Ärzte gegen die Pharma-Lobby:Mein Essen zahl ich selbst

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Ärger für die Pharmaindustrie: Minister Rösler bekämpft das Preismonopol und auch Ärzte machen mobil - gegen die teuren Geschenke an die eigene Zunft. Die Geschichte einer Revolution.

Tobias Dorfer

Der Tabubruch findet in einem kleinen Ort am Südrand des Harzes statt. In Bad Sachsa, 125 Kilometer südöstlich von Hannover gelegen, betreibt der Arzt Wolfgang Schwinzer eine Praxis für Allgemeinmedizin. Doch Schwinzer ist kein normaler Arzt. Schwinzer, 58 Jahre alt, ist die Speerspitze, die sich ins Selbstverständnis der Pharmaindustrie bohrt - und in die liebgewonnenen Gewohnheiten so mancher Kollegen.

Der Ärzteverein Mezis kämpft gegen die Beeinflussung von Medizinern durch die Pharmaindustrie. (Foto: Foto: dpa)

Jede Menge Gegenwind erfährt die mächtige Pharma-Lobby in diesen Tagen. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) gibt den Unternehmen eine Teilschuld an den hohen Gesundheitskosten und will die Konzerne zu Preissenkungen zwingen. Ärger hat die Pharmaindustrie aber auch mit Medizinern wie Schwinzer.

Zusammen mit knapp 200 Kollegen stemmt sich der Arzt gegen die Beeinflussung seines eigenen Berufsstands durch die Pharmaindustrie und damit gegen das stillschweigende Übereinkommen, dass die gebündelten Interessen von Unternehmen und Ärzten eins sind mit den Bedürfnissen der Patienten. Ein fataler Pakt: Die Industrie bedenkt die Weißkittel mit Geschenken oder teuren Abendessen, die Mediziner verschreiben ihrerseits die Medikamente und der Patient fühlt sich in der Regel gut umsorgt.

Für Wolfgang Schwinzer sind diese Praktiken fatal. "Das Geld im Gesundheitssystem muss sinnvoll eingesetzt werden." Schon vor zehn Jahren, damals noch bei Transparency International, hat er sich über die Avancen der Industrie in Richtung der Ärzte geärgert. Schwinzer nahm den Kampf auf, suchte eine Alternative - und fand sie. Im Jahr 2007 gründete er mit "einer Handvoll" Kollegen den Verein Mezis, dessen Name Verantwortung und Versprechen in einem ist: Mezis, gegründet nach dem Vorbild der amerikanischen "No-free-lunch-Bewegung" steht für "Mein Essen zahl ich selbst".

Kostenlose Schulungen auf Mallorca

Der Name des Vereins leitet sich aus den Praktiken der Pharmaindustrie ab, Ärzte mit Geschenken zu umwerben. Von Einladungen zu Formel-1-Rennen und von kostenlosen Schulungen im Hilton-Hotel auf Mallorca, erzählt Schwinzer. Und dann sind da die "Gratisproben", die den Ärzten von den Referenten überlassen werden - und die "das Budget der Praxis entlasten". "Wo Pharmareferenten unterwegs sind", sagt Schwinzer, "da werden ihre Medikamente auch verschrieben." Die Tatsache, dass es häufig noch ein günstigeres Mittel mit demselben Wirkstoff gibt oder der Patient vielleicht auch ohne Medikament auskommt, das ist in diesem Pakt nicht vorgesehen.

Schwinzer ärgert sich auch über die "Anwendungsbeobachtungen", in deren Rahmen die Mediziner bestimmte Präparate verschreiben, die Wirkung auf Fragebögen dokumentieren - und für jeden ausgefüllten Bogen bis zu 1000 Euro von der Industrie kassieren. "Das wissenschaftliche Niveau dieser Fragebögen ist nicht vorhanden", schimpft Schwinzer, der allerdings vor seiner Mezis-Zeit selbst schon einmal an einer solchen Studie teilgenommen hat.

Wenig Aufwand, hoher Ertrag - kein Wunder, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zufolge für 2008 insgesamt 85.000 Fälle registriert hat, in denen Ärzte an diesen Anwendungsstudien teilnahmen - eine Zahl die KBV-Vorstand Carl-Heinz Müller große Sorgen bereitet. Er habe den dringenden Verdacht, dass viele dieser Erhebungen nicht aus wissenschaftlichen Gründen, sondern zur Verkaufsförderung stattfinden würden, heißt es in dem Bericht vom Herbst 2009. "Das ist nicht rechtens und besorgt uns sehr", sagte Müller der FAZ.

Im Video: Die erklärten Pläne von Gesundheitsminister Rösler zu Preisen für Medikamente erzeugen bei Opposition und Pharmaindustrie eher Bauchschmerzen.

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Mezis-Mann Schwinzer nennt so etwas "korruptives Verhalten". Strafbar ist das bei aller Anrüchigkeit jedoch nicht - zumindest nicht bei niedergelassenen Ärzten, die selbständig sind. Mit Aufklärungsarbeit und Veranstaltungen versucht Mezis, immer mehr Kollegen zu überzeugen. Prominente Mitstreiter tun ihr Übriges. Bruno Müller-Oerlinghausen, der ehemalige Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, ist Mitglied bei Mezis und auch Axel Munte, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern, unterstützt den Verein.

"Das Geld im Gesundheitssystem muss sinnvoll eingesetzt werden", sagt Allgemeinarzt Wolfgang Schwinzer. (Foto: Foto: oh)

"Wir wollen die beste Medizin"

Allgemeinarzt Schwinzer selbst empfängt keine Pharmareferenten mehr. Und die Vertreter lassen ihn inzwischen weitgehend in Ruhe. "Alle ein bis zwei Monate schaut vielleicht noch einer vorbei", sagt der Mediziner. Auch die Einladungen, die hübschen, bunten Kataloge und die angedienten Beraterjobs lassen den Mediziner inzwischen kalt.

Und die Industrie? Die gelobt seit Jahren Besserung und verweist auf einen Verhaltenskodex der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Pharmaindustrie. Getragen wird diese Vereinigung von Unternehmen wie Bayer, Pfizer und Novartis. Werbegaben müssten "geringfügig" sein, heißt es in Paragraph 21. Und Bewirtung sei "nur im Rahmen von internen Fortbildungsveranstaltungen sowie Arbeitsessen" und außerdem lediglich "in einem angemessenen und sozialadäquaten Umfang" zulässig.

Die Realität sieht offenbar anders aus. "Die Erfahrungen zeigen, dass der Kodex nicht geeignet war, unlautere Werbepraktiken und Einflussnahmen zu verhindern", schrieb die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, ein Gremium der Bundesärztekammer. "Diese Praktiken" könnten Fehlbehandlungen zur Folge haben und die Sicherheit der Patienten gefährden.

"Wir wollen die beste Medizin", sagt auch Mezis-Arzt Schwinzer. Positiver Nebeneffekt wäre die Entlastung des Systems. Wenn die Beeinflussung der Mediziner durch die Industrie vollständig beseitigt wäre, so kalkuliert er, könnten im Gesundheitssystem vier bis sechs Milliarden Euro eingespart werden. Nur zum Vergleich: Vier Milliarden Euro, das ist genau der Betrag, der den gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr fehlt - und weswegen etliche Kassen bereits Zusatzbeiträge eingeführt haben.

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