kurse künftig verstärkt von verblüffend guten Unternehmenszahlen getrieben werden. Stimmt die Analyse, könnte die Erholung an den Aktienmärkten noch länger dauern. "Meine Dax-Jahresprognose von 6000 Punkten, die vor einem halben Jahr noch als illusionär galt, ist inzwischen konservativ", stellt Hellmeyer fest.

Und weil die Börsianer ja in guten wie in schlechten Zeiten zur Übertreibung neigen, haben die ersten Spekulanten für Anfang 2010 schon die Marke von 7000 Punkten im Visier.

Regierungs- und Notenbankchefs haben der Wirtschaft eine Phase der Stabilität erkauft. Darüber freuen sich die Anleger zu Recht. Doch der Preis für die Atempause ist hoch: Die Staaten sitzen nun auf einem Haufen Schulden. Ökonomen des Internationalen Währungsfonds schätzen, dass die Staatsschulden der zehn reichsten Nationen von 78 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2007 auf 114 Prozent im Jahr 2014 schnellen werden.

Kein Zurück zum langen Aufwärtstrend

Wie kommen die Länder raus aus der Schuldenfalle? "Indem sie auf die Notenpresse drücken und einen Teil der Schulden entwerten oder die Steuern erhöhen", sagt Christian Gattiker, Leiter des Research bei Julius Bär. "Meistens macht man ein bisschen von allem - und das geht zu Lasten der Anleger."

Irgendwann müssen die Regierungen vom Gas gehen. Das weiß auch Bernanke, der seine frohe Botschaft vom Aufschwung mit der Warnung verknüpft hat: "Es wird sich für einige Zeit noch wie eine schwache Konjunktur anfühlen."

Auch wenn die Wirtschaft jetzt schnell aus den Startlöchern kommt - langfristig muss die Welt mit geringerem Wachstum auskommen. Anleger sollten sich auf kürzere Zyklen einstellen. Ein Zurück zum langen Aufwärtstrend der 80er und 90er Jahre gibt es nicht.

© SZ vom 19.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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