Anleger und die Lehman-Pleite:Geplatzte Träume

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Sie wollten eine Anlage ohne Risiko, stattdessen kauften sie Zertifikate der Pleite-Bank Lehman. Nun bangen viele Anleger um ihr Erspartes. Zwei Fallgeschichten.

M. Völklein und H. Wilhelm

Ein schlechtes Gefühl hatte Manfred Breuker (Namen der Anleger geändert) schon vor dem Zusammenbruch der Bank. Schriftlich bestätigt bekam er seine Sorgen dann ein paar Tage, nachdem Lehman Brothers pleite war. Da ging ein Brief seiner Bank bei ihm ein: Die Lehman-Insolvenz verunsichere "verständlicherweise die Kunden", schrieb ihm der "Direktor Vermögensberatung" seiner Hausbank. Man wolle Breuker deshalb "über den Stand der Entwicklung informieren".

Ein schlechtes Gefühl hatten einige Kunden, jetzt wird es traurige Gewissheit: Ihre Lehman-Zertifikate sind nichts mehr wert. (Foto: Foto: AFP)

Und die Entwicklung sieht gar nicht gut aus: "Während der Phase des Gläubigerschutzes wird es nicht zu Rückzahlungen von Lehman-Zertifikaten oder Kupons kommen." Der Handel von Lehman-Papieren sei ausgesetzt. "Da aktuell keine Kurse festgestellt werden, wird Ihr Zertifikat im Depot bis auf Weiteres als 'unbewertet' oder mit 0 EUR ausgewiesen." Von 45.000 Euro auf Null. "Das war ein Schlag", sagt der 78-Jährige.

"Wir wollten Ruhe, Ruhe, Ruhe"

Breuker hatte seinem Bankberater im Mai 2007 nach seiner Aussage eines ganz klargemacht: "Ich wollte wieder ruhig schlafen." In den Jahren zuvor hatte der Rentner aus Erlangen sein Vermögen - etwa 150.000 Euro aus einer Lebensversicherung -, einem Vermögensverwalter anvertraut. "Der hat einen Teil davon am Neuen Markt heruntergewirtschaftet", sagt Breuker. "Davon hatte ich die Nase voll." Breuker und seine 72-jährige Frau wollten ihr Geld sicher anlegen. "Wir wollten Ruhe, Ruhe, Ruhe."

Doch nun hat Breuker das Gegenteil. Denn statt zu einer sicheren Festgeldanlage habe er sich unter anderem dazu überreden lassen, Lehman-Zertifikate zu kaufen. "Das ist bombensicher", habe der Bankberater gesagt, als Breuker 45.000 Euro in die Anlage steckte.

Schwere Vorwürfe

Auf dem Prospekt stand "Express-Bonus". Welcher Mechanismus genau hinter dem Zertifikat steckte, verstand Breuker nicht. "Wenn sich der Euro Stoxx besser entwickelt als der Dax, dann würde auch das Papier wohl gute Erträge bringen - oder so ähnlich", beschreibt der Erlanger seine Eindrücke aus dem Gespräch. Dass es sich bei einem Zertifikat um eine Inhaberschuldverschreibung handelt und dass bei einer Pleite des ausgebenden Instituts das Geld weg sein werde - "davon hat keiner etwas gesagt", behauptet Breuker.

Ähnliche Vorwürfe erhebt derzeit die Anwaltskanzlei KWAG gegen die Banken. Konkret steht die Dresdner Bank unter Beschuss: Das Institut hat am 12. September 2008 ein Papier an ihre Kundenberater verschickt - "Nur zur internen Verwendung" steht darauf und darunter "Argumentationsunterstützung im Kundengespräch". Dort heißt es: "Insgesamt sehen wir aktuell auf Basis der verfügbaren Informationen über die Bonitätseinstufung keinen Handlungsbedarf bei den Emissionen von Lehman Brothers oder anderen von uns aufgelegten Emissionen mit anderen Investmentbanken."

Lesen Sie im zweiten Teil, wie eine Citibank-Kundin, die "ganz sicher" sein wollte, plötzlich ihr gesamtes Vermögen verlor.

Für Jan-Henning Ahrens, Anwalt bei KWAG, sind die Unterlagen ein Beweis, dass die Dresdner Kundeninteressen hintangestellt hatte, um keine eigenen Einbußen hinnehmen zu müssen. Seiner Meinung nach hätte die Bank auf Grundlage der ihr vorliegenden Informationen die Anleger besser warnen anstatt beruhigen sollen.

Wenig tröstlich ist, dass Breuker und seine Frau nicht die einzigen Betroffenen sind. Bei den Anlegerschutzvereinigungen DSW und SdK haben sich hunderte Betroffene gemeldet. "Es dürften Zehntausende Privatanleger betroffen sein", schätzt Volker Pietsch vom Deutschen Institut für Anlegerschutz (DIAS). Nach seinen Angaben haben unter anderem Sparkassen, Dresdner Bank und die Citibank Lehman-Zertifikate an deutsche Kunden verkauft.

Die Anleger müssten "mit einem Totalverlust" ihrer Anlagen rechnen, ist sich der Anlegerschützer sicher. Er berichtet von einer älteren Dame, Kundin der Dresdner Bank, die in ihrem Anlageprofil mit niedriger Risikobereitschaft geführt wurde - deren Geld ein Banker aber aus einem konservativen Fonds in Lehman-Zertifikate umschichtete. Und von einer Citibank-Kundin, die auf Anraten ihres Beraters fast 150.000 Euro aus einem breit gestreuten Aktien-Portfolio nahm und in Lehman-Papiere steckte. Sie erhoffte sich so mehr Sicherheit - ausgerechnet.

Auch Annalena Wacker aus Ludwigsburg wollte eine sichere Anlage. Ende 2007 suchte sie eine Parkmöglichkeit für 12.000 Euro. "Das Geld habe ich über 25 Jahre lang angespart - für meine Tochter", erzählt die 48-Jährige. Noch ein Jahr sollte es ein paar Prozent Zinsen bringen, dann an ihre Tochter fließen. "Aktien und Fonds wollte ich nicht, das habe ich dem Berater auch gesagt", erzählt sie. "Die Anlage sollte ganz sicher sein." Der Berater ihrer Bank präsentierte ihr das Lehman-Zertifikat "Express-Bonus". Über Lehman sei nur am Rande gesprochen worden, sagt sie. "Wenn die Bank bankrott geht", habe der Berater gesagt, "dann geht die ganze Welt bankrott." Nun bangt sie um ihr Erspartes.

Die Banken weisen die Vorwürfe zurück. Die Berater würden "ausführlich und bis ins Detail" auf die Risiken hinweisen, so die Citibank. Der Wert "0 EUR" bedeute auch nicht, dass das Papier bereits wertlos sei. Die Dresdner Bank erklärte: "Neben der Darstellung der ökonomischen Risiken ist die Erwähnung des Emittentenrisikos fester Bestandteil der Produktbeschreibung und des Beratungsprozesses." Den Vorwurf der KWAG, die Dresdner habe ihre Kunden bewusst getäuscht, sei "völlig haltlos". Man habe kein Interesse daran, dass Kunden Geld verlieren.

Bitteres Fazit

Annalena Wacker und Manfred Breuker wollen sich wehren. Beide haben Anwälte eingeschaltet. "Das kann man sich doch nicht gefallen lassen", so Breuker. "Ich bin ein alter Kerl, nicht mehr ganz gesund, muss vielleicht ins Altenheim - dafür benötige ich einen Batzen Geld."

Noch im Sommer, da war die Finanzkrise bereits vorangeschritten und Breukers Lehman-Zertifikate hatten schon ein Drittel an Wert verloren, hätte er noch mit seinem Bankberater gesprochen, erzählt Breuker. Ob man die Papiere nicht vielleicht doch abstoßen solle, habe er gefragt. Doch der Berater habe nur geantwortet, es ergebe keinen Sinn, die Zertifikate zu verkaufen. Die würden sich wieder fangen. "Aus heutiger Sicht wäre es klug gewesen, sie damals loszuwerden", sagt Breuker leicht resigniert. Er zieht ein bitteres Fazit: "Die Banker", sagt Breuker, "handeln eh nur im Sinne der Bank. Der Kunde ist denen egal".

© SZ vom 02.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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